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Neue SPD-Chefin Bärbel Bas: „SPD wieder auf die Höhe der Zeit bringen“

Die neue SPD-Vorsitzende Bärbel Bas ist sich der großen Erwartungen an sie sehr bewusst, sieht sich aber nicht als Heilsbringerin. Als Bundesarbeitsministerin scheut sie die Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner nicht, sagt sie im Interview.

von Karin Nink , Kai Doering · 30. Juni 2025
Bärbel Bas im Interview

Die neue Parteivorsitzende Bärbel Bas möchte, dass die SPD künftig weniger verspricht – das Zugesagte dann aber verlässlich umsetzt
 

Bei der Bundestagswahl im Februar hatte die SPD mit 16,4 Prozent das schlechteste Ergebnis bei einer ­Bundestagswahl. Wie haben Sie sich in den Tagen danach gefühlt?

Das Ergebnis war niederschmetternd, auch wenn es sich während des Wahlkampfs schon abgezeichnet hatte. Ob bei den großen Veranstaltungen oder am Wahlkampfstand: Es gab kaum Zuspruch und in den Umfragen keine Bewegung. Natürlich haben wir uns trotzdem mehr erhofft. Aber auch jetzt, wo die Stimmung in der Wirtschaft langsam besser wird – auch durch Maßnahmen, die noch die alte Bundesregierung angestoßen hat –, ist in den Umfragen bei der SPD wenig Bewegung drin. Das zeigt mir, dass die Gründe für unser schlechtes Abschneiden tiefer liegen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir uns auf dem Parteitag entschieden haben, ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten.

Was versprechen Sie sich davon?

Die Welt hat sich in den vergangenen 20 Jahren sehr verändert. Deshalb brauchen wir in der SPD eine tiefergehende Grundsatzdebatte, wie wir als Partei mit den neuen Herausforderungen umgehen. Mit dem neuen Grundsatzprogramm werden wir sozialdemokratische Zukunftsantworten formulieren, um den Menschen Sicherheit und Orientierung zu geben. Dafür werden wir auch unbequeme Fragen diskutieren müssen. Dieser Prozess ist notwendig, um die SPD wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Bei der Bundestagswahl lag die SPD bei ihrer Kernwählerschaft, den Arbeiterinnen und Arbeitern, nur noch auf Platz drei hinter AfD und CDU. Wie erklären Sie sich das?

Ein ganz wesentlicher Grund dafür ist, dass wir über unsere Mitglieder nicht mehr so verankert sind in der Gesellschaft wie früher. Da waren wir im Kleingartenverein oder bei den Kaninchenzüchtern. Und wenn jemand einen Brief bekommen hat von einer Behörde, dann haben sich unsere Mitglieder gekümmert und bei der Beantwortung geholfen. Das hat über die Jahre nachgelassen, auch weil wir viele Mitglieder verloren haben. Im Ruhrgebiet merke ich das ganz besonders. Die Wahlkreise dort waren unsere Kraftzentren und unsere Seismografen. Jetzt lag die SPD in Gelsenkirchen beim Zweitstimmenergebnis erstmals hinter der AfD.

Bärbel
Bas

Als Sozialdemokratin oder Sozialdemokrat sollte man die Fähigkeit haben, sich auch in andere Lebenswelten einzufinden – egal welchen Bildungsabschluss man selbst hat.

Hat das nicht auch mit verlorenem Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu tun?

Auf jeden Fall! Viele haben den Eindruck, dass sich ihr Leben nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert hat – ob es um kaputte Infrastruktur geht oder den fehlenden Kitaplatz. Da haben wir über die Jahre an Glaubwürdigkeit verloren, weil wir immer viel versprochen haben und danach bei den Menschen zu wenig angekommen ist – obwohl wir in allen Regierungskonstellationen viele sozialdemokratische Inhalte durchgesetzt haben. Wir sollten deshalb weniger versprechen, das dann aber verlässlich umsetzen.

Warum sind Sie eigentlich 1988 in die SPD eingetreten und nicht etwa bei den Grünen, die ja Ende der 80er Jahre im Aufwind waren?

Was bei den Grünen diskutiert wurde, war mir zu abstrakt. Ich gehöre eher zu denen, die pragmatisch auf die Probleme blicken und konkrete Lösungen erarbeiten wollen. Deshalb habe ich mit 20 in der Kommunalpolitik angefangen und war dann bald Juso-Vorsitzende in Duisburg. Die SPD hatte dort damals 11.000 Mitglieder. Heute sind es deutlich weniger. Auch hier müssen wir uns hinterfragen, warum wir stetig Mitglieder an andere Parteien verlieren. Ob wir vielleicht Themen nicht aufgegriffen haben, die heute zentral sind.

Woran denken Sie dabei?

Zum Beispiel an die Versöhnung von Wirtschaft und Klima. Viele sind für mehr Klimaschutz, fühlen sich aber von den Vorstellungen der Grünen überfordert. Denen müssen wir ein Angebot machen. Dasselbe gilt auch bei Themen wie Digitalisierung. Ein Wesenskern der SPD ist, dass sie gerne diskutiert. Das ist auch gut und richtig so. Es besteht aber die Gefahr, dass die Menschen am Ende nicht mehr wissen, wofür die SPD steht. Ich bin deshalb sehr für intensive Diskussionen. Wenn ein Beschluss gefasst worden ist, müssen ihn aber auch alle vertreten.

Fehlen der SPD vielleicht auch ­Menschen wie Sie, die eine klassische Ausbildung absolviert haben?

Als Sozialdemokratin oder Sozialdemokrat sollte man die Fähigkeit haben, sich auch in andere Lebenswelten einzufinden – egal welchen Bildungsabschluss man selbst hat. Entscheidend ist, dass man dabei glaubwürdig ist. Aber richtig ist, dass wir offensichtlich nicht mehr alle Gruppen in der Breite der Gesellschaft erreichen. Ein Vorteil der neuen Doppelspitze aus Lars Klingbeil und mir ist sicher, dass wir unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Dasselbe gilt für den neuen Generalsekretär Tim Klüssendorf. Es kommt aber nicht nur auf uns an. Wir brauchen mehr Gesichter, die für bestimmte Themen in der SPD stehen. Das gilt für alle Ebenen der Partei.

Sie haben ihre Kandidatur für den Parteivorsitz erst erklärt, als klar war, dass Saskia Esken nicht noch einmal antritt. Was hat Sie letztlich dazu ­bewogen?

Ich habe mich nicht aufgedrängt, den SPD-Vorsitz zu übernehmen, das stimmt. Natürlich hätte ich auch sagen können, ich lehne mich jetzt zurück und lasse andere die Verantwortung übernehmen. Das hätte sich aber falsch angefühlt. Ich hatte das Gefühl, dass ich der Partei jetzt helfen kann mit meiner Person, meiner Biografie, meinen Inhalten. Deshalb habe ich mich letztlich dafür entschieden, zu kandidieren, und ich freue mich sehr über die große Unterstützung des Parteitags. Trotzdem bin ich mir der großen Erwartungen sehr bewusst. Manche sehen in mir eine Art Heilsbringerin für die SPD. Das verursacht bei mir schon ein gewisses Magengrummeln, denn es ist ganz klar: Allein werde ich es nicht schaffen.

Zumal Sie gleichzeitig auch Ministerin für Arbeit und Soziales sind.

Das ist ein Punkt, über den ich lange nachgedacht habe. Ich höre durchaus die Kritik aus der Partei, dass beide Parteivorsitzende auch ein Ministeramt haben. Und diese Kritik nehme ich auch sehr ernst. Allerdings haben wir dadurch auch ein anderes Gewicht in der Regierung: Themen durchzusetzen, ist immer auch eine Machtfrage. Ich bin mir sicher, dass ich sehr gut zwischen den beiden Hüten SPD-Vorsitzende und Bundesministerin für Arbeit und ­Soziales werde unterscheiden können.

Bärbel
Bas

Entscheidend ist, dass man glaubwürdig ist.

Mit der Rentenreform und den ­geplanten Änderungen am Bürgergeld haben Sie als Ministerin zwei große Brocken vor sich. Worauf kommt es Ihnen dabei besonders an?

Nach einem Leben voller Arbeit muss ­eine anständige Rente stehen. Das ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Dafür steht die SPD. Wichtig für die hart arbeitenden Menschen ist auch, dass wir die Rente mit 70 in den Koalitionsverhandlungen verhindert haben. Wir werden jetzt überlegen, wie eine generationengerechte Alterssicherung aussehen kann und dafür eine Rentenkommission einsetzen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, darüber nachzudenken, wer künftig alles in das System einzahlen soll. Deshalb habe ich die Debatte angeschoben, ob auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen könnten. Natürlich mit einer deutlichen Übergangszeit. Der Aufschrei war bezeichnend und hat mir klargemacht: Wir sollten wieder mutiger sein und auch über wirkliche Systemwechsel nachdenken. 

Gilt das auch für das Bürgergeld?

Da sollten wir erst mal an die denken, die wirklich nicht arbeiten können und deshalb die Unterstützung des Staates brauchen. Das Existenzminimum steht für mich nicht zur Debatte. Auch Familien kann und werde ich nicht auf null sanktionieren – abgesehen von den Gerichtsurteilen, die das verbieten. Auf der anderen Seite sage ich aber auch: Wer Leistungen vom Staat bekommt, muss mitwirken. Wenn das Jobcenter Angebote zur Qualifizierung macht und einen Termin anbietet, dann muss der auch eingehalten werden. Wenn das wiederholt nicht passiert, muss das sanktioniert werden können. Ansonsten macht sich der Staat unglaubwürdig.

Die CDU fordert aber einen Umbau des Bürgergelds, „der an die Substanz geht“.

Es kann sein, dass unsere Vorhaben dem Koalitionspartner nicht reichen. Aber zum einen dürfen wir Gerichtsurteile nicht ignorieren, und zum anderen müssen wir die Menschen sehen, die den Staat dringend brauchen. Wenn wir sie wieder aus dem Bezug von Sozialleistungen herausbringen wollen, müssen wir auch die Jobcenter in die Lage versetzen, dass sie vernünftig qualifizieren können. Diesen Kampf werde ich gerne aufnehmen. 

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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4 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Di., 01.07.2025 - 09:41

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Ich wünsche Bäebel Bas viel Erfolg bei ihrer sicherlich nicht leichten Aufgabe sowohl im Ministeramt wie auch als Parteivorsitzende. Aber sie scheint mir auch unter den derzeitigen Parteispitzen am ehesten für diese Ämter geeignet und vor allem glaubwürdig zu sein.
Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, zu erwähnen, dass es sehr schade ist, wie Rolf Mützenich aus seinem Amt herausgedrängt wurde und nunmehr wegen des Manifestes attackiert wird. Zu diesem Thema empfehle ich die Lektüre des Interviews mit Prof. Julian Nida-Rümelin in der Frankfurter Rundschau vom 27. Juni 2025, dessen Aussagen ich vollkommen teile.

Gespeichert von Voßen (nicht überprüft) am Do., 03.07.2025 - 09:43

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Das Bürgergeld entfacht immer wieder Diskussionen darüber, ob es fair ist gegenüber Menschen, die in Arbeit stehen und vielleicht gerade mal 100 Euro mehr erhalten. Mein Vorschlag: Begrenzung von Bürgergeld auf 5 Jahre (Ausnahmen wie schwere chronische Krankheit etc.), in denen jeder zeitlich aus einer Notsituation raus finden kann. Und wie schon von Frau Bas angedacht Sanktionen/Kürzungen, falls Mitarbeit verweigert wird.

Gespeichert von Lang (nicht überprüft) am Do., 03.07.2025 - 12:31

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Herzlichen Glückwunsch Bärbel.
Deine Person und die Rede auf dem Parteitag, als Puderzucker haben mich überzeugt, dass du eine Sozialdemokratin bist, die für eine zeitgemäße und prinzipientreue Profilierung der Partei ist. Ich weiß, dass du das kannst und wir folgen dir.

Mit solidarischen Grüßen
ACL

Gespeichert von Hans-Jürgen Krause (nicht überprüft) am Do., 03.07.2025 - 13:56

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Hallo Bärbel auch ich bin in Duisburg geboren. In den siebziger Jahren hat es mich nach Warendorf gezogen. In den Achtziger bin ich in die SPD eingetreten. Seit drei Jahren arbeite ich im Vorstand der AG 60 Plus Kreis Warendorf mit. Ich habe in der Vorstandsrunde Anträge für die Fraktion im Bundestag erarbeitet. Ein Vorschlag war dass man CO2 im Erdboden einlagern kann. Der steht ja jetzt auch im Koalitionsvertrag. Was aber immer noch nicht auf der Agenda steht ist, wer eigentlich für die hohen Strompreise verantwortlich ist. Dazu habe wir auch einen Antrag im letzten Jahr an die Fraktion der SPD gestellt. Wir von der AG 60 Plus haben da auch keine Antwort erhalten. Und nun fängt das Lügen schon wieder an. Viele haben unsere Partei gewählt, weil die Stromsteuer gesenkt werden sollte. Das ist der Grund warum ich schreibe. Wir vor Ort im Ortsverein machen die Arbeit und nur weil angeblich kein Geld da ist gehen uns die Argumente aus. Ich möchte auch nicht das Fass der Ukraine aufmachen.