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Bürgergeld: Warum zu viele Sanktionen niemandem nützen

Nicht einmal zwei Jahre in Kraft, steht das Bürgergeld deutlich in der Kritik. Sanktionen sollen „Arbeitsanreize“ erhöhen und gleichzeitig den Haushalt sanieren helfen. Eine Studie zeigt nun, dass ein Mehr an Sanktionen an Grenzen stößt.

von Vera Rosigkeit · 8. August 2024
Jobcenter

Immer neue Debatten um mehr Sanktionen sollen den Druck auf Menschen im Bürgergeldbezug erhöhen, angeblich um sie schneller in Arbeit zu bringen 

Das „Bürgergeld als Anreiz zum Faulenzen“, Vertreter*innen von rechten und konservativen Parteien werden nicht müde in ihrer Kritik am Bürgergeld-Gesetz, das im Januar 2023 an den Start ging. Vom Missbrauch von Sozialleistungen ist die Rede und von fehlenden Arbeitsanreizen, weil die Leistungen viel zu leicht zu haben und so hoch seien, dass sich Arbeit gar nicht mehr lohne, so einige der Vorwürfe. 

In jüngsten Debatten um die Finanzierung des Bundeshaushalts spielen die Ausgaben von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vor allem dann eine Rolle, wenn es um ihr mögliches Einsparpotenzial geht. In inzwischen regelmäßigen Abständen wird über Sanktionen und die Mitwirkungspflichten von Leistungsbeziehenden sowie die Zumutbarkeit von Arbeit diskutiert.

Wie Sanktionen beim Bürgergeld wirken

Eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) scheint den Kritiker*innen des Bürgergelds auf den ersten Blick Recht zu geben. Die Analyse über die Wirkung von Sanktionen auf Übergänge in Beschäftigung kam u.a. zu dem Ergebnis, dass bereits die Ankündigung von Sanktionen bei Leistungsbezieher*innen zu einer beschleunigten Beschäftigungsaufnahme führe. Die Wissenschaftler*innen sprechen hier von einem „Ex-ante-Effekt“: Schon allein die Wahrscheinlichkeit, sanktioniert zu werden, könne sich auf das Arbeitsuchverhalten auswirken, unabhängig davon, ob eine Person wirklich betroffen ist oder nicht. Damit führt die Ausübung von Druck auf wenige bei allen Leistungsbeziehenden dazu, dass sie möglicherweise schneller einen Job annehmen.

Was die Studie allerdings auch aussagt, ist nicht weniger wichtig: Zwar erhöhen sich Übergänge in qualifizierte Beschäftigung und in Beschäftigung in Helfer- und Anlerntätigkeiten bei einer moderaten im Vergleich zu einer niedrigeren Sanktionswahrscheinlichkeit; bei einer höheren im Vergleich zu einer moderaten Sanktionswahrscheinlichkeit allerdings würden Übergänge in qualifizierte Beschäftigung zurückgehen. Ein Ergebnis der Studie lautet demnach, dass eine intensive Anwendung von Sanktionen zunehmend auf Kosten der Beschäftigungsqualität geht.

Kernanliegen: Weiterbildung statt Aushilfsjob

Und hier kommt die SPD ins Spiel und das eigentliche Anliegen ihrer Bürgergeld-Reform: Ausbildung, eine berufsabschlussbezogene Weiterbildung oder Qualifizierungsangebote sollten Vorrang vor einem Aushilfsjob haben. Das Ziel: eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration von Arbeitslosen. Die Karenzzeit wiederum sollte Menschen die Möglichkeit geben, sich nach einem Arbeitsverlust neu zu orientieren und sich so auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu begeben, ohne den Druck eines möglichen Umzugs im Nacken zu haben. Folgerichtig wurden mit der Einführung des Bürgergeld-Gesetzes Sanktionen zwar nicht vollständig abgeschafft, aber deutlich reduziert.

So konnten bereits ursprünglich Leistungskürzungen bei Pflichtverletzung dazu führen, dass der Regelbedarf um bis zu 30 Prozent für drei Monate reduziert wurde. Im März dieses Jahres wurden die Sanktionen dahingehend verschärft, dass Jobcenter Betroffenen das Bürgergeld für zwei Monate komplett streichen können. Und mit der im Juli beschlossenen Wachstumsinitiative sind weitere Anpassungen beim Bürgergeld geplant. So soll künftig ein längerer Weg zur Arbeit zumutbar sein und die Karenzzeit hinsichtlich des Schonvermögens der Leistungsbeziehenden von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden.

Bürgergeld als populistische Kampagne

Die SPD-Abgeordnete Annika Klose sieht inzwischen den Kern der Bürgergeld-Reform gefährdet. So hätten zwei Drittel der Menschen, die langzeitarbeitslos sind, keinen Berufsabschluss, sagte sie im vorwärts-Interview. Deshalb sei es sinnvoll zu überlegen, wie man sie von einer Helfertätigkeit zu einer Fachkraft weiterqualifizieren könne. 

Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, bezweifelt zudem, dass das Bürgergeld Menschen durch monetäre Anreize von der Arbeit abhält. Ihrer Meinung nach werden die geplanten Sanktionen daher auch nicht die gewünschten Effekte haben und „die Probleme, die wir auf den Arbeitsmarkt haben in Bezug auf Fachkräftemangel haben auch nichts mit dem Bürgergeld zu tun“. Aus ihrer Sicht ist es problematisch, „dass die Verantwortung für die Arbeitsmarktsituation bei den Schwächsten abgeladen wird“.

Was die SPD jetzt tun sollte

Immer wieder werde das Bürgergeld „für populistische Kampagnen benutzt", kritisiert auch Annika Klose. AfD und auch CDU und CSU hätten sich auf das Bürgergeld eingeschossen, „um auf dem Rücken der Bürgergeld-Empfänger ihre Zustimmung zu verbessern“.

Klose ist weiterhin von der ursprünglichen Idee der von der SPD eingebrachten Bürgergeld-Reform überzeugt. Sie glaubt nicht, „dass uns irgendjemand die Änderungen, die nun geplant sind, danken wird“.  Deshalb empfiehlt sie ihrer Partei für das Bürgergeld zu kämpfen und den Rücken gerade zu machen „gegenüber der Kritik von rechts“. 

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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2 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 09.08.2024 - 10:01

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Die Vergangenheit, als Bürgergeld noch Hartz IV hieß, hat doch deutlich gezeigt, daß Sanktionen höchstens bei den Sozialgerichten für Arbeit sorgt. Der SPD stünde es wohl an massiv in der Öffentlichkeit über die Demagogie von afd, Julian Reichelt, Broder, CDSU und auch FDP aufzuklären. Auch hier findet Desinformation statt !

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Di., 13.08.2024 - 11:13

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Die SPD hat doch damals selbst Hartz IV eingeführt. "Fördern und Fordern" hieß es damals. Aber natürlich nur von den Deutschen. Für die Migraten wurde das Fordern dann abgeschafft.