Soziale Politik

Bürgergeld-Kürzung: Warum Hubertus Heils Pläne verfassungskonform sind

Eigentlich darf das Bürgergeld nicht völlig gestrichen werden - außer wenn das Angebot einer zumutbaren Arbeit abgelehnt wird. Das will Arbeitsminister Hubertus Heil jetzt ermöglichen.

 

von Christian Rath · 2. Januar 2024
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das Bürgergeld reformieren: „Es kann nicht sein, dass eine kleine Minderheit das ganze System in Verruf bringt.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das Bürgergeld reformieren: „Es kann nicht sein, dass eine kleine Minderheit das ganze System in Verruf bringt.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will Bürgergeld-Bezieher*innen die Leistung vollständig streichen, wenn eine zumutbare Arbeit abgelehnt wird. Das ist mit dem Grundgesetz vereinbar, auch wenn das Bundesverfassungsgericht 2019 die Totalstreichung des Existenzminimums überwiegend verboten hat. 

Heil: System nicht in Verruf bringen

Der Gesetzentwurf, den Minister Heil am 28. Dezember 2023 vorlegte, sieht vor, dass der Regelsatz des Bürgergelds vollständig gestrichen wird, „wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“. Das Bürgergeld soll dann laut Gesetzentwurf maximal zwei Monate entfallen. „Es kann nicht sein, dass eine kleine Minderheit das ganze System in Verruf bringt“, sagte Heil zur Begründung. 

2019 befasste sich das Bundesverfassungsgericht eingehend mit Sanktionen beim Bürgergeld-Vorgänger, dem Arbeitslosengeld 2, auch Hartz IV genannt. Das Gericht kam zum Schluss, dass nach Pflichtverletzungen allenfalls eine 30-prozentige Kürzung der existenzsichernden Leistung möglich sind. Es gebe keine Erkenntnisse, dass eine 60-Prozent-Kürzung oder gar eine völlige Streichung zu sinnvollen Ergebnissen führe. Im Gegenteil: Häufig verelenden Betroffene, verlieren ihre Wohnung, brechen den Kontakt zu den Behörden ab oder werden sogar kriminell. 

Leistungsberechtigte haben es in der Hand

Ist Heils Plan also verfassungswidrig? Nein, denn bei einer Art der Pflichtverletzung ist laut Bundesverfassungsgericht eine Totalstreichung des Regelsatzes als Sanktion möglich: Wenn die „Aufnahme einer angebotenen zumutbaren Arbeit“ abgelehnt wird. Denn damit haben es Leistungsberechtigte in der Hand, ihre menschenwürdige Existenz selbst zu sichern. 

Nicht zulässig wäre eine Totalstreichung als Sanktion jedoch, wenn lediglich Meldefristen versäumt oder Fortbildungsangebote abgelehnt werden. Tatsächlich soll hier auch weiterhin höchstens eine 30-prozentige Streichung des Bürgergeldes möglich sein. Wenn Minister Heil behauptet, sein Plan richte sich gegen „Totalverweigerer“, die „alle Angebote“ ablehnen, ist das falsch. Die Verschärfung bezieht sich ausschließlich auf die Verweigerung von Arbeitsangeboten und ist deshalb auch mit dem Grundgesetz vereinbar.

Heils Plan entspricht Karlsruher Vorgaben

Auch sonst wird Heils Plan den Karlsruher Vorgaben gerecht. In Härtefällen, etwa bei psychischen Beeinträchtigungen, darf das Bürgergeld nicht gestrichen werden. Auch bei einer Totalstreichung des Regelsatzes muss der Staat für die Miete weiter aufkommen, damit nicht die Wohnung verloren geht. 

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6 Kommentare

Gespeichert von Elias Hallmoser (nicht überprüft) am Di., 02.01.2024 - 13:53

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Sowie auch noch, wer mutet jemandem da eine 'zumutbare' Arbeit zu? Etwa Sachbearbeiter der Job-Center, die geringer qualifiziert sind als mancher ihrer 'Kunden'?

Und was genau ist eine 'angebotene' Arbeit? Etwa die sattsam bekannte Verramschung an eine Zeitarbeitsfirma, die gar kein konkretes Angebot hat, sondern mit den ihr zugeschobenen Arbeitskräften sich selbst einen Auftrag von ihren Kunden sichern will?

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mi., 03.01.2024 - 08:05

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das BVG abschließend entscheiden wird, und Schneider hat schon angekündigt dass sein Verband das BVG anrufen wird, sollte Wirklichkeit werden, was hier als Absicht in den Raum gestellt wird. Ich setzte große Hoffnungen auf unsere Fraktion im BT, Mützenich wird ihn schon wieder auf den Grund des Sozialstaats zurückholen, unseren Arbeitsminister, der sich hier verrannt hat. Nich Kürzungen, sondern Erweiterungen des Sozialstaats sind geboten, angesichts der um sich greifenden Verelendung weiter Massen- jetzt auch wieder befeuert durch die ausgrenzend wirkende Erhöhung der Steuern auf Gaststättenverzehr sowie Strom und Gas. Allein diese drei Punkte bedingen mE unweigerlich einen sozialen Ausgleich, um die gleichberechtigte Teilnahme am soziokulturellen leben sicherzustellen für alle Menschen, die hier sind bzw die Absicht haben, zu uns zu kommen. Wir brauchen mehr Soziales, nicht weniger. Das war auch Beschlusslage des Parteitags vor wenigen Wochen

Art 1 GG verpflichtet zur Wahrung der Menschenwürde. Die Folgen einer Leistungsstreichung ( wenn auch nur für 2 Monate ) müssen also berücksichtigt werden. Abrutschen in Verbrechen ist dann leicht möglich. Auch weitere menschenfeindliche,bzw. Art.1 GG widersprechede Folgen ( vgl. auch das genannte BVGurteil aus 2019 ) werden möglich. Totalverweigerer mögen vielleicht nicht nur politisch sondern auch menschlich gesehen schwer zu begreifen und zu akzeptieren sein,das GG, Menschenwürde als wichtigster Verfassungsartikel , beschützt diese aber auch.

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Mi., 03.01.2024 - 09:12

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Eigentlich sollte es Hubertus Heil darum gehen, sozialpolitische sinnvolle und von den Grundwerten der SPD geprägte Politik zu betreiben. Dass er hier herausstreicht, sich (gerade noch) im Rahmen der verfassungsmäßigen Grenzen zu bewegen, ist ein Offenbarungseid. Er läuft dem unsozialen populistischen Trend hinterher. Dadurch wird die Regierung und die SPD nicht besser, sondern noch schlechter dastehen.

Vermutlich weiß Hubertus Heil ganz genau, dass die Minderheit, von der er hier spricht, tatsächlich extrem klein ist. Er wird wissen, dass nur ein verschwindend geringer Teil derjenigen, die eine Arbeit ablehnen, dies tun, obwohl sie ohne Zumutungen arbeiten könnten. Das würde ihm jedenfalls die Administration aus den Jobcentern und AA melden. Die Regelung dürfte damit weitgehend leer laufen. Übrig bleibt nur die polarisierende und auf Sündenböcke zielende politische Botschaft, die in keiner Weise eine sozialdemokratische Botschaft ist.

Von daher ist wenig erstaunlich, dass die SPD in der jüngsten Sonntagsfrage von civey in Sachsen bei 3 % angekommen ist. Die AfD ist jetzt bei 37 %, also mehr als dem zwölffachen der SPD. AfD und CDU zusammen kommen auf 70 %.

Glaubt hier wirklich noch jemand, dass die SPD aus diesem Tal der Tränen herauskommt, indem sie den Parolen der Rechten und der Neoliberalen hinterherläuft und jede Regierungsbeteiligung unbeschadet miserabler Wahlergebnisse vor sozialdemokratischen Inhalten priorisiert?

Gespeichert von Yannik Muche (nicht überprüft) am Mi., 03.01.2024 - 11:35

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In der vom BVerfG aufgestellten Ausnahme, die einen vollständigen Leistungsentzug rechtfertigen könnte, muss die abgelehnte Arbeit nicht bloß zumutbar, sondern zudem auch "tatsächlich existenzsichernd" sein (BVerfG 152, 68, Rn. 209*^1). Der in Heils Referentenentwurf stehende Passus, wonach für den Wegfall des Regelbedarfes die abgelehnte angebotene Arbeit gerade nicht zu einer "unmittelbaren Überwindung der Hilfebedürftigkeit" (RefE S.8*^2) führen müsse, widerspricht somit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen.

*^1: BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 05. November 2019 - 1 BvL 7/16 -, https://www.bverfg.de/e/ls20191105_1bvl000716.html
*^2: (RefE, Entwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024, Beitrag BMAS Abteilung II "Arbeitsmarkt", https://www.tacheles-sozialhilfe.de/files/Aktuelles/2023/Entwurf-Zweite…

*

Gespeichert von Günter Mönch (nicht überprüft) am Do., 04.01.2024 - 11:06

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Mein Selbstverständnis war und ist: Bürgergeld bekommt der der nicht arbeiten kann / darf. Ich gehe fest davon aus, dass dies nachgewiesen werden muß bevor der Bezug beginnt und natürlich auch während dessen immer wieder neu. Wir müssen uns doch bemühen, dass die Mittel für die Bedürftigen ausreichen.
Alles andere ist nicht sozial.