Erneuerung der SPD: Fünf Rezepte für den Weg aus der Krise
Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl steht die SPD vor einem Neuanfang, mal wieder. Kommunikationsexperte Mattheus Berg hat fünf Vorschläge, wie die „alte Tante“ endlich aus der Krise kommt.
Florian Gaertner/photothek.de
Die SPD steht nach der Niederlage bei der Bundestagswahl mal wieder vor der Erneuerung.
Sozialdemokrat*innen sind gute Verlierer*innen. Für das Szenario einer historischen Wahlniederlage gibt es fast schon so etwas wie eine Choreografie. Davon gab es in den vergangenen Jahren schließlich so viele, dass es zur Gewohnheit geworden ist, reflexhaft die Erneuerung der SPD zu beschwören, die existenzielle Krise festzustellen und den Anspruch zu erheben, wieder eine „Volkspartei“ zu werden.
SPD leidet unter Mangel an Erkennbarkeit
Die Krise als Normalität. Nicht einmal mehr die Klatschpresse interessiert sich weitergehend für die Krise der SPD. Die Abgesänge in Leitartikeln werden weniger. Gibt es etwa nichts mehr abzusingen? Hubertus Heil hat es auf dem Bundesparteitag auf den Punkt gebracht: „Wir sind zu langweilig.“
Die SPD spricht – aber es ist, als würde sie es in Watte tun. In Phrasen, die durch Funktionär*innen geglättet wurden. In Halbsätzen, die keine Haltung mehr riskieren. Dann geht es hier um „Teilhabe”, da um „soziales Gestalten”. Es ist nicht der Mangel an Kompetenz, der der SPD das Genick bricht. Es ist der Mangel an Erkennbarkeit. Sie wirkt heute wie eine Partei, die alles sagen will, ohne etwas auszusprechen. Die manchmal weiß, was falsch läuft, aber nicht mehr, wie man es so formuliert, dass es hängen bleibt.
Die Sprache der SPD geht ins Leere
Die SPD leidet an einer Sprache, die niemanden berührt. Die ins Leere geht, weil sie niemanden adressiert. Weil sie im Versuch, verantwortungsvoll zu klingen, ankommt wie ein Versicherungsprospekt. Und weil sie stellenweise eine Scham für diejenigen entwickelt hat, die sie mal vertreten wollte. Dabei verhält sie sich antizyklisch. Charakter hat Konjunktur. Das zeigt nicht zuletzt die steigende Popularität einer mit rauchiger Stimme „Morjeeeen” rufenden Altenpflegerin aus der Städteregion Aachen, der SPD-Bundestagsabgeordneten Claudia Moll. In Zeiten der Neuordnung sehnen sich Menschen nach Ecken und Kanten, nach etwas Greifbarem. Ein glattgestriegelter Lebenslauf berührt vielleicht das eigene Ego, aber eben keine Herzen.
Das mag manch einer als ästhetische Frage abtun. Doch die Konsequenz dieser Sprachlosigkeit ist ein Zusammenbruch der eigenen Diskursmacht. Beim Heizungsgesetz oder den Bauernprotesten im vergangenen Jahr konnten wir in Echtzeit eine Fallstudie erleben: Sind die eigenen Fakten nicht mehr verteidigungsfähig, ist eine Regierung nicht mehr mehrheitsfähig.
Die SPD in parteigewordener Schockstarre
Das zeigt auch die aktuelle Debatte um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts. SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf wird von einer vereinigten Rechtsfront wider jeder Faktenlage als „ultralinke Aktivistin“ gebrandmarkt. Die Antwort der SPD-Führung ließ lange auf sich warten. In den Reihen von Fraktion und Partei gab es differenzierte Statements in irgendwelchen Verteilern. Aber eine Teilnahme an der öffentlichen Debatte findet auch deshalb meist zu spät statt, weil die SPD grundsätzlich nicht mehr öffentlich handelt.
Man bekommt das Gefühl, Mandats- und Parteipolitiker*innen würden eine Privatpolitik zur eigenen Befriedigung veranstalten. Es gibt keine Kanäle, keine Verstärker, kein Vorfeld und deshalb auch keine Reichweite. Und auch niemanden, der überhaupt wüsste, wie sowas aussehen könnte. Die Antwort auf wuchernden Trumpismus ist parteigewordeme Schockstarre.
Die SPD braucht wieder ein Narrativ
Es geht dabei nicht nur um eine bessere Kommunikation. Es geht darum, die SPD wieder in die Lage zu versetzen, politische Deutungshoheit zu erlangen. Dafür braucht sie mehr als gute Argumente – sie braucht ein Narrativ, das nicht erklärt, sondern erzählt. Nicht rechtfertigt, sondern verankert. Das ist vielleicht auch der Grund, warum unser Berufsstand der Kommunikationsberater*innen auch mit den besten Konzepten allein nicht ans Ziel kommen wird. Zwar muss die Partei mit Sicherheit auch als Marke neu aufgestellt werden, aber um eine Organisation technisch zu entwickeln, braucht es erstmal Treibstoff. Es braucht Seele, Leidenschaft und Pathos.
Wo fängt man da an? Vielleicht bei Wut. Wut aufeinander, Wut auf die Ungerechtigkeiten dieser Welt und auf all die Leute, die uns Glauben gemacht haben, wir müssten bloß mit dem Strom schwimmen, um in den Hafen gespült zu werden. Die Rettung der SPD beginnt bei offen ausgetragenem Streit. In vollen Hallen, in denen ungefilterte Emotionen hochkochen, in denen dazwischengerufen wird, in denen es auch mal persönlich wird. Bei 13 Prozent gibt es wirklich keinen einzigen Grund mehr, sich auf die Schulter zu klopfen.
Die SPD muss wieder unbequem sein
Die SPD hat keine Zeit mehr, um auf bessere Umfragen zu warten. Sie braucht keine empathische Berater-Inszenierung, keine rückwärtsgewandte Willy-Brandt-Melancholie, sondern einen kulturellen Reset. Und dafür müsste man sich trauen, wieder Dinge zu tun, die nicht kalkuliert sind. Wieder unangenehm zu sein. Wieder unbequem.
Was also tun? Die Antwort liegt nicht in noch mehr Positionspapieren, sondern in einer neuen politischen Kultur – einer, die wieder den Mut zur Unterscheidbarkeit hat. Die SPD muss aufhören, so zu tun, als ließe sich Diskursmacht durch vorsichtige Abmilderung und einen guten Eindruck zurückerlangen. Es braucht ein Ende der semantischen Narkose.
Erstens: Die SPD braucht eine neue Sprache
Dazu gehört erstens: eine neue Sprache, jenseits der vertrauten Funktionärsfloskeln. Niemand wird durch Begriffe wie „Teilhabe“, „Resilienz“ oder „sozial-ökologische Transformation“ berührt. Diese Sprache wurde nie für Menschen geschrieben, sondern für Papier. Die SPD braucht wieder Begriffe, die nach Leben klingen, nach Alltag, nach Wut und Hoffnung. Eine Sprache, die am Küchentisch Bestand hat.
Zweitens: Die SPD braucht eine neue Nähe
Zweitens: eine neue Nähe. Die SPD darf sich nicht länger in ihren eigenen Formaten und Kreisen erschöpfen. Kommunalpolitik und Ortsvereine machen oft großartige Arbeit – aber sie brauchen neue Plattformen, Sichtbarkeit, ein offenes Ohr von oben. Statt einmal im Jahr an der Basis vorbeizureferieren, sollten Bundespolitiker*innen regelmäßig im Schulterschluss mit lokalen Akteur*innen auftreten – als Mitwirkende, nicht als Durchreisende. Dazu braucht es auch eine neue Beziehung zu Kunst, Kultur und Intelligenzia. Roland Kaiser ist zweifellos eine Ikone, aber er ersetzt eben keine tiefgreifenden Netzwerke in den Kulturbetrieb, wie sie etwa ein Carsten Brosda als Hamburger Kultursenator pflegt.
Drittens: Die SPD braucht eine digitale Wiedergeburt
Drittens: eine digitale Wiedergeburt. Die SPD hat die Debattenhoheit im Netz an andere verloren. Es genügt nicht, im Rückblick TikTok für gefährlich zu halten. Wer junge Menschen ernst nehmen will, muss auf ihren Kanälen, mit ihrer Sprache und mit der richtigen Haltung sichtbar sein. Aber nicht aufgesetzt und anbiedernd, sondern glaubwürdig. Dafür braucht es junge Gesichter, schnelle Reaktionsfähigkeit, pointierte Kommunikation, aber auch den Mut, in Echtzeit mit Positionen sichtbar zu werden, bevor die Narrative der Rechten dominieren.
Viertens: Die SPD braucht eine neue strategische Klarheit
Viertens: eine neue strategische Klarheit. Die SPD muss sich entscheiden: Für wen macht sie eigentlich Politik? Für alle? Das klingt nett, ist aber strategisch tödlich. Eine Partei, die jedem alles verspricht, gibt am Ende niemandem etwas. Will man die Partei der Benachteiligten sein? Die der Aufsteiger*innen? Oder doch die Partei der Industriearbeiter*innen? Die SPD hat zu oft versucht, es allen recht zu machen – und dabei ihre eigene Stimme verloren.
Fünftens: Die SPD muss wieder emotionalisieren
Fünftens: Die emotionale Rückeroberung der eigenen Herkunft. Die SPD hat über Jahrzehnte gelernt, rational zu argumentieren und dabei verlernt, emotional zu berühren. Sie war mal die Partei, die den Leuten ein Versprechen gab: Dass man nicht allein ist. Dass Gerechtigkeit mehr ist als Excel-Modell und Gini-Koeffizient. Dass der Aufstieg möglich und erstrebenswert ist.
Für Kinder von Kassiererinnen und Fabrikarbeitern, für Migrantenkinder, für Menschen, die es allein nicht schaffen. Dieses Versprechen war keine Formel, sondern eine Erzählung. Eine Haltung. Und ein tiefes Gefühl. Für viele ist diese Erzählung Wirklichkeit geworden. Deshalb braucht die Sozialdemokratie eine Verankerung in diesen Erfolgsgeschichten.
Die SPD kann neu beginnen, wenn sie sich nicht versteckt
Man muss sich in diesen Tagen nochmal klarmachen, dass eine Partei nicht verloren ist, weil sie verliert. Sondern weil sie das Siegen verlernt. Weil sie sich eingerichtet hat im Erklärmodus. Weil sie glaubt, allein mit Rationalität die Wirklichkeit zu beherrschen. Während andere längst verstanden haben, dass Politik ein Resonanzraum ist. Dass Bedeutung nicht entsteht, weil etwas sachlich stimmt, sondern weil es etwas auslöst.
Aus dem Schiffbruch einen Aufbruch zu machen, wird nicht leicht. Die gute Nachricht ist: Die Werkzeuge dafür gibt es längst. Die richtigen Leute auch. Zumindest irgendwo. Was fehlt, ist Mut zur Klarheit, zur Emotion, zum Risiko. Die SPD kann neu beginnen. Aber nur, wenn sie aufhört, sich vor sich selbst zu verstecken.