Parteileben

Erneuerung der SPD – aber wie?

Beim Parteitag der SPD an diesem Wochenende steht die Neuaufstellung nach der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl im Mittelpunkt. Worauf kommt es dabei an? Wir haben uns an der Parteibasis umgehört.

SPD-Logo im Schatten

Wie kommt die SPD wieder aus dem Tief? Die Parteibasis hat viele Vorschläge.

Ende März trifft Anab Awale eine Entscheidung: Die Bezirksverordnete aus Berlin-Mitte tritt nach 13 Jahren aus der SPD aus, zieht sich aus ihren Ämtern zurück und legt zwei Monate später ihr Mandat nieder. Dabei hatte sie erst ein Jahr zuvor den Helene-Weber-Preis erhalten – für ihr herausragendes kommunalpolitisches Engagement. „Ein Schritt, der mir nicht leichtfällt, aber notwendig geworden ist“, schreibt Awale damals zu ihrem Austritt auf Instagram. Die SPD sei nicht mehr der Ort, an dem sie für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität kämpfen könne. Was war passiert? 

Die SPD hält ihre eigenen Ansprüche nicht ein

Im Gespräch mit dem „vorwärts“ erklärt die 42-Jährige, sie habe schon länger mit den Strukturen in der Partei gehadert. „Politik wird bei der SPD nicht mehr gestaltet, sondern verwaltet“, sagt sie. „Die SPD hält den Anspruch, den sie nach außen vertritt, nach innen nicht ein.“ Nach außen wolle sich die Partei als Mitgliederpartei begreifen, die ihre Entscheidungen auf Grundlage der Basis fällt. Tatsächlich sei parteiintern kaum Raum, Debatten auszutragen.

„Was der SPD fehlt, ist eine Kultur des Streits, eine innerparteiliche Demokratie, in der Differenzen nicht als persönliche Attacke wahrgenommen werden, sondern als Bereicherung“, sagt Awale. Sie habe das Gefühl, aus sozialdemokratischer Tradition „mit echten Visionen“ sei irgendwann „nur noch Folklore“ geworden. „Die SPD muss endlich merken, dass Erneuerung nicht mit Slogans funktioniert, sondern nur, indem man Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt.“

Die „schmerzhafte Niederlage“ bei der Bundestagswahl aufarbeiten

Kritik wie dieser will die SPD begegnen, indem sie ein neues Kapitel aufschlägt. Erneuerung ist die Überschrift, unter der sich die Delegierten an diesem Wochenende zum  Bundesparteitag in Berlin treffen. Der Leitantrag gibt den Takt vor für eine umfassende Neuausrichtung, mit der die SPD ihre „schmerzhafte Niederlage“ aufarbeiten will: das historische schlechte Ergebnis von 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl im Februar.

„Veränderung beginnt mit uns“, lautet die Überschrift des Antrag. „Die SPD hat substanziell Vertrauen verloren – inhaltlich, organisatorisch und kommunikativ“, heißt es darin. Die Gründe dafür seien hausgemacht: Zu wenig Klarheit in der Strategie, zu wenig Präsenz in den Lebenswelten jener Menschen, die einst Stammwähler waren – also Arbeitnehmer, Gewerkschafterinnen, sozial Benachteiligte. „Wir wollen neu beginnen mit einer klaren Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, mit organisatorischer Erneuerung und mit einer zugewandten und offenen Kommunikation auf Augenhöhe.“

Ein neues Grundsatzprogramm als Wegweiser

Ein neues Grundsatzprogramm soll diese Vision in Worte fassen und das Hamburger Programm von 2007 ablösen. Federführend ist der neue Generalsekretär. „Wir müssen eine Antwort darauf finden, wie wir unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der heutigen Zeit verstehen“, sagt Tim Klüssendorf. Man habe sich zu sehr darauf verlassen, dass Politik für einzelne Zielgruppen in der breiten Gesellschaft Rückhalt findet. „Uns fehlt zurzeit die Klammer, um all die einzelnen – sicher richtigen – Vorhaben unter einer Überschrift zusammenzubinden.“

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Inhaltlich subsummieren, aber auch strukturell integrieren – das fordern einige Stimmen an der Basis. Ali Dogan wurde 2023 zum Landrat im ostwestfälischen Kreis Minden-Lübbecke gewählt, ist deutschlandweit der erste Landrat mit Migrationsgeschichte. Er fordert, dass die SPD die 24 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationsgeschichte glaubhafter repräsentiert. „Es gibt Tausende von geeigneten Menschen an der Basis. Da müssen wir strukturell noch mal ran in der Partei“, sagt er. Jette Wagler hingegen findet, die SPD sollte feministischer werden. Die stellvertretende Vorsitzende der Jusos Baden-Württemberg macht bei der Initiative „SPD 2029“ mit, bei der sich vor allem junge Menschen für die Erneuerung der SPD engagieren.

Das Grundsatzprogramm sollte die Rolle der Frauen in der SPD stärker betonen, sagt sie, und die Partei sollte Frauen personell stärken beteiligen. „Wir fahren mit der paritätischen Besetzung für Ämter schon gut, aber das reicht nicht aus“, sagt Wagler. Immer noch würden Frauen in Verantwortung kritischer beurteilt als ihre männlichen Kollegen. „Dass wir das innerhalb unserer Partei ebenso tun, finde ich nicht in Ordnung.“

Neue Kommunikation: Klare Sprache statt Floskeln

Grundlegend überarbeiten will die SPD auch ihre Kommunikation. „Als Partei sollten wir deutlich klarer in unserer Ansprache werden und transparenter über Zusammenhänge sprechen, statt uns in Floskeln zu verlieren“, kritisiert der neue Generalsekretär Klüssendorf. Ein Dialog auf Augenhöhe also, der Vertrauen stiftet – wie das geht, erklärt Erik Flügge mit einer abstrakt klingenden Formel. „Vertrauenswürdigkeit ist die Summe aus Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Nahbarkeit geteilt durch Selbstbezogenheit“, sagt er. Flügge ist Sozialdemokrat und Kommunikationsberater. Mit seiner Agentur „Squirrel & Nuts“ berät er SPD-Kandidaten und -Gliederungen von der kommunalen bis zur Bundesebene.

„Sozialdemokraten, die sagen, sie stehen für eine Gesellschaft der Gemeinschaft, müssen sich, um glaubwürdig zu sein, selbst viel in Gemeinschaft bewegen“, sagt er. Das funktioniere am besten bei Begegnungen mit den Menschen vor Ort. „Wir müssen unseren Genossinnen und Genossen wieder Mut machen, dass schon ein kleines Stadtteilfest, das sie organisieren, bei dem sie Waffeln backen und Bratwürste grillen, politisch ist“, sagt er. Denn genau aus dieser Gemeinschaft vor Ort entstehe Glaubwürdigkeit und Nahbarkeit. Und Verlässlichkeit? „Was wir sagen, muss auch stimmen und eintreten“, fordert Flügge.

Die SPD muss frecher auftreten

Wie wichtig Außenwirkung und der enge Austausch mit den Menschen sind, weiß Tobias Schick nur zu gut. Vor drei Jahren gewann er die Wahl zum Cottbuser Oberbürgermeister mit knappem Vorsprung vor der AfD. Heute sagt er: „Ich habe nicht gewonnen, weil, sondern obwohl ich in der SPD bin.“ In der Kommunalpolitik zählten überzeugende Persönlichkeiten oft mehr als die Parteizugehörigkeit. Beim direkten Austausch mit den Menschen, im Analogen und im Digitalen, habe er immer wieder gemerkt: Will die SPD mehr Menschen erreichen und von sich überzeugen, müsse sie kämpferischer und frecher auftreten.

„Wer denkt, wir müssen einen besonders intellektuellen Zugang zu den Problemen und Themen in unserer Gesellschaft finden, liegt falsch“, sagt der 45-Jährige. Statt staatstragend zu sein, müsse die Partei auch „zackige“ Beiträge auf Social Media wagen und unbequeme Debatten. „Wir brauchen mehr Mut zum Populismus, ohne dabei unseren Wertekompass zu verlieren und die nötige Differenzierung vieler Probleme zu vernachlässigen.“

Ländliche Strukturen stärken 

Nicht nur in Cottbus wird die SPD von der AfD bedrängt. Nach der Bundestagswahl sitzen statt zehn nur noch vier SPD-Abgeordnete aus Brandenburg im Bundestag. „Es müssen Lösungen gefunden werden, wie wir als SPD auch in ländlichen und strukturschwachen Regionen sichtbar und ansprechbar bleiben“, betont deswegen Kerstin Weide, Regionalgeschäftsführerin der SPD Oberspreewald-Lausitz.

Um die Strukturen im Ländlichen zu stärken, hatte der Parteitag schon 2023 wichtige Änderungen beschlossen. Sie zahlen sich heute in Brandenburg aus, wo einheitliche technische Abläufe und Programme den Mitarbeitern die Arbeit vor Ort erleichtern. So benutzt die Geschäftsstelle der Unterbezirke Cottbus und Spree-Neiße dieselbe Software wie die Parteizentrale in Berlin. „Auf diesem Gebiet ist die SPD Brandenburg bundesweit ein Vorreiter“, sagt Weide. 

Ehrenamtliche entlasten

Diese Entwicklung will die SPD fortsetzen. Mit einem Parteitagsbeschluss sollen die Ortsvereine gestärkt werden. „Funktionierende Ortsvereine sind das Rückgrat unserer Parteiorganisation“, heißt es in dem Papier. Bundesweit hat die SPD rund 7.500 Ortsvereine, doch vor allem im ländlichen Raum können sie oft nicht wirksam arbeiten, weil Mitglieder fehlen. Florian Fahrtmann, Generalsekretär der SPD in Sachsen-Anhalt, überlegt deshalb, ob nicht eine andere Struktur sinnvoller wäre.

„Bekommt man die Leute nicht eher projektbezogen in ein anderes Gremium?“, fragt er. So oder so sei es wichtig, Ehrenamtliche von administrativen Aufgaben zu entlasten. „Die Partei muss Politik machen können, ohne sich in Organisation zu verlieren.“ Positiv erwähnt er Tools wie den „Easy-Mailer“, die „Web-Kasse“ oder den „Mobi-Planer“, die der Parteivorstand zuletzt geschaffen hat, um Prozesse zu vereinfachen, zu digitalisieren und zu beschleunigen. 

Weil Zusammenhalt vor Ort entsteht, will die Parteispitze Kommunalpolitiker stärker in inhaltliche und organisatorische Entscheidungen einbinden. Landrat Ali Dogan sieht darin eine Chance. „Das würde helfen, weil man so die Basis ein Stück weit mehr hören würde“, sagt er. Dort gebe es genügend Menschen mit Charisma, die ihre Nachbarn überzeugen und motiviert für die SPD kämpfen. Damit sich aber auch wirklich etwas ändert, hat Dogan noch einen weiteren Vorschlag: Bei Parteitagen sollten nur noch Ehrenamtliche als Delegierte über die Ausrichtung der Partei entscheiden.

Autor*in
Jonas Jordan und Nils Michaelis

sind Redakteure des „vorwärts“.

Autor*in
Kai Doering und Lea Hensen

sind Redakteur*innen des „vorwärts"

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