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Brasilien: Warum nach Trumps Wahlsieg auch ein Comeback Bolsonaros droht

Der erneute Wahlsieg von Donald Trump in den USA beflügelt auch die extreme Rechte in Brasilien. Der Regierung von Präsident Lula drohen dadurch neue Konflikte. Könnte es wirklich zu einem Comeback von Ex-Präsident Bolsonaro kommen?

von Jan Souverein · 21. November 2024
Eigentlich ist Ex-Präsident Jair Bolsonaro für acht Jahre von allen politischen Ämtern gesperrt. Er erfährt jedoch weiterhin viel Unterstützung.

Eigentlich ist Ex-Präsident Jair Bolsonaro für acht Jahre von allen politischen Ämtern gesperrt. Er erfährt jedoch weiterhin viel Unterstützung.

Die Parallelen sind unübersehbar und deuten auf kommende Herausforderungen hin: Wie in den USA sind Gesellschaft und Politik in Brasilien tief gespalten, mit einer erstarkten rechtsextremen Bewegung, die breite Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Brasiliens Rechte, angeführt vom rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro und seinen Anhänger*innen, schaut traditionell mit Bewunderung und Zugehörigkeitsgefühlen auf die USA, die Republikanische Partei und Donald Trump. 

Diese dienen nicht nur als Inspirationsquelle, sondern prägen auch den politischen Diskurs und die Strategien der brasilianischen Rechten. Hinzu kommen zahlreiche persönliche und institutionelle Verbindungen. Nach Trumps Wahlsieg drohen Brasilien nun Herausforderungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene.

Bolsonaro für acht Jahre gesperrt

Im Januar 2023, zwei Jahre nach dem Sturm auf das US-Kapitol und dem gescheiterten Staatsstreich der Anhänger*innen von Donald Trump, kam es in Brasilien zu einem ähnlichen Umsturzversuch von rechts. Anhänger*innen des abgewählten Präsidenten Bolsonaro griffen nach seiner Wahlniederlage die wichtigsten Regierungsgebäude an – Parlament, Präsidialamt und den Obersten Gerichtshof – und versuchten, die Machtübergabe an den Wahlsieger Lula zu verhindern

Wie nach dem 6. Januar 2021 in den USA gab es auch in Brasilien zahlreiche Verhaftungen. Von 2000 festgenommenen Brasilianer*innen sind knapp 300 weiterhin inhaftiert. Es gibt aber einen herausragenden Unterschied zu den USA: Anders als Trump wurde Bolsonaro vom Obersten Wahlgericht Brasiliens für acht Jahre von der Ausübung politischer Ämter gesperrt.

Lulas Sympathie für Kamala Harris

Vor diesem Hintergrund gab Präsident Luiz „Lula“ da Silva vor den Wahlen öffentlich bekannt, dass er auf einen Wahlsieg von Kamala Harris hoffe, da dieser die Demokratie in den USA stärken werde. Auch innerhalb seiner Arbeiterpartei (PT), die zwar ein distanziertes Verhältnis zur Demokratischen Partei pflegt – im Gegensatz zu den engen Verbindungen zwischen der brasilianischen und der US-amerikanischen Rechten –, gab es viel Sympathie für die Symbolkraft der ersten schwarzen Frau im Weißen Haus. 

Lula führte weiter aus, Trump habe den demokratischen Charakter der USA beschädigt und Lügen ins Zentrum der Politik gerückt. Es drohe die Rückkehr von Nazismus und Faschismus im neuen Gewand.

Zeichen stehen auf Konfrontation

Nichtsdestotrotz erkannte er nach den Wahlen das Ergebnis rasch an und gratulierte Trump – anders als Bolsonaro, der 2020 mehr als einen Monat verstreichen ließ, bis er Biden zum Wahlsieg gratulierte. Lula betonte anschließend die Wichtigkeit einer respektvollen und zivilisierten Beziehung der beiden Staatsoberhäupter. Er verwies dabei auf seine Beziehung mit George W. Bush, mit dem er trotz politischer Differenzen eine außerordentlich gute Beziehung gepflegt habe. 

Dennoch stehen die Zeichen auf Konfrontation: Während des brasilianischen Wahlkampfs 2022 bezeichnete Trump Lula, den er „Lulu“ nannte, als „verrückten Linksradikalen“ und sprach Bolsonaro offen seine Unterstützung aus.

Bolsonaro will Urteil aufheben lassen

Bolsonaro wurde von der internationalen Presse oft als „Trump der Tropen“ bezeichnet, eine Anspielung auf ihr ähnliches politisches Profil. Entsprechend begrüßte Bolsonaro begeistert den Wahlsieg seines amerikanischen Pendants. Bolsonaro behauptet, dass er und die brasilianischen Rechtsextremen, ebenso wie Trump in den USA, den wahren Volkswillen repräsentieren. 

Im Gegensatz dazu seien die Linken – etwa Lulas Regierung in Brasilien und die Demokraten in den USA – von der Bevölkerung entfremdet. Daher würden sie versuchen, die Anführer der rechten Bewegungen von der Teilnahme an den Wahlen auszuschließen: In Trumps Fall ohne Erfolg, in Bolsonaros Fall hingegen erfolgreich. Mit diesem Narrativ versucht Bolsonaro, Trumps Sieg als Rückenwind für sein eigenes zentrales politisches Ziel zu nutzen: die Aufhebung des Urteils, das ihn von politischen Ämtern ausschließt.

US-Wahl mit Auswirkungen auf brasilianische Innenpolitik

Das Wahlergebnis in den USA hat klare innenpolitische Auswirkungen auf Brasilien: Es stärkt und legitimiert die rechtsextremen Kräfte im Konflikt mit der Regierung und der Justiz, die möglicherweise auch auf konkrete Unterstützung aus den USA hoffen können. Der designierte US-Außenminister Marco Rubio ist ein enger Freund von Bolsonaros Sohn Eduardo und dürfte eine harte Linie gegenüber der Regierung Lula einnehmen. 

Eduardo Bolsonaro bringt bereits konkrete Ideen ins Gespräch: Die republikanische Mehrheit im Senat könne Einreisesperren gegen brasilianische Beamte verhängen, die angeblich die Meinungsfreiheit verletzen. Dies zielt vor allem auf das „Supremo Tribunal Federal" ab, Brasiliens Obersten Gerichtshof, dessen Richter Teil des Wahlgerichts sind, welches das Urteil gegen Bolsonaro ausgesprochen hatte.

Brasilien gegen Elon Musk

Das entschlossene Vorgehen der brasilianischen Justiz gegen Desinformation wird unterdessen weiter von Bolsonaros Anhänger*innen angegriffen. Sie werfen dem Obersten Gerichtshof die Verletzung der Meinungsfreiheit und politische Verfolgung vor, da dieser Social-Media-Accounts sperren ließ, die Falschinformationen verbreitet hatten und am Putschversuch vom Januar 2023 beteiligt waren. 

Die Account-Sperrungen führten bereits zur Konfrontation des brasilianischen Staats mit dem Trump-Unterstützer Elon Musk. Nach seinem Kauf von Twitter setzte Musk die gesperrten Konten wieder ein und weigerte sich, weitere von der brasilianischen Justiz angeordnete Sperrungen durchzuführen. Der Streit eskalierte bis hin zur vorübergehenden Sperrung des Zugangs zu Twitter in Brasilien, bis das Unternehmen nach knapp sechs Wochen schließlich den brasilianischen Forderungen nachkam. 

Seither griff Musk wiederholt den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs Alexandre de Moraes an und verglich ihn mit Voldemort, dem Bösewicht aus Harry Potter. Umgekehrt beleidigte die Präsidentengattin Rosângela „Janja“ Lula da Silva ihn während des G20-Gipfels in Rio de Janeiro auf Englisch mit „Fuck you, Elon Musk“. Mit dem voraussichtlich großen Einfluss des Milliardärs in der zukünftigen US-Regierung dürfte der Gegenwind aus den USA stärker werden.

Beim Klimaschutz auf Konfrontationskurs

Die politischen Prioritäten der Regierung Lula – darunter Klimaschutz, Armutsbekämpfung, die Eindämmung der Entwaldung und die Einführung einer Milliardärssteuer – stehen im starken Kontrast zu den absehbaren Positionen der zukünftigen US-amerikanischen Regierung. Ein erneuter Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, zumal wenn der befürchtete Dominoeffekt eintritt und weitere Länder nachziehen, dürfte die Bedeutung der Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien im kommenden Jahr erheblich mindern. 

Auch die Reduktion von US-Finanzmitteln für den Schutz des Amazonas stellt eine Herausforderung für Lulas ambitionierte Klimapolitik dar. Eine isolationistische US-Regierung, die sich aus internationalen Abkommen und Foren zurückzieht oder diese zu schwächen sucht, steht Brasiliens multilateralem Ansatz entgegen. Infolgedessen könnte Brasilien seine Beziehungen zu anderen Verbündeten wie China, Russland und anderen BRICS-Mitgliedern, aber auch zur EU, weiter vertiefen.

Annäherung in Ukraine-Politik möglich

Lediglich hinsichtlich der Ukraine könnte es zu einer Annäherung der Positionen kommen: Lula kritisiert seit jeher die Waffenlieferungen der USA an die Ukraine und tritt für einen schnellstmöglichen Waffenstillstand, für Dialog und Verhandlungen ein. In dieser Hinsicht ist seine Position nicht weit von der Trumps entfernt. Gemeinsam mit China hat Brasilien bereits einen Vorschlag für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unterbreitet. Unter Trump könnte sich die Entwicklung in diese Richtung bewegen, entgegen dem Willen der Ukraine.

Die wirtschaftspolitische Strategie der Trump-Regierung bringt weitere Herausforderungen für Brasilien mit sich. Schon jetzt hat sein Wahlsieg zu einer Aufwertung des US-Dollars gegenüber dem brasilianischen Real geführt, was eine höhere Inflation in Brasilien zur Folge hat. Dieser Trend, der sich bereits im vergangenen Jahr durch eine 20-prozentige Verteuerung des Dollars bemerkbar machte, dürfte durch Trumps Wirtschaftspolitik verstärkt werden. 

Schaden durch Trumps Handelspolitik möglich

Trumps angekündigte Handelspolitik mit Einfuhrzöllen und Handelsbarrieren könnte der brasilianischen Wirtschaft, die stark vom Export nach China und in die USA abhängig ist, weiteren Schaden zufügen. Einerseits könnten durch die Zölle die Exportvolumina in den USA sinken. Andererseits könnte eine durch Handelskonflikte geschwächte chinesische Wirtschaft auch die brasilianischen Rohstoffexporte nach China belasten. Ein Rückgang der Nachfrage oder ein Preisverfall bei Rohstoffen wie Soja, Kupfer und Eisen wäre für Brasilien problematisch, da China ein bedeutender Abnehmer dieser Güter ist.

Angesichts all dieser Herausforderungen wird die brasilianische Diplomatie, wie bereits in der Vergangenheit, eine pragmatische Haltung einnehmen, die die brasilianischen Interessen in den Mittelpunkt stellt und eine möglichst enge und reibungslose Beziehung anstrebt. Unmittelbare Änderungen in Brasiliens Position gegenüber den USA sind nicht zu erwarten – in Anbetracht der Äußerungen Lulas und seiner Gattin sowie des konfrontativen Charakters von Donald Trump und Elon Musk werden die Beziehungen jedoch zweifellos komplizierter und vermutlich zunehmenden Spannungen ausgesetzt sein.

Zuerst erschienen im IPG-Journal.

Autor*in
Jan Souverein

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien. Zuvor leitete er das Büro in Bolivien und war als Projektassistent für die Stiftung in Uruguay tätig.

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