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Auswirkungen der US-Wahl auf die Ukraine: „Man versucht, Trump zu umarmen“

In der Ukraine wird die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA gespalten aufgenommen. Neben der Sorge, bei der Verteidigung gegen Russland fallengelassen zu werden, gibt es auch die Hoffnung, Trump könne den Krieg beenden, berichtet Felix Hett von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

von Kai Doering · 8. November 2024
Vergleiche mit Ronald Reagan: Am Rande der UN-Vollversammlung im September trafen sich der ukrainische Präsident Selenskyj und Donald Trump in New York.

Vergleiche mit Ronald Reagan: Am Rande der UN-Vollversammlung im September trafen sich der ukrainische Präsident Selenskyj und Donald Trump in New York.

Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA klar gewonnen. Wie wurde das Ergebnis in der Ukraine aufgenommen?

Pragmatisch. Präsident Selenskyj war einer der ersten Gratulanten. Man versucht, Trump zu umarmen und an sein Ego als „starker Führer“ zu appellieren. Vergleiche mit Ronald Reagan werden gezogen: Der Republikaner habe „Frieden durch Stärke“ erreicht, in der Hoffnung, dass Trump sich daran orientiert. Kyjiw hat zu dieser Strategie allerdings auch keine Alternative – man ist zu sehr auf die USA angewiesen, und muss sich jetzt mit Trump arrangieren.

Donald Trump hat im Wahlkampf angekündigt, den Krieg mit Russland innerhalb kürzester Zeit beenden zu wollen. Macht das in der Ukraine Hoffnung oder eher Sorge?

Beides. Natürlich haben viele Angst, dass Trump die Ukraine fallenlässt. Andererseits gibt es – von einfachen Soldaten bis hin zu Experten – die Hoffnung, dass der Krieg durch Trump beendet werden kann, auf die eine oder andere Weise. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben – das ist bei vielen die Überzeugung. Im Osten erzielen die Russen stetig Geländegewinne, die Luftabwehr hat erkennbar Probleme, die täglichen Drohnenschwärme abzuwehren, es häufen sich Berichte über Desertionen. Und alle befürchten, dass Moskau nun mit Einsetzen des Winters zum K.O.-Schlag gegen die Energieversorgung ansetzt. Die Einschätzung einer Harris-Administration war, dass sie den bisherigen Kurs fortgesetzt hätte. Und der wurde von einigen mit „Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig“ zusammengefasst. 

Was würde es bedeuten, wenn die Militärhilfe der USA künftig tatsächlich ausbliebe?

Das wäre eine entscheidende Schwächung der Ukraine. Nach allem, was wir wissen, ist Europa nicht in der Lage, die Militärhilfe der USA zu kompensieren. Dabei geht es nicht allein um Geld und Material, sondern auch zum Beispiel um nachrichtendienstliche Kooperation. Insgesamt ist das erste Problem die Kapazität, an zweiter Stelle steht der politische Wille. Letzterer wird vermutlich auch zum Problem, wenn die Unterstützungskoalition nicht mehr durch Washington zusammengehalten wird. 

In seiner Gratulation regte der ukrainische Präsident Selenskij ein baldiges Treffen an. Kann es ihm gelingen, um „Möglichkeiten zur Stärkung der strategischen Partnerschaft zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten zu erörtern“. Kann es ihm gelingen, Trump umzustimmen?

Das wissen wir nicht. Trump wird ja immer als unberechenbar beschrieben. Klar ist: Mit der Mehrheit im Senat hat Trump beste Voraussetzungen, die Ukraine-Politik umzusetzen, die er für richtig hält. Wie auch immer er sich entscheidet.

 

Felix Hett leitet die Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Ukraine und der Republik Moldau.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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2 Kommentare

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am So., 10.11.2024 - 18:49

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Felix Hett von der Friedrich-Ebert-Stiftung legt hier einen schonungslosen, nüchtern-analytischen Bericht vor, der sich, wie ich finde, wohltuend von dem Bellizismus unserer Wortgewaltigen in Presse und Politik abhebt – in zweierlei Hinsicht.
1. Die Ukraine ist ohne die politische, militärische und finanzielle Hilfe der USA nicht überlebensfähig. Es geht „nicht allein um Geld und Material, ... um nachrichtendienstliche Kooperation“, sondern selbst die „Unterstützungskoalition (wird) ... durch Washington zusammengehalten“, weiß Hett. Den Grund der USA kennen wir von Kamala Harris: „Sie müssen verstehen, dass unser Ansatz nicht auf der Tugend der Nächstenliebe beruht. Wir gehen so vor, weil es in unserem strategischen Interesse ist ... Ich bin fest davon überzeugt, dass unser politischer Wille, Bündnisse aufzubauen und aufrechtzuerhalten, dazu beigetragen hat, dass die Vereinigten Staaten das mächtigste und wohlhabendste Land der Welt geworden sind – dass durch diese Bündnisse Kriege verhindert, die Freiheit verteidigt und die Stabilität von Europa bis zum Indopazifik erhalten wurde. Es wäre töricht, all das aufs Spiel zu setzen“ (U.S. MISSION GERMANY FEBRUAR 16, 2024). (Ich überlasse dem Leser diese Harris-Sätze unkommentiert.)

2. Über den Zustand der ukrainischen Bevölkerung und ihrer „Kriegstüchtigkeit“ berichtet Hett fast schon unterkühlt: „Es gibt – von einfachen Soldaten bis hin zu Experten – die Hoffnung, dass der Krieg durch Trump beendet werden kann, auf die eine oder andere Weise. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben – das ist bei vielen die Überzeugung“. Den Krieg auf die „eine oder andere Weise“ zu beenden, spricht nicht zwingend für Durchhaltewillen oder gar Einsicht in die Notwendigleit seiner Fortsetzung in der Bevölkerung. (Was die ukrainische Bevölkerung sagen würde, wenn sie wüsste, dass sie unsere Freiheit, unsere Lebensweise, unsere Sicherheit verteidigt, wie unsere Politiker - auch der SPD - bei jeder Gelegenheit meinen behaupten zu müssen und dürfen, weiß Hett allerdings auch nicht zu berichten.) Die „sich häufenden Berichte über Desertionen“ und die Flüchtlinge zeigen aber eher, dass die Bevölkerung, wenn sie kann, sich dem Zugriff der Staatsgewalt entzieht. Jedenfalls zeigt Hett eine ganz andere Befindlichkeit, als sie Frau Barley am 21.5.24 im Vorwärts vermittelte mit dem Bericht über eine „alte Frau“, die ihr „dort gesagt hat, der Krieg sei schrecklich, aber wenn die Menschen in der Ukraine ihn aushalten könnten, um Putin die Stirn zu bieten, dann (sollten) wir das in Deutschland auch können“.

Ich frage mich, was die Bevölkerung der Ukraine sagen wird, wenn sie in Kürze in dem von Trump ausgehandelten Frieden die Umrisse der im März/ April 2020 begonnenen und kurz darauf abgebrochenen Friedensverhandlungen wiedererkennt. Oder weiß die ukrainische Bevölkerung von diesen Friedensverhandlungen gar nichts?

Hat die deutsche Regierung sich mal zu diesen von der Ukraine abgebrochenen Friedensverhandlungen geäußert?