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Nach der Wahl in Brasilien: Warum kein Militärputsch zu befürchten ist

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori war am Tag der brasilianischen Präsidentschaftswahlen vor Ort. Sie rechnet nicht mit einem Aufruhr nach dem Wahlsieg Lulas, aber sie warnt: Denn Bolsonaro ist noch zwei Monate im Amt.
von Vera Rosigkeit · 2. November 2022

Wie haben Sie die Stimmung am Tag der Präsidentschaftswahl in Brasilien erlebt?

Es gab einen vorsichtigen Optimismus, dass es gut gehen würde. Dennoch war eine Anspannung da, weil es um so viel ging. Das haben wir bei vielen Gesprächen mit Vertreter*innen aus Gewerkschaft, Wissenschaft oder auch Politik gespürt. Zum Beispiel haben wir mit einem Juraprofessor gesprochen, der einmal pro Woche eine Kolumne schreibt, in der er sich auch kritisch mit der Politik Bolsonaros auseinandersetzt. Dafür hat er bereits zwei Klagen gegen sich laufen und hätte bei einem anderen Wahlausgang das Land verlassen müssen. Das war mir persönlich in dieser Dramatik nicht so bewusst, bevor ich vor Ort war. Dazu muss man wissen, wie stark Bolsonaro die demokratischen Institutionen bereits angegriffen hat. Wäre er gewählt worden, hätte er die Möglichkeit gehabt, auch noch einen Teil des Obersten Gerichtshofs mit seinen Leuten zu besetzen. Dieser war in den letzten Jahren noch eine der Instanzen, der versucht hat, demokratische Institutionen zu verteidigen.

Nun wird befürchtet, dass es möglicherweise zum Aufruhr oder Putsch kommt. Wie ist ihr Eindruck?

Ein Militärputsch ist meiner Meinung nach nicht zu befürchten. Das Militär hat mehrfach bekräftigt, dass es nichts unternehmen werde. Der Parlamentspräsident, der Bolsonaro nahesteht, hat das Wahlergebnis bereits anerkannt. Ebenso der Oberste Gerichtshof, der die Anerkennung unmittelbar am gleichen Abend ausgesprochen hat. Von Bolsonaro war bislang noch nichts zu hören. Allerdings ist er auch noch zwei Monate im Amt und hat damit genug Zeit als Präsident noch ordentlich Schaden anzurichten. Mit einer geordneten Amtsübergabe rechnet in Brasilien niemand. Und möglicherweise wird er ähnlich wie Trump in den USA ständig Zweifel am Wahlausgang sähen und Lula als Verbrecher und Lügner vorführen. Größerer Aufstände halte ich aber für unwahrscheinlich, es war auch am Abend der Wahl relativ ruhig in den Straßen Brasiliens.

Reich wählt Bolsonaro, arm wählt Lula. Lässt sich die Spaltung des Landes auf diesen einfachen Nenner bringen?

Geld ist sicherlich der größte Beweggrund für die Wahlentscheidung. Es gibt aber auch andere Milieus. Stark gewonnen hat Bolsonaro bei den Evangelikalen, die nicht unbedingt reich sind. Und mit seinem Leugnen der Corona-Pandemie hat er besonders Menschen im informellen Sektor angesprochen. Es gibt in Brasilien sehr viele Selbstständige wie Uber-Fahrer*innen oder Lieferant*innen. Diese Menschen sind auch nicht reich. Sie erwarten nichts vom Staat, wollen aber auch nicht, dass er ihnen Vorgaben macht, z.B. durch Corona-Sicherheitsmaßnahmen. 

Gerade weil es ein knappes Ergebnis war: Wie groß war die Erleichterung nach dem Wahlsieg Lulas?

Die Freude und Erleichterung war riesig. Es waren Hundertausende Menschen auf der Straße. Da waren viele junge und diverse Menschen dabei und viel internationales Publikum. Lula hat es ja nach dem doch enttäuschenden ersten Wahlausgang geschafft, die anderen Kandidat*innen auf seine Seite zu ziehen und ein breites Bündnis gegen Bolsonaro zu schmieden. Das war eine große Leistung. Aber es hat eben auch diese ganze Breite bedurft, um zu gewinnen. Das zeigt eben auch, dass Kampagnen und Propaganda , die all die Jahre von den Rechten gegen Lula gefahren worden sind, ihre Spuren hinterlassen haben.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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