Sondierungspapier mit der Union: Diese Punkte konnte die SPD durchsetzen
Elf Seiten ist das Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD lang. Auf seiner Grundlage sollen voraussichtlich am Donnerstag die Koalitionsverhandlungen beginnen. Der Blick ins Papier zeigt: Die SPD konnte viele Vorhaben ihres Wahlprogramms einbringen.
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Pressekonferenz am 8. März: Im Sondierungspapier finden sich viele Forderungen der SPD wieder.
16,4 Prozent der Stimmen erhielt die SPD bei der Bundestagswahl. Es war das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Auch für CDU und CSU, die stets gemeinsam bei der Bundestagswahl antreten, lief es nicht viel besser. Mit 28,5 Prozent erzielte die Union ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Und doch scheint das Kräfteverhältnis in einer möglichen Koalition bei einem Abstand von zwölf Punkten klar zu sein.
Der Blick in das elfseitige Sondierungspapier, das die Verhandler*innen von CDU/CSU und SPD am Samstag vorgestellt haben, und das Grundlage für Koalitionsverhandlungen sein soll, zeigt jedoch ein anderes Bild. Zwar hat die Union vor allem in Fragen der Migration ihre Punkte aus dem Wahlkampf durchgesetzt, doch insgesamt finden sich viele Vorhaben der SPD im Sondierungspapier wieder.
Investitionen
Die größte Überraschung gab es bereits mehrere Tage bevor das Sondierungspapier vorgestellt wurde. Schon am Dienstag teilten CDU/CSU und SPD mit, dass sie ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur auflegen und die Schuldenbremse für eine Ausweitung der Verteidigungsausgaben aufweichen wollen. Für beides hatte sich die SPD schon in der Ampel-Koalition eingesetzt, war jedoch an der FDP gescheitert. Und auch die Union hatte sich stets dafür ausgesprochen, Ausgaben allein auf Basis der Einnahmen zu tätigen. „Wie weit wollen wir das eigentlich noch treiben mit unserer Verschuldung?“, hatte CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestagswahlkampf gefragt und sein Generalsekretär Carsten Linnemann hatte betont: „Die CDU steht zur Schuldenbremse.“ Offenbar haben sie ihre Meinung geändert: Nun soll eine Expertenkommission einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickeln.
Strompreise
„Wir werden die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß entfristen“, versprach die SPD in ihrem Programm für die Bundestagswahl. Und genau so soll es laut Sondierungspapier kommen. Zudem sollen die Übertragungsnetzentgelte halbiert und perspektivisch gedeckelt werden – auch das ein Versprechen aus dem Wahlprogramm der Sozialdemokrat*innen. Auf diese Weise sollen die Strompreise für Unternehmen und Verbraucher*innen sinken, was im Ergebnis die Wirtschaft ankurbeln soll. Zudem wollen Union und SPD Erneuerbare Energien deutlich stärker ausbauen, und damit den Kurs der bisherigen Regierung fortsetzen. Von der Forderung der Union, zu prüfen, ob die in 2024 abgeschalteten Atomkraftwerke weiterbetrieben werden könnten, findet sich im Sondierungspapier nichts mehr.
Klimaschutz
In ihrem Sondierungspapier bekennen sich Union und SPD „zu den deutschen und europäischen Klimazielen“ und versprechen: „Wir arbeiten entschlossen daran, diese Klimaziele einzuhalten.“ Deutschland muss demnach bis 2030 seinen CO2-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Bis 2040 müssen die Treibhausgase um 88 Prozent gemindert und bis 2045 soll Treibhausgasneutralität verbindlich erreicht werden. Im Wahlkampf hatten CDU und CSU häufiger Zweifel aufkommen lassen, ob sie diesen Fahrplan einhalten wollen, und unter anderem für eine Ende des Verbrenner-Aus‘ geworben. Im Sondierungspapier verständigten sich Union und SPD im Automobilbereich zwar auf „Technologieoffenheit“, vereinbarten aber auch, E-Mobilität über einen Kaufanreiz zu fördern. Die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm für eine Förderung per Steuerabzug geworben.
Löhne
Ein Mindestlohn von 15 Euro ab 2026 – das war eines der zentralen Wahlversprechen der SPD. In ihrem Sondierungspapier formulieren Sozialdemokrat*innen und Union ihn nun als gemeinsames Ziel. Für die Umsetzung soll allerdings weiterhin die Mindestlohnkommission aus Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen zuständig sein - die SPD hatte die Komission nach der jüngsten, nur geringfügigen Erhöhung kritisiert und eine Anhebung des Mindestlohns mithilfe eines Beschlusses des Bundestages angedroht. Auch das Ziel einer höheren Tarifbindung in Deutschland nennen die möglichen Koalitionäre in ihrem Sondierungspapier und kündigen an, „ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen“ zu wollen. Dieses hatte die SPD bereits mit Grünen und FDP durchsetzen wollen, was jedoch am Widerstand der Liberalen gescheitert war.
Rente
Das Thema Rente war im Wahlkampf heiß diskutiert worden. Schon im Sommer hatte die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann, gefordert, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre zu erhöhen. Auch die Abschaffung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren stand immer wieder im Raum. Im Sondierungspapier ist von beidem keine Rede mehr. Stattdessen bekennen sich Union und SPD zu einer Sicherung des Rentenniveaus. Die Ampel-Koalition war zerbrochen, ehe sie die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hierzu durch den Bundestag bringen konnte.
Staatsangehörigkeit, Integration, Mietpreisbremse
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts war eines der großen Vorhaben, die die Koalition aus SPD, Grünen und FDP in ihrer Regierungszeit auf den Weg gebracht hat – unter lautstarker Kritik von CDU und CSU. Von einem „Verramschen“ des deutschen Passes war damals die Rede. Friedrich Merz kündigte an, die Reform „rückabwickeln“ zu wollen. Im gemeinsamen Sondierungspapier bekennen sich Union und SPD nun zu der Reform und versprechen, daran festzuhalten.
Darüber hinaus kündigen die drei Parteien an, mehr in Integration zu investieren und das sogenannte Startchancen-Programm fortzusetzen und auf Kitas auszuweiten. Beides hatte die SPD in ihrem Wahlprogramm gefordert.
Das gilt auch für die Verlängerung der Mietpreisbremse. Das gesetzliche Instrument, mit dem steigende Mieten eingedämmt werden sollen, läuft in diesem Jahr aus. CDU und CSU hatten sich im vergangenen Jahr geweigert, einer Verlängerung im Bundestag zuzustimmen. Im Sondierungspapier mit der SPD heißt es nun: „Die Mietpreisbremse wollen wir zunächst für zwei Jahre verlängern.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.