Geschichte

Start vor 10 Jahren: Warum der Mindestlohn eine Erfolgsgeschichte der SPD ist

Gegen viele Widerstände setzte die SPD zum 1. Januar 2015 erstmals einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland durch. Damals höchst umstritten gilt er heute als Stabilitätsanker sozialen Marktwirtschaft.

von Thomas Horsmann · 1. Januar 2025
Entscheidung im Bundestag: Am 3. Juli 2014 stimmt das Parlament dem Mindestlohngesetz zu, an der Wahlurne Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (l.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (r.).

Entscheidung im Bundestag: Am 3. Juli 2014 stimmt das Parlament dem Mindestlohngesetz zu, an der Wahlurne Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (l.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (r.).

Es ist eines der großen Projekte der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD: das Mindestlohngesetz. Am 3. Juli 2014 wird es im Bundestag beschlossen. Für die Sozialdemokraten ein wichtiger Erfolg: Denn es ist die Erfüllung einer zentralen Wahlkampfforderung, die sie gegen erhebliche Widerstände der Union durchsetzen. Damit gibt es ab dem 1. Januar 2015 in Deutschland erstmals einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Mit 8,50 Euro pro Stunde wird eine Lohnuntergrenze gesetzt, von der rund 3,7 Millionen Arbeitnehmer*innen profitieren.

Franz Müntefering bricht das Eis

„Wir setzen heute einen Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Es ist nicht übertrieben“, sagt Bundesarbeits- und sozialministerin Andrea Nahles in der Debatte im Bundestag. Von einem „historischen Tag für Deutschland“ spricht SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. „Viel zu lange wurden Tarifverträge, faire Löhne, Mitbestimmung und Gewerkschaften bekämpft. Der heutige Tag ist ein Wendepunkt in dieser Entwicklung“, fügt er hinzu. „Wir haben in den Koalitionsverhandlungen darauf bestanden, dass, wer Vollzeit arbeitet, auch von dieser Arbeit leben können muss. Gesagt, getan, gerecht“, betont die SPD-Abgeordnete Katja Mast.

Blick zurück: Mit der starken Zunahme der Beschäftigten im Niedriglohnsektor mit Beginn der 2000er Jahre steigt die Zahl der Menschen, die von ihrem Vollzeitjob nicht mehr leben können. Tarifverträge gelten für immer weniger Arbeitnehmer*innen, Lohndumping breitet sich aus. 2004 fordert SPD-Chef Franz Müntefering in der Diskussion um Hartz IV erstmals einen Mindestlohn. Doch die Gewerkschaften lehnen dies ab, sie setzen auf flächendeckende Tarifbindung. Seither ist der Mindestlohn auf der politischen Agenda der SPD. Müntefering, Nahles und Gabriel treiben ihn weiter voran und überzeugen auch die Gewerkschaften. Der Mindestlohn wird zu einem Kernthema der SPD, das sie auch in der Opposition vehement vor allem gegen die Union vertritt. 

Bedingung der SPD für eine Koalition mit der CDU

In den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2013 macht die SPD die Einführung des Mindestlohns zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung. Nach zähen Verhandlungen einigen sich Union und SPD auf die Einführung zum 1. Januar 2015, wobei einige Ausnahmen und Übergangsregelungen vereinbart werden. 

Die Einführung des Mindestlohns löst intensive Debatten aus. Union und Arbeitgeber*innen warnen vor Jobverlusten und Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen. SPD, Grüne und Gewerkschaften argumentieren, dass ein Mindestlohn die Kaufkraft stärkt und den sozialen Zusammenhalt fördert. 

Sie behalten recht. Der Mindestlohn wird zum Erfolgsmodell. Entgegen den Prognosen einiger Ökonom*innen führt der Mindestlohn nicht zu massiven Jobverlusten. Im Gegenteil: Die Beschäftigung in Deutschland steigt in den Folgejahren weiter an. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft leidet nicht unter der Lohnuntergrenze.

SPD will Mindestlohn weiter anheben

Der Mindestlohn erweist sich als wirksames Mittel gegen Lohndumping. Er hilft, den Niedriglohnsektor einzudämmen und die Einkommenssituation vieler Arbeitnehmer*innen zu verbessern. Regelmäßige Anpassungen durch die eigens von der SPD durchgesetzte unabhängige Mindestlohnkommission sorgen dafür, dass die Lohnuntergrenze mit der allgemeinen Lohnentwicklung Schritt hält. 

Zehn Jahre nach seiner Einführung hat sich der Mindestlohn als fester Bestandteil der Arbeitsmarktordnung etabliert. Er genießt breite gesellschaftliche Akzeptanz und wird auch von vielen einstigen Kritiker*innen als Erfolg anerkannt. Wie wichtig er ist, zeigt der Bundestagswahlkampf 2021: Hier ist seine Erhöhung auf 12 Euro eine zentrale Forderung der SPD. Die Erhöhung kommt dann 2022. 2024 steigt der Stundensatz auf 12,41 Euro. 2025 wird er wohl weiter angepasst. In ihrem Programm für die Bundestagswahl fordert die SPD eine Erhöhung auf 15 Euro im Jahr 2026. Die Erfolgsgeschichte geht weiter.

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3 Kommentare

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 01.01.2025 - 14:48

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Es tut gut, auf Leuchtturm-Projekte der SPD blicken zu können, Meilensteine, wie den Mindestlohn; dass die CDU zunächst dagegen war – geschenkt.
Wer aber vom Mindestlohn leben muss, sieht möglicherweise seine Situation etwas anders: Von 2015 bis 2024 ist der Mindestlohn um 46% gestiegen, der Preisindex bis 2023 um 43,2%. Die Lebenshaltung hat sich also für ihn seit 2015 (fast) nicht verbessert. Noch dramatischer sieht es aus, wenn nur die Zeit von 2020 bis 2024 untersucht wird. In diesem Zeitraum ist der Mindestlohn um etwa 4% gestiegen, die Lebensmittelpreise aber haben um 34,5% (Statista) zugenommen. Wenn also Mindestlohnempfänger*innen „mehr für Dich“ im Auge haben oder Klingbeil beim Wort nehmen, „dass mehr drin ist“, dann wird der Leuchtturm zu einer Kerze, der Meilenstein zu einem Kiesel, die Erfolgsgeschichte zu einem Satz.
Vielleicht aber ist ja das Bemühen um die Kriegstüchtigkeit der Bevölkerung eine bessere Erfolgsgeschichte.