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Koalitionsvertrag: So viel ist von den Migrationsplänen von Merz übrig

Im Wahlkampf hat Friedrich Merz einen radikalen Kurswechsel in der Migration versprochen. Was hat es davon im Koalitionsvertrag geschafft – und wo hat sich die SPD durchgesetzt? Eine Analyse.

von Lea Hensen · 14. April 2025
Wie viel Union steckt in den Migrationsplänen aus dem Koalitionsvertrag?

Wie viel Union steckt in den Migrationsplänen aus dem Koalitionsvertrag?

Das Migrationskapitel im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU beginnt mit einem Bekenntnis: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben. Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.“ Der letzte Satz ist entscheidend, erteilt er doch dem Wahlkampfversprechen von Friedrich Merz eine klare Absage. Merz hatte dauerhafte Kontrolle an deutschen Grenzen sowie ein „faktisches Einreisestopp“ für alle Menschen ohne Aufenthaltstitel gefordert – auch für Menschen mit Schutzanspruch. Diese Maßnahmen würde er am ersten Tag seiner Kanzlerschaft per Richtlinienkompetenz durchsetzen, kündigte der CDU-Chef noch im Januar an. Für einen Antrag, der seinen Forderungen Nachdruck verleihen sollte, nahm er sogar eine Mehrheit mit der AfD in Kauf. 

Im CDU/CSU-Wahlprogramm war schließlich von einem „faktischen Aufnahmestopp“ die Rede. Es ist wohl dem Verhandlungsgeschick der SPD zu verdanken, dass diese Forderung jetzt in einer Grauzone verharrt: Mit dem Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl hat weiterhin jeder Mensch das Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland. Das widerspricht auch der von der Union geforderten Aufnahme von Geflüchteten ausschließlich nach Kontingenten. 

Von Zurückweisungen an den deutschen Grenzen ist im Koalitionsvertrag nur noch „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn“ die Rede. Es versteht sich von selbst, dass Deutschlands Nachbarländer nur bedingt zustimmen würden, wenn Deutschland seine Grenzen dicht macht. Und selbst wenn sie zustimmen würden, wären pauschale Zurückweisungen – wie die SPD schon im Wahlkampf betonte – nicht ohne weiteres mit EU-Recht vereinbar, denn gemäß der Dublin-III-Abkommen ist Deutschland zwar in den meisten Fällen nicht zuständig für das Asylverfahren, muss aber in allen Fällen die Zuständigkeit überprüfen. 

Grenzkontrollen ausdehnen - aber bis wann?

Ähnlich verhält es sich mit Merz‘ Forderung nach dauerhaften Grenzkontrollen. Ohne weiteres umsetzen lassen sich dauerhafte Grenzkontrollen nämlich nicht – im Schengen-System sind sie nur in Ausnahmefällen möglich, und wenn, dann befristet. Die Bundesregierung hatte nach der Messer-Attacke in Solingen Kontrollen an allen deutschen Grenzen eingeführt, die zuletzt verlängert wurden und damit die Regeln schon ausreizen. Im Koalitionsvertrag steht dazu: Diese Kontrollen sollen fortgesetzt werden, bis die EU über einen „funktionierenden Außengrenzschutz“ verfügt. Was genau das heißt, bleibt offen, möglicherweise ist aber die Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gemeint, auf die sich die EU-Staaten geeinigt haben. Sie sieht vor, dass Asylanträge an den EU-Außengrenzen bearbeitet werden, Asylbewerber*innen ohne Bleibeperspektive bekommen erst gar keinen Zutritt. SPD und Union wollen die GEAS-Regeln noch in diesem Jahr umsetzen.

Abgesehen von diesen unscharf formulierten Vorhaben wird der Ton in Sachen Migration aber deutlich rauer: Schwarz-Rot kündigen einen „anderen, konsequenteren Kurs in der Migrationspolitik“ an und wollen „irreguläre Migration wirksam zurückdrängen“. Die „Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern“, sollen „deutlich reduziert“ werden. Im Aufenthaltsgesetz setzt sich eine Merz-Wahlkampfparole durch: Künftig soll dort wieder von der „Begrenzung“ des Zuzugs von Ausländer*innen die Rede sein und nicht nur von „Steuerung“ – erst 2023 wurde die Formulierung gestrichen. 

Mehr Abschiebungen

Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll für mindestens zwei Jahre ausgesetzt werden, was vor allem Menschen aus Syrien betrifft. Freiwillige Aufnahmeprogramme, wie das mit Afghanistan, werden beendet. Mehr Abschiebungen im Sinne einer „Rückführungsoffensive“ sind ausgewiesenes Ziel der Koalitionäre. Schwarz-Rot will die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitern, in die schneller abgeschoben werden kann, angefangen mit Algerien, Marokko, Tunesien und Indien. Insbesondere Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren bei unter fünf Prozent liegt, sollen als „sicher“ erklärt werden. Bislang mussten Bundesrat und Bundestag parlamentarisch über die Einstufung entscheiden, zukünftig soll das per einfacher Rechtsverordnung möglich sein.

Die Union hatte im Wahlkampf für das Drittstaaten-Modell geworben – als Vorbild galt das – inzwischen gescheiterte – Ruanda-Modell Großbritanniens oder der umstrittene Pakt zwischen Italien und Albanien. Die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten wird im Koalitionsvertrag nicht explizit genannt, allerdings deuten Schwarz-Rot an, den Weg dahin zu ebnen, indem sie auf europäischer Ebene eine „Initiative zur Streichung des Verbindungselements“ starten wollen. Das Verbindungselement gibt vor, dass Geflüchtete nur in Länder abgeschoben werden können, zu dem sie eine Verbindung haben. Wird es gestrichen, wäre ein Drittstaaten-Modell rein rechtlich möglich.

Straftäter ausweisen, Rechtsbeistand streichen 

Mit den Attentaten von Aschaffenburg und München wurde im Wahlkampf viel über die Abschiebung von Straftätern diskutiert. Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU steht nun: „Wer den Aufenthalt in Deutschland missbraucht, indem er hier nicht unerheblich straffällig wird oder gewalttätige Stellvertreterkonflikte auf deutschem Boden austrägt, dessen Aufenthalt muss beendet werden.“ Das ist aber im Kern nichts Neues: Schon jetzt regelt das Aufenthaltsgesetz, dass das Ausweisungsinteresse bei bestimmten Verurteilungen besonders hoch ist. Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot führt erstmals auch antisemitisch motivierte Taten und Volksverhetzung als schwere Straftaten auf. Die Koalitionär*innen wollen außerdem prüfen, ob des Landes verwiesen werden kann, wer öffentlich zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufruft.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Bei den meisten Ausreisepflichtigen sind Abschiebungen trotzdem nicht ohne weiteres möglich, etwa aus rechtlichen Gründen, weil zum Beispiel kein Pass vorliegt. Doch aus dem Wahlkampfversprechen von Merz, Straftäter*innen und Gefährder*innen unbefristet in Abschiebehaft zu nehmen, bis eine Rückführung durchgeführt werden kann, ist im Koalitionsvertrag ein Prüfauftrag geworden. 

Um Rückführungen grundsätzlich zu erleichtern, will Schwarz-Rot mehr Abkommen mit Herkunftsländern abschließen. Die neue Bundesregierung soll prüfen, wie mehr Druck auf die Herkunftsländer ausgeübt werden kann, zum Beispiel über die Visa-Vergabe, Entwicklungszusammenarbeit oder Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. „Den verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung schaffen wir ab“, heißt es außerdem. Fluggesellschaften sollen verpflichtet werden, Abschiebungen durchzuführen. Die Polizei soll befähigt werden, vorübergehende Haft für Ausreisepflichtige zu beantragen, um Abschiebungen zu gewährleisten. Es soll deutlich mehr Plätze für Abschiebehaft geben. 

Schnellere Verfahren, mehr Effizienz

Rückführungen von Dublin-Fällen, also Migrant*innen, für die eigentlich ein anderes EU-Land zuständig ist, sollen künftig vom Bund durchgeführt werden – und nicht mehr von den Ländern. Damit erhofft sich Schwarz-Rot eine höhere Effizienz: 2024 wurden von fast 44.000 bewilligten Dublin-Fällen nur knapp 5.740 Menschen tatsächlich abgeschoben. Grundsätzlich wollen SPD und CDU/CSU die Effizienz bei Asylverfahren erhöhen, indem der Bund die oftmals überforderten Länder besser unterstützt und Verfahren digitalisiert und entbürokratisiert werden.

Auch nach Afghanistan und Syrien soll abgeschoben werden, angefangen mit Straftäter*innen und Gefährder*innen. Bis auf einen Abschiebe-Flug im August 2024 wurden Rückführungen in beide Länder aufgrund der unsicheren Menschenrechtslage ausgesetzt. In Afghanistan regieren die Taliban, in Syrien ist die Sicherheitslage nach dem Sturz des Assad-Regimes weiter unklar. Im Zweifel könnten Gerichte Abschiebungen in die beiden Länder auch in Zukunft stoppen, denn kein Mensch darf dorthin abgeschoben werden, wo ihm Folter oder Todesstrafe drohen.

Doppelpass kann bleiben

Die Union wollte eigentlich die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts mit dem Doppelpass für Nicht-EU-Bürger*innen zurückdrehen. Daraus wird wohl nichts. Laut Koalitionsvertrag werden lediglich die „Turboeinbürgerungen“ nach drei Jahren für besonders gut Integrierte abgeschafft. Die Union wollte auch Terrorunterstützer*innen im Wahlkampf die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen – auch von diesem Vorschlag ist im Koalitionsvertrag nichts geblieben. In einem alten Streitthema setzen sich die Konservativen zumindest zum Teil durch: Ukrainer*innen, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland kommen, bekommen kein Bürgergeld mehr, sondern nur noch die niedrigeren Asylbewerberleistungen.

Die im Koalitionsvertrag enthaltenden Maßnahmen zur Förderung von Integration tragen letztendlich vor allem die Handschrift der SPD. Das Startchancen-Programm wird fortgesetzt und auf Kitas ausgeweitet, die Sprach-Kitas sollen wieder eingeführt werden, es soll mehr in Integration investiert werden. „Integration muss weiterhin gefördert, aber intensiver als bisher eingefordert werden“, heißt es weiter. Wie von der Union gefordert, sollen Schutzberechtigte zukünftig eine Integrationsvereinbarung unterschreiben, die Rechte und Pflichten definiert. Ob das rechtliche Auswirkungen hat, bleibt, wie vieles andere in der Koalitionsvereinbarung, zunächst offen.
 

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl und den Koalitionsverhandlungen gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

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