Inland

„Sofortprogramm": Warum die Migrationspläne von Merz kaum umsetzbar sind

Wenige Tage nach dem Tabubruch im Bundestag lässt Friedrich Merz seine umstrittenen Forderungen in der Migrationspolitik auf dem Parteitag von CDU/CSU beschließen. Die rechtlichen Einwände gegen die geforderten Maßnahmen aber bleiben.

von Lea Hensen · 3. Februar 2025
Gerne lautstark: CDU-Chef Friedrich Merz ist weniger an Lösungen für das Land interessiert, sondern vor allem an strategischen Vorteilen für sich und seine Partei.

Gerne lautstark: CDU-Chef Friedrich Merz ist weniger an Lösungen für das Land interessiert, sondern vor allem an strategischen Vorteilen für sich und seine Partei.

Keine Woche ist es her, dass sich Friedrich Merz im Bundestag eine Mehrheit mit Stimmen der AfD verschafft hat. Begleitet von Protesten gegen den Tabubruch vor dem Konrad-Adenauer-Haus, kamen am Montag 1.001 Delegierte zum Wahlparteitag der Union zusammen. Dort verabschiedete die Union ein „Sofortprogramm“ mit dem Titel „für Wohlstand und Sicherheit“, das umgesetzt werden soll, sollte der Unions-Kanzlerkandidat das Rennen für sich gewinnen. Darin enthalten ist Merz‘ umstrittener Fünf-Punkte-Plan zum Stopp der „illegalen Migration“, der am Mittwoch Gegenstand des Antrags war, den die Union gemeinsam mit Stimmen der AfD beschlossen hat.

Der Antragsbeschluss von Mittwoch ist nicht bindend und hat keine direkten Auswirkungen auf das politische Handeln. Das könnte sich anders verhalten, wenn die Union bei der Bundestagswahl die Mehrheitsverhältnisse für sich entscheidet. Dann könnte sie ihre Forderungen als Gesetzesentwürfe einbringen und durchsetzen. Aber nur bedingt.

Auch ein Kanzler muss geltendes Recht achten

Im „Sofortprogramm“ nennt die Union unter anderem die Forderungen nach dauerhaften Kontrollen an deutschen Grenzen und nach Zurückweisungen von Menschen ohne Aufenthaltstitel. Auch sollen Ausreisepflichtige, die nicht abgeschoben werden können, dauerhaft inhaftiert werden können.

Friedrich Merz hatte angekündigt, die verschärften Regeln am ersten Tag seiner Kanzlerschaft per Richtlinienkompetenz durchzusetzen. Doch auch mit der Richtlinienkompetenz kann ein Kanzler geltendes Recht nicht überschreiten. Zum einen würden dauerhafte Grenzkontrollen gegen das Schengen-System verstoßen. Kontrollen an EU-Binnengrenzen sind immer nur befristet möglich, wenn besondere Gefahrensituationen vorliegen. 

Diese Regel reizt Deutschland bereits aus. Die zeitlich befristeten Kontrollen an deutschen Grenzen hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach der Messerattacke in Solingen verlängert. Grenzkontrollen dauerhaft einzuführen, würde gegen EU-Recht verstoßen. Ungarn missachtet seit Jahren dieses EU-Recht und kassiert hohe Strafen vom Europäischen Gerichtshof.

EU-Recht steht vor nationalem Recht

Auch pauschale Zurückweisungen sind weder mit dem Grundgesetz noch mit EU-Recht vereinbar. Laut Artikel 16a Grundgesetz haben politisch Verfolgte in Deutschland ein Recht auf Asyl – das muss für jeden Einzelfall geprüft werden. Merz könnte das Grundgesetz nur über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag ändern. 

Doch auch das würde nichts am EU-Recht ändern, das an den Grenzen Vorrang gegenüber nationalem Recht hat. Laut Dublin-III-Verordnung ist das Land für die Asylprüfung zuständig, in dem der Einreisende zuerst ankommt. Selbst wenn eine Regierung unter Friedrich Merz also eine Änderung im Grundgesetz durchsetzt, wäre Deutschland als EU-Mitgliedstaat weiterhin verpflichtet, Asylsuchende erst einmal aufnehmen, um die Zuständigkeit für ihre Asylprüfungen zu ermitteln.

Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft (AG) Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt, betonte, die Vorschläge der Union seien nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch politisch verantwortungslos. „Sie ignorieren europäische und menschenrechtliche Verpflichtungen und setzen auf Symbolpolitik, die weder kurzfristig noch langfristig tragfähig ist. Eine nachhaltige Migrationspolitik braucht gezielte Steuerung, faire Verfahren und Integration – nicht Panikmache", sagte er in einem Statement am Dienstag.

Errungenschaften der Ampel rückgängig machen

Laut „Sofortprogramm“ wollen CDU/CSU auch das am Freitag im Bundestag gescheiterte „Zustrombegrenzungsgesetz“ weiter verfolgen. Die Union wollte den Entwurf mit Stimmen der AfD durchsetzen, am Ende reichten die Ja-Stimmen aber nicht aus. 

Mit dem Gesetz will die Union den Familiennachzug bei Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus stoppen, darunter fallen zum Beispiel Syrer*innen. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) betont aber, der Gesetzesentwurf und die anderen von Merz geforderten Maßnahmen würden der Wirtschaft vielmehr schaden. „Die von der Union initiierte Gesetzgebung wird keines der erklärten Ziele erreichen, sondern das Gegenteil bewirken: Sie wird die Integration erschweren, die Arbeitskräftelücke vergrößern und die Kosten für den Staat erhöhen“, schreibt er in einem Statement.

Zwei Errungenschaften der Ampel-Koalition will die Union wieder rückgängig machen, weil das angeblich für die Sicherheit in Deutschland wichtig wäre: Zum einen will sie Cannabis wieder kriminalisieren. Zum anderen die „Express-Einbürgerung“ abschaffen – gemeint ist die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, mit der die Ampel im vergangenen Jahr eine Einbürgerung nach fünf statt nach acht Jahren möglich gemacht hat, auch, um dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern. 

Union schürt Ressentiments und Ängste

Dazu sagte der Vorsitzende der AG Migration Bozkurt: „Die Staatsangehörigkeitsreform der Ampel ist ein Meilenstein und zentrale Errungenschaft für unsere moderne Einwanderungsgesellschaft. Sie erleichtert die Einbürgerung für langjährig hier lebende Menschen, die längst ein Teil unserer Gesellschaft sind. Statt sich konstruktiv an der Gestaltung einer zukunftsorientierten Politik zu beteiligen, bedient die Union mit ihrem Sofortprogramm alte Ressentiments und Ängste.“

In dem „Sofortprogramm“ finden sich auch Forderungen, in denen die Union mit der SPD übereinstimmt. Dazu gehört die Speicherung von IP-Adressen, um sexuellen Missbrauch von Kindern zu bekämpfen. 

Die elektronische Fußfessel für Gewalttäter gegen Frauen konnte letztendlich nicht durchgesetzt werden, als Union und SPD vergangene Woche sich auf das Gewalthilfegesetz einigten. Neben der Union hatten auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie mehrere Innenminister der Länder die Fußfessel gefordert.

Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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