Kompass 2025 zur Entwicklungshilfe: Immer mehr Kriege und weniger Geld
So viele Kriege und Konflikte wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr und gleichzeitig ein historischer Rückgang an finanziellen Mitteln – führende Entwicklungsorganisationen schlagen Alarm und zeichnen ein düsteres Bild.
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Sie haben Glück: Denn mehr als 90 Prozent der schulpflichtigen Kinder haben im Sudan keinen Zugang zu Bildung.
„Wir erleben ein Bröckeln der regelbasierten Ordnung sondergleichen“, mahnt Joshua Hofert, Vorstandssprecher der Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes. Die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte sei aktuell so hoch wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig gebe es einen historischen Rückgang der finanziellen Unterstützung durch die Geberländer, erklärt er bei der Vorstellung des Kompasses deutscher Entwicklungszusammenarbeit der Welthungerhilfe und Terre des Hommes am Dienstag in Berlin.
Jedes fünfte Kind lebt in einem Kriegsgebiet
Das habe dramatische Auswirkungen. So leben derzeit 500 Millionen Kinder weltweit in Kriegs- und Krisengebieten – jedes fünfte Kind also. Es gebe massive Kinderrechtsverletzungen, beispielsweise in Gaza, wo Kinder an Unterernährung sterben, sagt Hofert. Weltweit gingen 85 Millionen Kinder in Krisen- und Konfliktgebieten nicht zu Schule. Alleine im Sudan seien das 17 Millionen Kinder.
Zugleich sei allein in den vergangenen drei Jahren ein Drittel der globalen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit gekürzt worden, vor allem in den USA, Großbritannien, den Niederlanden, aber auch in Deutschland. Durch die Haushaltskürzungen verfehlte Deutschland im vergangenen Jahr erstmals seit fünf Jahren das international vereinbarte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird dieses Ziel nicht einmal mehr erwähnt. Hofert nennt das „absolut fatal“.
Klingbeil soll Entwicklungshilfe im Haushalt berücksichtigen
Matthias Mogge, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe, ergänzt, dass auch das bislang immer aufgeführte Ziel, 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die ärmsten Länder der Welt auszugeben, nicht mehr aufgeführt werde. Dabei sei die Ernährungslage gerade in diesen Ländern am kritischsten. Deswegen fordern die Entwicklungsorganisationen von der Bundesregierung, sich klar zu beiden Zielen zu bekennen und insbesondere für humanitäre Hilfe aufgrund der internationalen Krisenlage zusätzliche Mittel bereitzustellen.
Positiv bewerten Mogge und Hofert ein erstes Gespräch mit der neuen Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), das kürzlich stattgefunden habe, ebenso wie das klare Bekenntnis von Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) zur Entwicklungszusammenarbeit während der Hamburger Nachhaltigkeitskonferenz Anfang des Monats. Allerdings mahnen sie, dass sich dieses Bekenntnis auch im nächsten Bundeshaushalt niederschlagen müsse, der in der kommenden Woche im Kabinett beschlossen werden soll.
Appell an Regierung: Reform angehen
Weitere Kürzungen wären ein fataler Schritt für Millionen von Kindern und Familien, deren Überleben von medizinischer Versorgung oder vom Zugang zu Nahrungsmitteln abhänge, mahnt Hofert. Die Empfehlung von Welthungerhilfe und Terre des Hommes ist stattdessen, dass die Bundesregierung die aktuellen Herausforderungen als Chance nutzen sollte, um die internationale Zusammenarbeit neu auszurichten und effizienter zu gestalten. Eine solche Reform müsse gemeinsam mit den Ländern des globalen Südens erarbeitet werden.
Auch solle die Bundesregierung ihr Engagement zur Überwindung struktureller Konfliktursachen verstärken, um den wachsenden Bedarf an humanitärer Hilfe wirksam zu senken. Hilfreich könne es laut Mogge auch sein, stärker mit lokalen Akteuren zusammenzuarbeiten, weil diese häufig effizienter handeln würden.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo