Koalitionsgespräche: Warum ein Appell vor weniger Entwicklungshilfe warnt
Ein großer Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen ist wohl die Zukunft des Entwicklungsministerium. Die Union will es abschaffen und Gelder kürzen, die SPD nicht. Der Kurs der Sozialdemokratie wird durch einen überparteilichen Appell gestärkt.
Thomas Imo/BMZ/photothek.de
Ministerin Svenja Schulze besucht eine Gemeindeküche in der libanesischen Hauptstadt Beirut, die mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wird.
Seit 1961 gibt es in Deutschland ein eigenständiges Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). In 64 Jahren wurde das BMZ noch nie von einem Minister oder einer Ministerin aus den Reihen der CDU geführt. Vielleicht erklärt das, dass die Union in den Koalitionsverhandlungen fordert, das Ministerium ins Außenministerium einzugliedern und die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen. Die SPD dagegen will die sogenannte ODA-Quote („Official Development Assistance“) gemäß internationaler Vereinbarungen bei mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens halten. Neben Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit werden darauf auch die Kosten für Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten im Inland angerechtet. Zuletzt betrug die Quote in Deutschland 0,8 Prozent.
Appell zum Erhalt des BMZ
Seit seiner Gründung hat niemand das BMZ so lang geleitet wie Heidemarie Wieczorek-Zeul. Die frühere SPD-Politikerin war auf den Tag genau elf Jahre lang von 1998 bis 2009 Bundesentwicklungsministerin. In einem Interview anlässlich ihres 80. Geburtstages sagte sie dem „vorwärts“ Ende 2022: „Das BMZ, dieses Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ist ein Alleinstellungsmerkmal, das es zu erhalten und auszubauen gilt.“ Diese Aussage unterstrich sie am Donnerstag, als sie gemeinsam mit führenden Persönlichkeiten aus Politik, Kirchen und Sicherheit die Verhandelnden dazu aufrief, die Entwicklungszusammenarbeit als sicherheitspolitische Aufgabe anzuerkennen. Sie müsse entsprechend in der deutschen Sicherheitsstrategie verankert und finanziert werden.
Neben Wieczorek-Zeul unterzeichneten den Appell unter anderem auch Wolfgang Thierse (SPD), der frühere Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), aber auch die Unions-Politiker wie der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der frühere Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und der frühere Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Darüber hinaus unterschrieben auch der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sowie die Präsidentin der Zentralrats der Katholiken, Irme Stetter-Karp, und Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Appell liegt dem „vorwärts“ vor.
Auf Konflikte reagieren sei teurer
Im Appell heißt es wörtlich: „Die zukünftige Bundesregierung muss die Sicherheitsstruktur Deutschlands und Europas neu aufstellen.“ Diese bestehe aus den Säulen Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung. Entwicklungszusammenarbeit stärke internationale Partnerschaften, verhindere Krisen und schütze die Interessen Deutschlands – „sie ist ein strategisches Instrument für Deutschland, das sich in einer veränderten Weltordnung behaupten muss“, so die Autor*innen.
Investitionen in Entwicklung, Bildung, Gesundheit und gute Regierungsführung seien entscheidend, um langfristige Stabilität zu schaffen. „Es ist um ein Vielfaches teurer, auf Krisen und Konflikte zu reagieren, als ihnen vorzubeugen“, heißt es weiter. Deshalb brauche es eine gut ausgestattete Bundeswehr, aber auch eine starke Außen- und Entwicklungspolitik. „Wer bei der Entwicklung spart, schwächt nicht nur unsere internationalen Partnerschaften, sondern auch die Werte und Interessen, für die Deutschland steht", warnt der Aufruf.
Kritik auch von Hilfsorganisationen
Auch die Präsidentin der Hilfsorganisation CARE, Claudia Warning, forderte in einer Pressemitteilung von den Verhandler*innen, verlässliche Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zuzusagen. Die Entwicklungszusammenarbeit solle den Platz erhalten, der ihr zustehe: mit einer Ministerin oder einem Minister am Koalitionstisch. Nur so könne Deutschland seinen Beitrag zu einer gerechteren und friedlicheren Welt verbindlich leisten. „Wer das BMZ infrage stellt oder das 0,7-Prozent-Ziel relativiert, schwächt nicht nur internationale Partnerschaften, sondern auch Deutschlands Glaubwürdigkeit“, kritisierte sie.
Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe, warnte: „Der Hunger in der Welt nimmt zu – gleichzeitig schrumpfen die Budgets, die genau diese Not lindern sollen. Diese Kürzungen bedrohen das Leben von Millionen Menschen und gefährden zudem die Existenz lokaler Organisationen, die für die Umsetzung und nachhaltige Wirkung der Hilfe unverzichtbar sind.“
Sieben entwicklungspolitische Organisationen hatten zuletzt in einem Statement „Hände weg vom BMZ“ gefordert. „Wenn die Bundesregierung den Einsatz für eine gerechtere Welt ernst meint, braucht sie ein starkes und eigenständiges Entwicklungsministerium“, warnte der Appell, den unter anderem „Global Citizen“, das „International Rescue Committee (IRC) Deutschland“ und „ONE“ unterzeichneten. Als Negativbeispiel führten die NGOs Großbritannien an. Die Brit*innen haben ihr Entwicklungsministerium (DFID) bereits vor Jahren in das Außenministerium (FCDO) eingegliedert. Premierminister Keir Starmer will den Etat zugunsten der Aufrüstung weiter kürzen. „Das Vereinigte Königreich hat mit der Auflösung des Entwicklungsministeriums seine globale Führungsrolle abgegeben und weltweit an Einfluss eingebüßt“, heißt es in dem Aufruf. Deutschland solle diesen Fehler nicht machen.
In einem Interview mit dem „vorwärts“ hatte sich die amtierende Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zuletzt zu den drastischen Kürzungen der Entwicklungshilfe der USA geäußert. Dabei ging es auch um das Beispiel Großbritannien.
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
Abwicklung des BMZ und weniger Entwicklungshilfe
Die Absicht der CDU/CSU und eine potenzielle Unterwerfung der SPD unter die Forderungen der CDU/CSU ist/wäre eine Barbarei und völliger Irrsinn! Die SPD darf sich hier in keinem Fall unterwerfen. Niemals! Mathias Mogge von der Welthungerhilfe hat vollkommen recht! Das Beispiel der Briten - verkörpert durch den neoliberalen Premierminister Keir Starmer (Labour !!!) - ist absolut unsäglich: Kürzung der Entwicklungshilfe zugunsten der Aufrüstung!
"Es wird keine Zukunft geben, wenn der Militärsektor so aufgebläht wird. Schon ohne Krieg erstickt er Leben in der Gegenwart und der Zukunft: Es könnte für a l l e eine solide Schulbildung geben, eine umfassende Gesundheitsversorgung und Infrastruktur in den Gesellschaften w e l t w e i t, wenn nicht diese Unsummen in den Militärsektor fließen würden, sondern im umfassenden Sinn des Wortes in die Daseinsvorsorge."
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Weg mit Neoliberalismus und Militarismus! Parteinahme für die Ärmsten in der Welt!!