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Tschad: Wie ein Sozialdemokrat in einem Flüchtlingslager medizinisch hilft

Eine der größten Flüchtlingskrisen spielt sich derzeit in einer der ärmsten Regionen der Welt ab, im Grenzgebiet zwischen Sudan und Tschad in Zentralafrika. Wjahat Waraich, Sozialdemokrat aus Hannover, war vor Ort, um den Menschen medizinisch zu helfen.

von Jonas Jordan · 12. Dezember 2024
Wjahat Waraich arbeitete zwei Wochen lang ehrenamtlich als Arzt in einem Flüchtlingslager im Tschad.

Wjahat Waraich arbeitete zwei Wochen lang ehrenamtlich als Arzt in einem Flüchtlingslager im Tschad.

Der Tschad gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Im aktuellen Index menschlicher Entwicklung (HDI) liegt der afrikanische Staat auf dem fünftletzten Platz. Doch ausgerechnet in diesem nur knapp 18 Millionen Einwohner*innen zählenden Land in der Mitte des Kontinents spielt sich aktuell die größte humanitäre Krise der Welt ab. Etwa eine Million Menschen sind aus dem bürgerkriegsgeplagten Nachbarland Sudan in den Osten des Tschad geflohen, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Sie suchen Schutz und finden schwierigste Bedingungen, wie Wjahat Waraich im Gespräch mit dem „vorwärts“ berichtet.

Zwei Wochen ehrenamtliche Hilfe im Tschad

Er ist ehrenamtlicher Bezirksbürgermeister in Hannover und arbeitet als Arzt. Vor 15 Jahren begann er noch als Student, sich über die Organisation „Humanity First“ ehrenamtlich in der internationalen Entwicklungshilfe zu engagieren. In dem Kontext half Waraich beispielsweise schon an der polnisch-ukrainischen Grenze bei der medizinischen Versorgung von ukrainischen Geflüchteten oder auch nach dem Erdbeben in der Türkei. Nun nahm sich der Hannoveraner Urlaub, um zwei Wochen lang in einem Flüchtlingslager im Tschad medizinisch zu helfen.

Bereits die Anreise war beschwerlich. Per Flugzeug ging es in die Hauptstadt N’Djamena im Südwesten des Landes, von dort mit einem weiteren Flieger nach Abéché und mit dem Auto über Buckelpisten bis ins 160 Kilometer entfernte Adré an der Grenze zum Sudan. „Die Stadt ist auf Wüstenboden gebaut. Sie hat eigentlich 40.000 Einwohner. Durch die Flüchtlingskrise hat sich die Einwohnerzahl versechsfacht. Jetzt sind dort mehr als 250.000 Menschen“, berichtet Waraich. 

200.000 Menschen ohne medizinische Versorgung

Über die Lage vor Ort sagt er weiter: „200.000 Menschen leben in ganz einfachen Behausungen. Es gibt keine medizinische Versorgung. Die hygienischen Bedingungen sind sehr, sehr schlecht. Zwar ist das Welternährungsprogramm vor Ort. Sie mussten die Essensrationen aber schon halbieren, weil es sonst nicht für alle reichen würde.“ Dabei kämen viele Menschen bereits unterernährt aus dem Sudan, wo Hunger systematisch als Waffe eingesetzt werde. Die Mangelernährung sorge wiederum für Immunschwäche und mache die Menschen anfällig für Malaria und Wurmerkrankungen. „Ich habe schon einiges erlebt in 15 Jahren humanitären Einsätzen, aber so gravierend schlecht, wie es den Menschen dort gesundheitlich geht, das habe ich noch nicht erlebt“, sagt Waraich.

Er spricht von Männern mit Schussverletzungen, Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen wurden, Kinder mit Warzen im Gesicht, die aus Viruserkrankungen infolge der Mangelernährung resultierten. Neugeborene, die nicht geimpft waren und noch nie ärztlich untersucht worden waren. „Das zeigt einfach die völlig desolate Situation dieser Menschen und die ganz geringe Hilfe, die dort ankommt“, macht der Gynäkologe deutlich. 

Treffen unter Sozialdemokrat*innen

Wjahat Waraich schildert Entwicklungsministerin Svenja Schulze die medizinische Lage in einem Flüchtlingslager im Tschad.

Wjahat Waraich im Gespräch mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze

Von der medizinischen Lage berichtete Waraich auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze, die während seines Einsatzes das Flüchtlingslager besuchte und sich einen Eindruck verschaffen wollte, wie es den Menschen geht. „Ich bin zu ihr hin und konnte mit ihr sprechen. So konnte sie sich direkt von mir einige Informationen holen, die sie sonst nicht bekommen hätte. Denn wir waren die einzige deutsche Hilfsorganisation, die dort medizinisch tätig war.“

Was er vor Ort erlebt habe, lasse ihn nicht kalt, sagt Waraich, dessen Eltern einst selbst als Flüchtlinge aus Afghanistan nach Deutschland kamen. „Bei solchen Einsätzen in einer der ärmsten Gegenden der Welt, mache ich mir immer wieder bewusst, wie gut es einem hierzulande geht. Wir müssen deswegen kein schlechtes Gewissen haben, aber wir sollten uns das bewusst machen und mit etwas mehr Demut durch den Alltag gehen“, sagt er und wirbt zugleich um Spenden für die gebeutelte Region: „Weil diese humanitäre Krise, die größte Flüchtlingskrise der Welt so wenig Beachtung findet, hilft jede Spende den Menschen. Es sind hunderttausende, die einen Krieg hinter sich haben und völlig auf sich alleine gestellt sind.“ 

 

Humanity First ist eine internationale Hilfsorganisation, die in den vergangenen Jahren über mehrere Monate u.a. an der polnisch-ukrainischen Grenze die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine versorgt hat oder im vergangenen Jahr nach dem Jahrhunderterdbeben in der Türkei aktiv war. Bei den unterschiedlichen Projekten, auch in Afrika, geht es nicht immer um medizinische (Not-)Hilfe, sondern auch um langfristige Versorgungsprojekte, beispielsweise beim Brunnenbau oder den Betrieb von Krankenhäusern und Waisenheimen (Hilfe zur Selbsthilfe). Wer spenden möchte, kann das an folgendes Konto tun:

Humanity First e.V.

IBAN: DE72501900000500284676

BIC: FFVBDEFF

Bank: Frankfurter Volksbank

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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