Geschichte

Wilhelm Hasenclever: Der Mann, der den „Vorwärts“ erfand

Eine politische Karriere war ihm nicht in die Wiege gelegt. Und doch entwickelte sich Wilhelm Hasenclever zu einer der prägenden Persönlichkeiten für die frühere Sozialdemokratie. Auch der „Vorwärts“ hat ihm viel zu verdanken.

von Lothar Pollähne · 3. Juli 2024
Prägende Figur in den Anfangsjahren der deutschen Sozialdemokratie: Wilhelm Hasenclever

Prägende Figur in den Anfangsjahren der deutschen Sozialdemokratie: Wilhelm Hasenclever

Anfang 1869 unternimmt August Bebel einen wichtigen Schritt zur Annäherung der beiden zerstrittenen deutschen Arbeiterparteien. Bei einer Stichwahl zum Reichstag des Norddeutschen Bundes ruft der Mitbegründer der SDAP zur Wahl des Kandidaten des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) in Duisburg auf und spendet gar zwölf Taler für den Wahlkampf. Der ADAV-Kandidat heißt Wilhelm Hasenclever, gewinnt knapp und bedankt sich hernach brieflich bei August Bebel in der „vollen Überzeugung, dass die Zeit nicht fern sei, wo sämtliche Sozialdemokraten Deutschlands in festgeschlossenen Reihen unter einem Banner kämpfen.“

Bis es dazu kommt, vergehen allerdings noch sechs Jahre, in denen das Verhältnis der beiden vordergründig so ähnlichen Männer nicht immer spannungsfrei ist. Beide sind Handwerker und lernten auf der Wanderschaft, die sich an ihre jeweiligen Lehrzeiten anschloss, die Armutsverhältnisse in deutschen Landen kennen.

Über die Turnbewegung kommt er zur Politik

Geboren wird Wilhelm Hasenclever am 19. April 1837 in Arnsberg, wo der Vater eine florierende Lohgerberei betreibt. Der junge Wilhelm wächst in wohl behüteten, bildungsbewussten Verhältnissen auf und kann das Gymnasium bis zur Obersekunda besuchen. Anschließend erlernt er im elterlichen Betrieb den Beruf des Lohgerbers. Sein Lebensweg scheint also vorgezeichnet. Über die seinerzeit noch freiheitlich gesinnte Turnbewegung kommt Wilhelm Hasenclever zur Politik.

Er beginnt zu schreiben und entwickelt sich zu einem wortgewaltigen Redner. Politisch steht Hasenclever zunächst der bürgerlich-demokratischen „Fortschrittspartei“ nahe und wird in Hagen Redakteur der „Westfälischen Volkszeitung“, die sich als Sprachrohr der enttäuschten bürgerlichen Revolutionäre von 1848 versteht. 

Beeindruckt von den Schriften Ferdinand Lassalles entwickelt Hasenclever die Zeitung zum demokratischen Kampfblatt. Das geht schließlich dem liberalen Herausgeber zu weit, und Hasenclever tritt folgerichtig aus der Reaktion aus. Ebenso folgerichtig schließt er sich kurz nach Lassalles Tod dem ADAV an und avanciert mit seinen rhetorischen Talenten schnell zur Führungsfigur im Raum Duisburg.

Ausbau des ADAV zu einer kampfstarken Organisation

In diesen Jahren entwickelt Wilhelm Hasenclever als Politiker und Journalist sein politisches Leitmotiv: die Besserung der Lage der Arbeiter. Dialektisch geschult, und vielleicht von Karl Marx beeinflusst, weiß er, das das Sein das Bewusstsein bestimmt und schreibt: „Ohne Arbeit, ohne Geld verdienen zu können, gibt es für den Arbeiterstand wenig Möglichkeiten. Bildung und Wissen sind dazu Voraussetzung. Der Magen beherrscht den Kopf und deshalb müssen wir auch zuerst für ihn sorgen.“

Im ADAV steigt Wilhelm Hasenclever weiter auf. 1866 wird er Parteisekretär und 1869 als Nachfolger des zur Eisenacher Partei übergetretenen Wilhelm Bracke Kassierer des ADAV. Hasenclever wird Mitherausgeber des Parteiblattes „Der Social-Demokrat“ und profiliert sich als scharfer, teilweise polemischer Kritiker der mit dem ADAV konkurrierenden „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (SDAP). Dieser Linie bleibt er treu, als er 1871 zum Vorsitzenden des ADAV gewählt wird.

Hasenclever gelingt es in kurzer Zeit, den schwächelnden ADAV zu einer kampfstarken Organisation auszubauen. Die Partei wächst auf fast 20.000 Mitglieder an, das Parteiblatt „Der Neue Sozial-Demokrat“ verzeichnet über 11 000 Abonnenten und kann sich wirtschaftlich selbst tragen. Insgesamt steht der ADAV während der Präsidentschaft Wilhelm Hasenclevers besser da als Bebels und Liebknechts SDAP.

Das „Gothaer Programms“ trägt seine Handschrift

Mit diesen Zahlen im Rücken lehnt Wilhelm Hasenclever noch 1874 während der Generalversammlung des ADAV jegliche Zusammenarbeit mit der SDAP kategorisch ab. Die Bismarck’sche Repressionspolitik allerdings zwingt ihn zum Umdenken. Am 10. Juli 1874 wird der ADAV in Berlin und Preußen von den Behörden aufgelöst. Dass Wilhelm Hasenclever schließlich auf Vereinigungskurs geht, ist dem Einfluss seines Freundes Karl Wilhelm Tölcke zu danken, den er schließlich beauftragt, am 11. Oktober 1874  Wilhelm Liebknecht die Vereinigung beider Arbeiterparteien anzubieten.

An den darauf folgenden Verhandlungen kann Wilhelm Hasenclever wegen einer Haftstrafe zunächst nicht teilnehmen, aber der Entwurf des „Gothaer Programms“, der einen Kompromiss zwischen Klassenkampf und Legalismus darstellt, trägt Liebknechts und Hasenclevers Handschrift. Resigniert stellen Friedrich Engels und Karl Marx 1875 nach dem Gothaer Vereinigungsparteitag von ADAV und SDAP zur SAP fest, die „Eisenacher“ der SDAP hätten sich von der „Ränkeschmieden“ des ADAV „grausam über den Löffel barbieren lassen“.

Gründer und Chefredakteur des „Vorwärts“

Wilhelm Hasenclever, der seit 1874 wieder dem Reichstag angehört, übernimmt gemeinsam mit Wilhelm Hartmann den Vorsitz der neuen „Sozialistischen Arbeiterpartei“ (SAP). 1876 gründet er mit Wilhelm Liebknecht, dem er freundschaftlich verbunden ist, den „Vorwärts“, das Zentralorgan der SAP. Beide werden zu Chefredakteuren ernannt. Bismarcks Sozialistengesetze bedeuten das vorläufige Aus für den „Vorwärts“. Wilhelm Hasenclever muss sich mit journalistischen Gelegenheitsarbeiten und einem Zigarrenhandel über Wasser halten, denn von seinem Reichstagsmandat, das er bis 1887 verteidigt, kann er nicht leben.

Im Reichstag profiliert sich Wilhelm Hasenclever als brillanter Redner und erbitterter Gegner Bismarcks. Legendär ist seine spöttische Abrechnung mit der Bismarck’schen Sozialpolitik: „Solange die Peitsche des Ausnahmegesetzes in der einen Hand vom Regierungstische geschwungen wird, nimmt kein deutscher Arbeiter aus der anderen das Zuckerbrot an“. 1888 legt Wilhelm Hasenclever sein Mandat wegen einer psychischen Erkrankung nieder und wird entmündigt.

Hasenclever stirbt am 3. Juli 1889 und wird von 15.000 Menschen zur letzten Ruhestätte in Berlin-Prenzlau begleitet. Als die SPD 1907 nach 38 Jahren wieder den Wahlkreis Duisburg gewinnt, ist Wilhelm Hasenclever längst vergessen. In der SPD lebt er fort als Mitgründer des „Vorwärts“.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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