Kultur

Film „Für immer hier“: Wie Eunice Paiva der Diktatur in Brasilien trotzte

Sie ist eine Ikone des Widerstands gegen Brasiliens Militärdiktatur: Der oscarprämierte Kinofilm „Für immer hier“ erzählt, wie Eunice Paiva jahrzehntelang für Folteropfer und gegen das Vergessen kämpfte. Ein auf Tatsachen beruhendes Familiendrama über Mut und Haltung von erschreckender Aktualität.

von Nils Michaelis · 14. März 2025
Für immer hier

Ein fröhliches Bild als Zeichen der Selbstbehauptung: Eunice Paiva (Fernanda Torres) und ihre Kinder Anfang der 70er-Jahre.

Ein sonnenverwöhntes Bad in den Wellen des Ozeans, heiße Rhythmen von Gilberto Gil und endlose Gelage in einer großzügigen Villa: So wie in den Anfangsszenen von „Für immer hier“ stellen sich wohl viele den Alltag einer gut situierten und progressiv angehauchten Familie im Rio de Janeiro der 1970er-Jahre vor. 

Trügerisches Idyll am Strand von Rio

Es ist das Leben von Rubens Paiva. Mit seiner Frau Eunice und fünf Kindern wohnt der Bauingenieur nahe dem Strand der Copacabana. Dass während des Badevergnügens Armeelaster die Strandpromenade entlangrollen und Hubschrauber übers Meer dröhnen, zeigt allerdings, dass dieses Idyll nicht ungetrübt ist.

Anfang der Siebziger erlebt Brasilien eine Welle von Repressionen. Die Militärdiktatur lässt Tausende Menschen verhaften, foltern und ermorden – und deren Leichen „verschwinden“. Eines Tages trifft es Rubens Paiva. Der Grund: Der frühere Abgeordnete der Brasilianischen Arbeitspartei hält Kontakte zu linken Gruppen und unterstützt Dissident*innen. Dafür zahlt er nun einen hohen Preis. Wie ging es für Paivas Familie danach weiter? Davon erzählt „Für immer hier“. 

Nach dem Verschwinden ihres Mannes lernt auch die Ehefrau den Unterdrückungsapparat von innen kennen. Notgedrungen erfindet Eunice für sich und die Kinder ein neues Leben. Das ist die entscheidende Wendung des Films: Mit 44 Jahren beginnt sie Jura zu studieren. 

Von der Hausfrau zum Symbol des Widerstands

Noch unter der Diktatur wird die vormalige Hausfrau zu einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivist*innen in Brasilien. Als Anwältin kämpft sie darum, Klarheit über das Schicksal ihres Mannes und Tausender anderer „Verschwundener“ zu erlangen, setzt sich aber auch für die Rechte indigener Brasilianer*innen ein. So wird Eunice Paiva zu einer Symbolfigur des Widerstandes gegen die von 1964 bis 1985 währenden Herrschaft der Generäle im größten Land Lateinamerikas.

Was der Familie Paiva widerfahren ist, schildert „Für immer hier“ vor allem aus der Perspektive von Eunice. Es ist die subtil erzählte und auf Zwischentöne setzende Geschichte einer Frau, die durch tiefsten Schmerz geht, aber nie den Kampf um Selbstbehauptung aufgibt. 

Dies wird in einer Szene besonders deutlich: 1973 besucht ein Mitarbeiter eines US-Magazins Eunice und die Kinder in Rio. Das Verschwinden des international gut vernetzten Rubens Paiva geht seinerzeit weltweit durch die Presse. Der Fotograf wünscht sich ein betont trauriges Bild. Doch Eunice lehnt ab. Demonstrativ lächeln die sechs in die Kamera. Es ein deutliches Signal an die Militärführung, sich nicht einschüchtern und nicht mit den dürren Informationen zum Schicksal des Vaters abspeisen zu lassen. 

Und doch ist die Bedrohung seitens der Machthabenden über weite Strecken spürbar, selbst wenn sich Gewalt und Terror seitens der Machthabenden jenseits des Sichtbaren abspielen.

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Der Film des brasilianischen Regisseurs Walter Sellas basiert auf einem autobiografischen Buch von Marcelo Rubens Pavia, dem Sohn von Eunice und Rubens. Sieben Jahre hat er an der Entwicklung des Stoffes gearbeitet. Somit fiel ein Teil der Arbeit in die Amtszeit des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Selbst ein Gewächs der Streitkräfte, glorifizierte dieser die Zeit der Militärdiktatur und verhöhnte Folteropfer. Auch deswegen will Sellas sein Werk nicht nur auf die Vergangenheit bezogen sehen, sondern auch als „Film über die Gefahren neuer Formen des Autoritarismus, die Brasilien und nicht zuletzt die ganze Welt bedrohen“ verstanden wissen.

Unerschrockene Haltung als Gegenmodell für autoritäre Gelüste

Die unerschrockene, für Freiheit einstehende Haltung von Eunice Pavia stellt die brasilianisch-französische Koproduktion als Gegenmodell zu autoritären Gelüsten dar. Dieser Erzählfaden reicht bis kurz vor den Tod der realen Eunice Paiva im Jahr 2018. Mit Blick auf die politische Weltlage kommt dieser Film also zur rechten Zeit. Auch das könnte dazu beigetragen haben, dass „Für immer hier“ vielfach international ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem Oscar für den besten internationalen Film. 

Nominiert für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin war Fernanda Torres. Sie verkörpert Eunice Paiva über die längste Strecke, die späten Lebensjahre übernahm ihre Mutter Fernanda Montenegro. Mit zurückgenommenem Spiel bringt Torres die Erfahrungen ihrer Figur zu berührender Anschauung, lässt zugleich aber auch genügend Raum für die Fantasie der Zuschauenden. Was einen und eine wiederum damit versöhnt, dass zumindest der erste Eindruck der Protagonistin etwas zu makellos geraten ist. Hinzu kommt, dass dem Film ausgerechnet an dem Punkt die erzählerische Wucht ausgeht, wo Eunice und die Kinder in ein neues Leben starten. Insgesamt aber ist „Für immer hier“ ein intensives Drama, das davor warnt, die Vergangenheit in allzu schönen Farben zu malen.

„Für immer hier“ („I’m Still Here“, Brasilien/Frankreich 2024), Regie: Walter Salles, mit Fernanda Torres, Selton Mello, Valentina Herszage, Fernanda Montenegro, 135 Minuten, FSK ab zwölf Jahre.

Im Kino. Weitere Infos unter dcmstories.com

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