Kultur

Film „Ein Tag ohne Frauen“: Wie streikende Isländerinnen Geschichte machten

Im Jahr 1975 stand Island einen Tag lang still. Die meisten Frauen befanden sich im Streik. Daran erinnert der Dokumentarfilm „Ein Tag ohne Frauen“, der kurz nach dem Internationalen Frauentag in die Kinos kommt.  Im Interview beschreibt Produzentin Hrafnhildur Gunnarsdóttir, wie sie die Zeitenwende in Sachen Geschlechtergerechtigkeit erlebt hat.

von Nils Michaelis · 6. März 2025
Ein Tag ohne Frauen

Fröhlicher Protest von isländischen Frauen : Der 24. Oktober 1975 markierte eine Zäsur.

Am 24. Oktober 1975 legten rund 90 Prozent der isländischen Frauen die Arbeit nieder und versammelten sich zu einer Protestkundgebung in der Hauptstadt Reykjavik. Für die Zeitzeuginnen, die diesen Tag erstmals vor der Kamera Revue passieren lassen, ist er noch immer sehr präsent. Wie hält es Islands Gesellschaft damit?

Er ist insofern gegenwärtig, als wir uns sehr wohl bewusst sind, dass wir an der Spitze des Gleichstellungsindexes stehen. Andererseits wissen viele Menschen nicht wirklich, warum unsere Gesellschaft diese Fortschritte gemacht hat. Insbesondere vielen jungen Leuten fehlt der geschichtliche Hintergrund. Das war für mich einer der Gründe, diesen Film zu machen. 

Hinzu kommt: Die Generation der Frauen, die im Film auftreten, verschwindet langsam. Es war die letzte Gelegenheit, um authentische Erinnerungen aufzuzeichnen.

Warum kam diese revolutionäre Stimmung ausgerechnet im Jahr 1975 auf? 

In gewisser Weise geschah das zufällig. Die isländische Frauenbewegung hatte das Gefühl, hinter den Bündnisgenossinnen in Frankreich, Deutschland, Skandinavien und USA zurückzufallen. 

Als die Vereinten Nationen 1975 zum Frauenjahr erklärten, fühlten sie sich inspiriert, etwas zu unternehmen. Auf typisch isländische Art, nämlich ganz spontan, kamen sie zusammen und innerhalb von vier Monaten wurde die Protestveranstaltung mit rund 20.000 Teilnehmerinnen in Reykjavik organisiert.

Jener Streiktag wurde durch das Gender Pay Gap und schlechte Karrierechancen für Frauen ausgelöst. Wie steht Island heute da? 

Laut dem weltweit gemessenen Gleichstellungsindex liegt Island bei der Geschlechtergerechtigkeit seit 15 Jahren auf Platz eins. Das wird anhand bestimmter Indikatoren gemessen, aber wir haben definitiv einen Zeitpunkt erreicht, an dem die Gesellschaft insgesamt ziemlich gleich ist.

Derzeit werden alle großen Institutionen in Island von Frauen geleitet. Die Präsidentin ist eine Frau. Die Premierministerin ist eine Frau. Im Parlament liegt der Frauenanteil bei 50 Prozent. Die Bezirksstaatsanwältin ist eine Frau. Eine Bischöfin steht der Nationalkirche vor. Sieben von zwölf Pfarrern sind Frauen.

Wir arbeiten immer noch daran, die vor allem für die Privatwirtschaft typische Lohnlücke zu schließen, vielleicht werden wir es bis zum Jahr 2030 schaffen. Derzeit verdienen Frauen etwa neun Prozent weniger als Männer. Immerhin ist es gesetzlich verboten, Männer und Frauen entsprechend ihrem Geschlecht zu bezahlen.

Hrafnhildur Gunnarsdóttir 

 

Am 24. Oktober 1975 wurde mir etwas ins Gehirn geflüstert

Sie haben als Elfjährige an der Protestaktion teilgenommen. Wie denken Sie daran zurück?

Es ist, als wäre es gestern gewesen. Meine Mutter und ich gingen zusammen zum Streik. Sie hatte einen sehr guten Job im Finanzministerium und hielt den Streik für wichtig. Außerdem kannte sie eine der Rednerinnen, sie waren in derselben Straße aufgewachsen. 

Ich weiß noch genau, wo ich auf dem Platz stand. Es war ein unglaubliches Ereignis, man hatte das Gefühl, dass etwas passierte. Als Kind war ich mir dessen sehr bewusst. Am nächsten Tag wachte ich auf und dachte: Jetzt wird sich alles ändern. Natürlich dauerte es lange. 

Was haben Ihre Mutter und der Tag des Frauenstreiks Ihnen mitgegeben? 

Damals wurde mir etwas ins Gehirn geflüstert. All das hat meine Karriere stark beeinflusst.

Meine Mutter hat immer gewollt, dass Frauen arbeiten können und für ihre Arbeit genauso bezahlt werden wie Männer. Und dass sie sich politisch einbringen. Mich hat sie ermutigt, unabhängig zu sein.

Schon sehr früh war ich mir des ungerechten Verhältnisses zwischen den Geschlechtern bewusst. Im Sommer 1975 verkaufte ich Zeitungen auf der Straße. Um beim Holen der Zeitungen schneller zu sein, schoben die Jungen die Mädchen immer nach hinten. Das bedeutete, dass sie am Ende weniger verkauften. Weil ich allerdings sehr kurze Haare hatte. konnte ich vorne bei den Jungen sein.

Ist dieser Film eine späte Folge dieser frühen Bewusstseinsbildung?

Ja, in gewisser Weise. Eigentlich wollte ich Journalistin werden. Aber ich habe meinen Weg im unabhängigen Dokumentarfilm gefunden. Meine Karriere als Filmemacherin wurde größtenteils von Islands Frauenbewegung der 70er-Jahre inspiriert.

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Sie haben diesen Dokumentarfilm produziert. Wie haben Sie seine Entstehung jenseits der klassischen Aufgaben einer Produzentin erlebt? Immerhin hat „Ein Tag ohne Frauen“ viel mit ihrem persönlichen Leben zu tun.

Es war ein sehr besonderes Projekt für mich. Etwa 60 Prozent der Frauen, die wir interviewt haben, kannte ich persönlich. Eine Mitarbeiterin des Isländer Frauenmuseums brachte ein unglaubliches Wissen zum Thema mit. So stießen wir auf einige Geschichten, die nie zuvor veröffentlicht worden waren. 

Es war eine gemeinsame Anstrengung. Ich komme aus einer Art Graswurzelbewegung, Dokumentarfilmerin zu sein ist eine Lebenseinstellung. Ich bin keine allein auf Cashflow und Ausgaben bedachte Produzentin. Immerhin habe ich es geschafft, den Film in Island finanziert zu bekommen. Das Außenministerium hat mich gefragt, ob es den Film allen Botschaften Islands zur Verfügung stellen kann. Das macht mich glücklich.

In dem Film gibt es eine überraschende Geschichte: Auf ihrem Bauernhof in einer abgelegenen Gegend erlebt eine Bäuerin Gleichberechtigung, doch auf einem anderen Hof und im Bauernverband ist alles anders. Wie war das möglich?

Ich weiß es nicht. Es gab sicherlich Unterschiede von Familie zu Familie. Diese Frau brauchte eine Weile und viel Mühe, um ein von den Männern als gleichwertig akzeptierter Teil der Bauerngesellschaft zu werden. Vielleicht führte die abgeschiedene Lage ihres Hofes zu ihrer besonderen Situation. Der Normalfall war wohl, dass Frauen in der Bauerngesellschaft Hausfrauen waren.

Ebenfalls überraschend ist die scheinbar fröhliche Stimmung beim Massenprotest vor bald 50 Jahren, aber auch unter den Gesprächspartnerinnen bei den Dreharbeiten. Ist das repräsentativ für gesellschaftliches Aufbegehren in Island? 

Nein, das würde ich nicht sagen. Es gab damals bei uns keine große Tradition des Protestierens oder des öffentlichen Ungehorsams. Der Frauenstreik war ein Novum. Am ersten Mai marschierten die Gewerkschaften bei Paraden. Manchmal nahmen Frauen daran teil. Die Frauenbewegung und die Gewerkschaften näherten sich einander an, aber Letzteren gefiel das nicht wirklich. 

Mit Blick auch auf andere Länder: Ist fröhlicher Protest erfolgreicher als grimmiger?

Dass Islands Frauen damals Humor eingesetzt haben, war neu. Nehmen wir etwa die Frauen, die am 24. Oktober 1975 während einer Performance auf der Bühne einkaufen gehen und nur 63 Prozent der Preise zahlen wollen, weil dies statistisch betrachtet ihrem Anteil am Gehalt der Männer entspricht. Diese werden von dem Verkäufer repräsentiert, der sich mit ihnen anlegt. 

Dinge auf humorvolle Weise aufzuarbeiten, hat der Bewegung in Island wirklich geholfen. Menschen, die etwas ändern möchten, rate ich, die Leute genau damit für ihr Anliegen zu gewinnen. In der weltweiten Queer-Bewegung und in der Frauenbewegung sehe ich mitunter sehr viel Wut. Manchmal muss man Kompromisse eingehen, will man Menschen zusammenbringen.

Die Isländerin Hrafnhildur Gunnarsdóttir arbeitet als Produzentin und Regisseurin im Bereich Dokumentarfilm. Viele ihrer Werke befassen sich mit der Frauenbewegung.

„Ein Tag ohne Frauen“ (USA/Island 2024), ein Film von Pamela Hogan (Regie/Drehbuch) und Hrafnhildur Gunnarsdóttir (Produktion), OmU, 70 Minuten, FSK: keine

Kinostart: 13. März 2025. Weitere Infos zum Film unter riseandshine-cinema.de

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