SPD betont: Wir sind beim Thema Migration nicht eingeknickt vor der Union
SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede sagt im vorwärts-Interview, warum sie keine deutsche „Migrationswende“ sieht. Sie erklärt, was stärkere Grenzkontrollen bringen und warum es für die SPD bei der Zuwanderung keine „nationale Notlage“ gibt.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur
Sonja Eichwede, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion: „Die SPD ist präsent und sorgt dafür, dass der Koalitionsvertrag eingehalten wird.“
Die Migrationspolitik sorgt seit nach dem Regierungswechsel für Schlagzeilen. Kanzler Merz (CDU) und Innenminister Dobrindt (CSU) sprechen von einem „Politikwechsel“ und einer „Migrationswende“. Wo gibt es die konkret im Vergleich zur Regierung Scholz?
Wir haben im Koalitionsvertrag verstärkte Grenzkontrollen mit mehr Bundespolizist*innen vereinbart. Die finden nun statt. Aber diese Kontrollen wurden bereits von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) eingeführt. Daher sehe ich hier keine Wende in der Migrationspolitik. Es gibt keine Abkehr vom eingeschlagenen Weg. Der Bundesinnenminister geht diesen aber mit Nachdruck und verstärkt weiter.
In den aktuellen Debatten zur Migration tritt die Union sehr präsent auf, die SPD scheint sich hier eher zurückzuhalten. Überlässt sie dem Koalitionspartner zur Zeit das Feld?
Das ist nicht der Fall. Wir bringen uns in die Debatte ein. Die CSU stellt den zuständigen Bundesinnenminister, die CDU den Kanzler, da ist es klar, dass sie stärker wahrgenommen werden. Die SPD ist präsent und sorgt dafür, dass der Koalitionsvertrag eingehalten wird und betont dabei insbesondere die rechtlichen Verpflichtungen und die Notwendigkeit der Absprache mit den europäischen Partnern.
Dennoch ist von manchen aus der SPD zu hören, die Partei sei vor der Union in der Migrationspolitik eingeknickt.
Dem würde ich mit Nachdruck widersprechen. Die Union wollte eine Schließung der Grenzen und eine ausnahmslose Zurückweisung aller Asylbewerber*innen ab Tag eins der neuen Regierung. Beides ist nicht gekommen. Die SPD dagegen hat im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl unangetastet erhalten bleibt. Sie betont, dass europäisches Recht eingehalten werden muss und die europäische Einigung nicht gefährdet werden darf, sondern bald möglichst umgesetzt werden muss.
Sonja
Eichwede
Es ist gut, dass die Union inzwischen Abstand genommen hat von ihrer Forderung nach nationalen Alleingängen in der Migrationspolitik.
Welche wichtigen Punkte der SPD werden noch in der Migrationspolitik von Schwarz-Rot umgesetzt?
Es ist gut, dass die Union inzwischen Abstand genommen hat von ihrer Forderung nach nationalen Alleingängen in der Migrationspolitik. Dass sie uns zustimmt, dass es eine nachhaltige Lösung der Probleme nur auf europäischer Ebene geben kann, durch die Gemeinsame Europäische Asylpolitik (GEAS), die Nancy Faeser im letzten Sommer verhandelt hat und deren Inkrafttreten ab 2026 gerade vorbereitet wird. Und wichtig für uns ist auch, dass es Zurückweisungen an den Grenzen nur „in Abstimmung mit den europäischen Partnern“ geben kann, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist.
Genau dabei gibt es aber jetzt Probleme, wie die deutliche Kritik aus Polen und der Schweiz an der neuen Grenzpraxis zeigt.
Das ist ein Alarmsignal. Denn es zeigt, dass die Abstimmungen mit unseren europäischen Partnern dringend verbessert werden müssen. Eine europäische Lösung darf nicht gefährdet werden durch nationale Alleingänge, welcher Art auch immer.
Die Union betont, sie wolle eine Begrenzung von „irregulärer“ bzw. „illegaler“ Migration. Was genau verbirgt sich hinter diesen Begriffen?
Ich spreche nicht von „illegaler“ Migration, Menschen sind nicht „illegal“. Irreguläre Einreisen liegen vor, wenn Menschen ohne Aufenthaltsrecht oder Visum einreisen, etwa um einen Asylantrag zu stellen.
Sonja
Eichwede
Bei der Zurückweisung Schutzsuchender von „Erfolg“ zu sprechen, finde ich schwierig.
Innenminister Dobrindt sagt, die irreguläre Migration gefährde die Stabilität unseres Landes.
Ich sehe das differenzierter. Klar ist: Es muss ein Gleichgewicht geben zwischen der Hilfe für verfolgte Menschen, die sich aus dem Grundrecht auf Asyl sowie unseren internationalen wie nationalen Verpflichtungen und Regelungen ergibt, und unseren Fähigkeiten vor Ort, Schutzsuchende aufzunehmen und zu integrieren. Wir wissen, dass viele Kommunen an Grenzen stoßen und die Aufgaben im Bereich von Integration nur noch schwer erfüllen können. Deshalb handeln wir.
Die Zurückweisungen an den Grenzen sind in der ersten Woche der verschärften Grenzkontrollen um knapp die Hälfte gestiegen. Das Innenministerium sieht dies als Erfolg.
Bei der Zurückweisung Schutzsuchender von „Erfolg“ zu sprechen, finde ich schwierig. Humanität und Ordnung müssen zusammengebracht werden. Wichtig ist aber, dass wir an der Grenze Schleuserkriminalität erfolgreicher bekämpfen, offene Haftbefehle vollstrecken und gegen Kriminalität besser ermitteln können. Das stärkt unsere Sicherheit.
Die Dublin-Drei-Verordnung sieht vor, dass jeder Asylantrag an der Grenze eines EU-Staates zunächst inhaltlich geprüft werden muss. Gilt für Deutschland diese Verordnung weiter?
Es gilt für uns weiterhin europäisches Recht. Das ergibt sich aus unserer Rechtsordnung. So ist es auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. So hat es Kanzler Merz auch zugesagt.
Es gab die Meldung, Deutschland rufe eine „nationale Notlage“ aus, um Zurückweisungen an den Grenzen unbegrenzt vornehmen zu können. Dies hat Kanzler Merz dann schnell dementiert. Würde die SPD die Ausrufung einer nationalen Notlage mittragen?
Das kann ich mir angesichts der aktuellen Lage nicht vorstellen. Wir haben – auch dank der Maßnahmen von Nancy Faeser – stark rückläufige Zahlen bei den Einreisen nach Deutschland. Damit ordnen sich die Verhältnisse. Wir müssen uns an Fakten orientieren, um uns von rechter Stimmungsmache abzugrenzen.