Inland

Gedenkveranstaltung: Warum Pistorius zum Schutz der Demokratie aufruft

Vor 100 Jahren wurde der Lagerarbeiter Erich Schulz von einem Rechtsextremisten erschossen. Schulz hatte sich für den Schutz der Weimarer Republik stark gemacht. Die Erinnerung an den Mord nutzte der Verteidigungsminister am Freitag für einen eindringlichen Appell.

von Kai Doering · 25. April 2025
Ehrung für Erich Schulz: Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Verteidigungsminister Boris Pistorius und der Vorsitzende des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Fritz Felgentreu (v.l.)

Ehrung für Erich Schulz: Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Verteidigungsminister Boris Pistorius und der Vorsitzende des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Fritz Felgentreu (v.l.)

Der 25. April 1925 war ein Samstag. Am kommenden Tag fand nach dem überraschenden Tod Friedrich Eberts einige Wochen zuvor die Stichwahl um das Amt des Reichspräsidenten statt. Paul von Hindenburg als Vertreter des antirepublikanischen „Reichsblocks“ gegen Zentrumspolitiker Wilhelm Marx vom republikanischen „Volksblock“ lautete das Duell.

Auf offener Straße erschossen

Die Stimmung im Deutschen Reich war zu diesem Zeitpunkt bereits aufgeheizt. Im Jahr zuvor hatte sich in Magdeburg das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ gegründet, um die Weimarer Republik gegen ihre radikalen Feind*innen zu verteidigen. Am Nachmittag des 25. April 1925 war die „Kameradschaft Kreuzberg“ des „Reichsbanner“ gerade auf dem Rückweg von einer Wahlkampfveranstaltung, die sie abgesichert hatte.

In der Innsbrucker Straße in Berlin-Schöneberg wurde der offene Möbelwagen mit den „Reichsbanner“-Männern von Republik-Gegnern angehalten. Im folgenden Handgemenge zog der 21-jährige Alfred Rehnig, Mitglied im rechtsextremen „Wikingbund“, eine Waffe und schoss mehrfach. Den 27-jährigen Erich Schulz verletzte er dabei so schwer, dass er noch auf dem Weg ins Krankenhaus starb. Der parteilose Lagerarbeiter war das erste von vielen Todesopfern des „Reichsbanners“ in Berlin. Der Täter wurde wenig später freigesprochen. 1931 trat Rehnig der NSDAP und später der SS bei.

„Kampf um die Köpfe und die Herzen der Menschen“

„Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat waren zu keinem Zeitpunkt frei von Feinden. Ihre Verteidigung hört niemals auf. Der Kampf nimmt nur neue Formen an“, erinnerte genau 100 Jahre später am Freitag, 25. April, Fritz Felgentreu. Er ist seit 2021 Vorsitzender des „Reichsbanner“, das – von den Nationalsozialisten verboten – 1953 wiedergegründet wurde. Seit 2017 erinnert der Verein „Reichsbanner“ am Grab von Erich Schulz auf dem Friedhof Columbiadamm in Neukölln an sein erstes Todesopfer in Berlin.

„Wir gedenken der Toten nicht um ihretwillen, sondern um unseretwillen“, betonte Felgentreu am Freitag. Mit der Erinnerung an den Einsatz von Erich Schulz und vieler anderer sei auch die Vergewisserung verbunden: „Was für ein Privileg ist es doch, dass wir in Frieden und Wohlstand in einem freien Deutschland leben dürfen“, so Felgentreu. „Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold schützt Freiheit und Demokratie heute nicht mehr in Saalschlachten und bei Straßenkämpfen. Aber genauso wichtig wie damals ist uns der Kampf um die Köpfe und die Herzen der Menschen.“

Pistorius: „Die Demokratie braucht unseren Schutz“

„Die Demokratie kann nur bestehen, wenn jeder einzelne bereit ist, für sie einzutreten“, betonte auch Boris Pistorius. Der Verteidigungsminister hielt die Hauptrede bei der Gedenkveranstaltung für Erich Schulz und nutzte sie, um den Bogen in die Gegenwart zu schlagen. „Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg die Demokratie geschenkt bekommen“, erinnerte Pistorius und mahnte: „Dieses Geschenk sollten wir lieben und müssen es schützen, gerade gegen die zunehmende Gefahr von rechts.“

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sei die „Demokratie nicht mehr selbstverständlich“, sondern verletzlich. Dass mit der AfD im vergangenen Jahr in Thüringen erstmals seit der Nazi-Zeit eine rechtsextreme Partei eine Landtagswahl gewinnen konnte, sei eine „Zäsur“ und ein „Aufruf“. „Unsere Demokratie ist erneut in Gefahr und braucht unseren Schutz“, so Pistorius.

Im Gegensatz zur Weimarer Republik sei es heute deutlich leichter, sich für die Demokratie einzusetzen. „Trotzdem tun sich immer mehr damit schwer.“ Die Weimarer Republik sei „nicht an der Stärke ihrer Gegner zugrunde gegangen“, sondern daran, dass sie zu wenig Unterstützer*innen gehabt habe. Das, so Pistorius, müsse eine Lehre für die heutige Zeit sein. „Wir dürfen uns nicht wegducken“, forderte Pistorius. „Seien wir entschlossen! Kämpfen wir für die Demokratie!“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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