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Migration: Warum Experten vor weiteren Reformen warnen

Bundeskanzler Friedrich Merz hat eine Migrationswende versprochen, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt gleich am ersten Arbeitstag entsprechende Weisungen erteilt. Dabei sollte die Bundesregierung besser woanders ansetzen, wie ein neues Gutachten nahelegt.

von Lea Hensen · 13. Mai 2025
Einbürgerungen sind nach wie vor mit viel Bürokratie verbunden.

Einbürgerungen sind nach wie vor mit viel Bürokratie verbunden.

Gleich an seinem ersten Arbeitstag verordnete Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) eine Weisung für schärfere Kontrollen und mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Es sollte die erste Maßnahme der neuen Migrationspolitik sein, die sich Union und SPD im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Die Bundesregierung steht ganz offensichtlich unter Druck, Wahlversprechen umzusetzen, und zwar möglichst schnell. Ein aktuelles Gutachten aber warnt: Schnelligkeit ist nicht alles.

Empfehlung an die neue Bundesregierung

Der unabhängige „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ (SVR) hat am Dienstag sein Jahresgutachten vorgestellt, mit dem er regelmäßig beurteilt, wie sich Maßnahmen und Gesetze auf die Migrationspolitik auswirken. „In den letzten Jahren wurden Gesetze teilweise in schneller Folge geändert“, sagte SVR-Vorsitzender Winfried Kluth mit Blick auf Gesetzesinitiativen aus der Zeit der Ampel-Koalition. „Das stellt für die ohnehin stark belasteten Verwaltungen eine Herausforderung dar, die Umsetzung kann daher mit dem Tempo der Rechtsetzung oft nicht Schritt halten.“ Dies erhöhe die Gefahr, dass Gesetze schleppend und ineffizient umgesetzt werden.

Die Sachverständigen warnen: Bürger*innen würden die Fähigkeit einer Regierung nicht allein daran messen, ob sie schnell Gesetze entlässt. Viel wichtiger sei, ob die Maßnahmen wirken. Daher „empfehlen wir der Politik, in der neuen Legislaturperiode die gute Umsetzung als Ziel verstärkt in den Blick zu nehmen“, so Kluth.

Die strukturellen Probleme, die das Gutachten für die Verwaltung benennt, sind nicht ohne: Über Jahre sei zu wenig in die für Integration notwendige Infrastruktur investiert worden, an vielen Stelle fehle Personal und die Digitalisierung komme ohnehin nur schleppend voran. Behörden würden unterschiedliche Software-Programme verwenden und das digitale Ausländerzentralregister oft gar nicht als zentrale Informationsplattform nutzen. Stattdessen würden Daten oft manuell erfasst. Zuständigkeiten seien nicht ausreichend abgestimmt, so der SVR, Aufgaben würden zum Teil doppelt oder parallel bearbeitet – bei ohnehin unzureichendem Personal. Dadurch gingen auch Informationen verloren.

Bund sollte mehr Aufgaben übernehmen

Das Gutachten spricht von einer „Zwecküberfrachtung von Regelungen“, von „zu komplizierten und damit oft langwierigen Verfahren“. Statt neue Gesetze zu beschließen, sollte die Bundesregierung also erst einmal an vielen Stellen umorganisieren. Vor allem sollte der Bund die Ausländerbehörden in den Länder und Kommunen entlasten, indem das Auswärtige Amt mehr Aufgaben übernimmt. 

Die Sachverständigen haben für das Gutachten drei konkrete Maßnahmen der Ampel-Koalition in den Blick genommen und Vorschläge erarbeitet, wie sie besser umgesetzt werden könnten. Das im Sommer 2023 verabschiedete Einwanderungsgesetz für Fachkräfte sollte die Integration von Arbeitskräften mit geringerer Qualifizierung in den Arbeitsmarkt erleichtern. Doch die Anerkennung von unterschiedlichen ausländlichen Berufsabschlüssen stelle die unterbesetzten Behörden vor Herausforderungen, stellt das Gutachten fest. Die Empfehlung lautet daher: Statt der Behörden sollten zertifizierte Arbeitgeber*innen die Berufserfahrung von potenziellen Arbeitskräften beurteilen, da sie ohnehin über qualifierte Personalabteilungen verfügen. Visa und Aufenthaltstitel könnten über das Auswärtige Amt vergeben werden, das würde die Ausländerbehörden in den Landkreisen entlasten.

Im EU-Vergleich weniger Einbürgerungen

Mit dem Job-Turbo wollte der damalige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Oktober 2023 Geflüchtete schneller in Arbeit bringen. Der Sachverständigenrat begrüßt die Maßnahme, merkt aber an, dass der Arbeitseinstieg gerade bei Frauen oft an fehlender Kinderbetreuung scheitert. Deswegen sollte die neue Regierung aus Sicht der Expert*innen den Fachkräftemangel in Kitas und Schulen in den Blick nehmen. 

Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verkürzte die Ampel-Regierung die Wartezeit für Einbürgerungen und ermöglichte einen Doppel-Pass für Nicht-EU-Bürger*innen. Entgegen Ankündigungen der Union bleibt es mit der neuen Regierung auch dabei. Seit die Reform Mitte 2024 in Kraft getreten ist, seien die Nachfragen nach Einbürgerungen gestiegen, stellt das Gutachten fest. „Doch im europäischen Vergleich liegen die Zahlen für Deutschland nach wie vor im unteren Bereich.“ 

Praxis-Checks verpflichtend einbauen

Woran liegt das? Durch zu wenige Mitarbeitende, fehlende Digitalisierung und eine komplexe Rechtslage komme es weiterhin zu langen Wartezeiten – die Menschen warten also sehr lange auf ihren deutschen Pass. Ganz oben auf der Agenda steht daher der Bedarf nach mehr Personal und attraktiveren Stellen. Darüber hinaus empfiehlt der SVR, die Angestellten in ihrer Entscheidungspraxis besser zu schulen. Zum Beispiel könnten ehrenamtliche „Lotsen“ Einbürgerungswillige in dem Prozess begleiten – in einigen Bundesländern gibt es bereits entsprechende Projekte. Auch bei den Einbürgerungen wäre es nach Auffassung der Sachverständigen sinnvoll, die Erteilung von Aufenthaltstiteln dem Bund zu übertragen.

Der Sachverständigen empfehlen darüber hinaus, Praxis-Checks in die Gesetzgebung einzubauen, um vor Einführung eines Gesetzes dessen Umsetzbarkeit zu testen. Dadurch könnte überprüft werden, ob das Vorhaben überhaupt verständlich ist, sich damit Bürokratie abbauen lässt und die notwendigen Ressourcen für die Umsetzung vorhanden sind. Denn auch, wenn noch so viele Maßnahmen auf den Weg gebracht werden - der Unmut in der Öffentlichkeit wächst, wenn sie keine Wirkung zeigen, warnen die Sachverständigen. Und im schlimmsten Fall spielt das den Rechtspopulist*innen in die Karten. 

Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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