Koalitionsvertrag: Welche Forderungen Jusos, DGB und SPD Frauen stellen
Seit einer Woche verhandeln CDU/CSU und SPD über die Bildung einer neuen Regierung. Inzwischen machen zahlreiche Gruppen deutlich, was sie von einem Koalitionsvertrag erwarten. Am Mittwoch zogen die SPD Frauen eine rote Linie.
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Aktion vor dem Willy-Brandt-Haus am 18. März: Die Erwartungen an den Koalitionsvertrag von Union und SPD sind groß.
Eine Woche nach Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD haben sich die SPD Frauen (früher Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, ASF) mit einem offenen Brief an den Parteivorstand und die sozialdemokratischen Verhandler*innen gewandt. Sie fordern darin, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen als Vorhaben der künftigen Regierung in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. „Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper muss für die SPD eine rote Linie sein“, schreiben die SPD Frauen in dem Brief. „Einem Koalitionsvertrag ohne eine Einigung über die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen können wir nicht zustimmen.“
Der SPD-Parteivorstand hatte in der vergangenen Woche beschlossen, dass die Mitglieder bei der Unterzeichnung eines Koalitionsvertrags mit der Union das letzte Wort haben. Zurzeit laufen die Vorbereitungen für ein Mitgliedervotum. Dessen Ergebnis ist für die Parteiführung verbindlich. „Findet sich in dem Vertragsentwurf keine Aussage zur Reform des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, stellen die SPD Frauen in Aussicht, ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag zu verweigern“, teilten sie am Mittwoch mit.
Offener Brief der Jusos
Unterdessen haben die Jusos in den sozialen Medien einen offenen Brief mit dem Titel „Nicht um jeden Preis“ veröffentlicht, im Zuge derer zahlreiche Genoss*innen ihre Kernforderungen für eine künftige Koalition benannt haben. So fordert etwa die stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Lara Herter: „Die Transformation ins klimaneutrale Zeitalter muss auch in der Autoindustrie gelingen. Es braucht günstige E-Autos für alle.“ Rachid Khenissi aus dem Juso-Bundesvorstand fordert das Ende des Gender-Pay-Gaps, also der unterschiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern. „Dafür braucht es mehr Ganztagsbetreuungsangebote in Kita und Grundschule“, meint er.
Die Berliner Landesvorsitzende Kari Lenke ist der Meinung, es brauche einen starken und verlässlichen Sozialstaat statt einer Rückabwicklung des Bürgergeldes. Maria Garcia Bescos, stellvertretende Juso-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, ist wichtig, dass auch in einer Koalition mit der CDU der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht an Bedeutung verliert. „Die Mittel für zivilgesellschaftliches Engagement und politische Bildung dürfen nicht gekürzt werden“, fordert sie daher. Steven Commey-Bortsie, Landesvorsitzender der Jusos im Saarland, macht deutlich: „Eine Koalition muss das Leben der Menschen verbessern – nicht Geflüchteten schaden!“ Rund 650 Personen haben den offenen Brief bisher unterzeichnet.
Mietpreisbremse entfristen, sozialen Wohnungsbau stärken
Am Mittwoch veröffentlichten der DGB und der Deutsche Mieterbund ebenfalls einen offenen Brief unter dem Titel „Mietenexplosion stoppen – bezahlbaren Wohnraum sichern!“, der an die Mitglieder der Hauptverhandlungsgruppe sowie der Verhandlungsgruppe Bauen und Wohnen gerichtet ist. Darin fordern sie „entschlossene Maßnahmen für eine soziale und gerechte Wohnungspolitik“. DGB und Mieterbund sprechen sich dafür aus, die Mietpreisbremse zu entfristen und zu verschärfen. Das Sondierungspapier von Union und SPD sieht bislang nur vor, die Ende des Jahres auslaufende Mietpreisbremse um zwei Jahre zu verlängern.
Um eine weitere Mietpreisexplosion zu verhindern, fordern DGB und Mieterbund unter anderem Kurzzeitvermietungen strenger zu regulieren und Indexmietverträge künftig auszuschließen. Der soziale Wohnungsbau müsse gestärkt und die Bodenpolitik gemeinwohlorientiert gestaltet werden. Der Brief schließt mit dem Appell: „Das Thema Wohnen muss ganz oben auf die politische Agenda gesetzt werden! Die kommenden vier Jahre müssen genutzt werden, um die Weichen für eine gerechte und soziale Wohnraumpolitik zu stellen. Wohnen darf nicht zum Luxusgut werden – handeln Sie jetzt!“
Klimageld und Erhalt des Deutschlandtickets
Bereits in der vergangenen Woche hatte das Netzwerk „SPD Klima.Gerecht“ ein siebenseitiges Positionspapier mit Forderungen für eine „sozial-ökologische SPD“ veröffentlicht. In der Finanz- und Sozialpolitik fordern die Autor*innen des Papiers die Einführung eines Klimageldes zur Umverteilung der Einnahmen aus der CO2-Abgabe, eine Reform der Schuldenbremse und eine stärkere Unterstützung der Kommunen. In ihrem Sondierungspapier haben Union und SPD bereits beschlossen, eine Kommission einsetzen zu wollen, die bis Ende 2025 Leitlinien zur Überarbeitung der Schuldenbremse entwickeln soll.
Energiepolitisch fordert SPD Klima.Gerecht einen stärkeren Fokus auf die Vermeidung von Emissionen sowie die Stärkung einer dezentralen Energieversorgung. Der Windkraftausbau müsse konsequent fortgeführt werden. Kritisch blickt das Netzwerk hingegen auf den Bau von Gaskraftwerken. Im Bereich Mobilität sind der Erhalt des Deutschlandtickets, die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen und das Festhalten am Verbrenner-Aus bis 2035 drei ihrer Kernforderungen.
„Digitale Brandmauer“ und Schutz von Bürger*innenrechten
Schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen hatte ein breites Bündnis von mehr als 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen, initiiert vom digitalpolitischen Verein D64 und dem Chaos Computer Club (CCC), Union und SPD aufgefordert, eine„digitale Brandmauer“ zu errichten. Die Organisationen stellten zwölf Forderungen auf, wie die Bundesregierung Grundrechte und Demokratie im digitalen Raum stärken und vor Missbrauch schützen sollte.
„Die Ereignisse in den USA haben gezeigt, wie schnell digitalpolitische Instrumente und Befugnisse missbraucht und zu Gefahren für die Demokratie werden können“, erklärte Svea Windwehr, Co-Vorsitzende von D64. „Wir brauchen jetzt klare Regelungen gegen Massenüberwachung und für den Schutz der Grundrechte im digitalen Raum“, forderte sie.
„Wenn die neue Regierung kein Bekenntnis gegen den weiteren Überwachungsausbau abgibt und auch weiterhin die Datenbanken der US-Geheimdienste füttert, als wäre nichts gewesen, dann macht sie sich zum Handlanger der Autoritären, die nach der Macht greifen“, erklärte Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs.
Neben einem klaren Bekenntnis gegen staatliche Überwachung einschließlich des Verbots biometrischer Massenüberwachung fordern die digitalpolitischen Organisationen einen umfassenden Schutz der IT-Sicherheit und Verschlüsselung für alle Bürger*innen sowie eine wirksame Regulierung von Tech-Konzernen und die Stärkung digitaler öffentlicher Räume.
Alle aktuellen Entwicklungen in den Koalitionsverhandlungen gibt es hier in unserem Ticker.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
sehr gut, die hier vorgetragenen Forderungen,
die Situation ist- ich wiederhole mich- sehr günstig, kommt so nicht wieder- also: Nicht locker lassen, ggfs im Mitgliedervotum Klare Kannte, wenn Merz muckt