Frauentag: „Der weibliche Blick in der Politik ist unterrepräsentiert“
Nur ein knappes Drittel der Abgeordneten im neuen Bundestag sind Frauen. Wie das geändert werden kann und welche Anforderungen sie an die nächste Bundesregierung haben, sagen die Vorsitzenden der SPD Frauen, Ulrike Häfner und Maria Noichl, im Interview.
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SPD-Bundestagsfraktion: Frauen werden strukturell benachteiligt.
Mit der Bundestagswahl ist der Frauenanteil im Parlament von 35,7 Prozent auf 32,4 Prozent gesunken. Welche Folgen hat der geringere Frauenanteil für die Arbeit des Parlaments?
Maria Noichl: Die Folgen sind weitreichend. Der besondere weibliche Blick in der Politik ist unterrepräsentiert. Damit sind die Interessen und Bedürfnisse der Hälfte der Gesellschaft außen vor. Politik wird hauptsächlich als Männersache gesehen, aus Männerperspektive gemacht. Das bedeutet ein Demokratiedefizit. Dies mag sich groß anhören - und genauso ist es auch. Wenn das Volk vertreten werden soll, dann ist eine Vertretung durch Frauen im Bundestag von 32,4 Prozent bei einem Anteil von Frauen in Deutschland von fast 51 Prozent ein Loch in der Demokratie. Und man muss schon fast sagen: Gut, dass FDP und BSW den Einzug verpasst haben. Denn sonst läge der Frauenanteil wohl noch tiefer.
Auch für die SPD sind diesmal weniger Frauen in den Bundestag eingezogen. Woran liegt das?
Ulrike Häfner: Bei der SPD stehen 50 Frauen 70 Männern gegenüber – ein Verhältnis, das bei Weitem nicht ausgeglichen ist. Zwei Gründe sind hierfür zu nennen: Erstens wurden die meisten Landeslisten bei der Bundestagswahl von Männern angeführt. Somit ziehen bei einer geraden Anzahl an Abgeordneten wie gewollt Kandidierende beider Geschlechter mit demselben Anteil in den Bundestag ein, bei einer ungeraden Zahl an Mandatsplätzen aber immer ein Mann mehr. Hier ist nicht einem SPD-Landesverband ein Vorwurf zu machen. Trotzdem muss diese Systematik endlich gesehen werden und zukünftig der Spitzenplatz von Frauen eingenommen werden. Ein weiter Faktor, der Frauen strukturell benachteiligt, sind die alten Strukturen: Ist ein Wahlkreis aussichtsreich für ein Direktmandat, dann bekommt ihn eher ein Mann, ist der Wahlkreis praktisch nicht zu holen, dann dürfen auch Frauen ran.
Die Kombination dieser scheinbaren Einzelentscheidungen ergibt ein großes Ganzes und sorgt dann eben nicht für dieselbe Anzahl von weiblichen und männlichen Abgeordneten, obwohl Parität allen SPD-Frauen und -Männern am Herzen liegt und auch in unserem Wahlprogramm steht.
Wie lassen sich diese Mechanismen durchbrechen?
Maria Noichl: Ganz leicht: Wir brauchen ein Paritätsgesetz! So schnell wie möglich. Zurzeit läuft ja eine Wahlprüfbeschwerde zur Bundestagswahl, die übrigens jeder unterstützen kann. Aber auch innerhalb der Parteien muss sich schon jetzt etwas tun. Frauenförderung würde bedeuten, auf den Landeslisten konsequent den ersten Listenplatz an eine Frau zu vergeben, und die Wahlkreise in „gewinnbar“, „neutral“ und „kaum gewinnbar“ einzuteilen. Frauen und Männer können dann entsprechend die Partei vertreten.
Weibliche Abgeordnete werden immer wieder Ziel von Anfeindungen und Beleidigungen bis hin zum Sexismus. Was kann dagegen getan werden?
Ulrike Häfner: Drei Dinge: Bildung, Aufklärung und Zusammenstehen. Frauenhass ist die Einstiegsdroge für Faschisten und der gemeinsame Nenner der Demokratiehasser. Und das müssen wir weltweit sehen. Dies muss noch besser kommuniziert und darüber aufgeklärt werden. Wie bei allen Süchten gibt es einen Einstieg: Abzuwerten, auszugrenzen und sich selbst zu überhöhen, ist der Einstieg in ein undemokratisches, faschistisches Welt- und Menschenbild. Auch deshalb ist Frauenhass ein Gesellschaftsthema und ausschlaggebend zur Sicherung von Rechtsstaat und Demokratie. Wer hier wegsieht, wacht am Ende im Faschismus auf.
Eine Koalition von CDU/CSU und SPD gilt als wahrscheinlich. Friedrich Merz hat sich wiederholt gegen ein paritätisch besetztes Kabinett ausgesprochen, weil man damit „auch den Frauen keinen Gefallen“ tue. Wie sollte die SPD damit umgehen?
Maria Noichl: Komisch, dass er sich dann ganz kurz vor der Wahl sogar mehr Frauen als Männer in seinem Kabinett vorstellen konnte. Wir sehen bei Herrn Merz, dass er ein Opportunist ist. Um die Stimmen der Frauen zu sichern, war er am Ende bereit, alles zu sagen. Aber wir wissen, dass ihm Gleichstellung zu keiner Sekunde wichtig war und ist. Das ist bei der SPD zum Glück anders. Unsere Forderung ist klar: 50/50, wenn es um die SPD-Plätze am Kabinettstisch geht. 50/50 auch bei den Staatssekretär*innen und Positionen im Parlament.
Welche Anforderungen haben Sie als SPD-Frauen sonst an die künftige Bundesregierung?
Ulrike Häfner: Ein eigenständiges Ministerium für Gleichstellung wäre extrem wichtig. Dieses sollte auch eine Roadmap für Frauenrechte für die kommenden vier Jahre mit ehrgeizigen Zielen entwickeln. Rückschritte darf es hier in keinem Fall geben! Und dann sollte natürlich dringend Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden, damit Abtreibungen endlich legal sind. Das bereits erwähnte Paritätsgesetz wäre ebenfalls sehr wichtig.
In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist der Frauentag am 8. März bereits gesetzlicher Feiertag. Sollte er auch ein bundesweiter Feiertag werden?
Maria Noichl: Wir wären da sofort dabei! In Bayern könnten wir dafür den Feiertag „Maria Himmelfahrt“ eintauschen. Denn wir wollen Gleichstellung schon jetzt und nicht erst im Himmelreich.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.