Reden statt ausgrenzen: Wie es gelingen kann, AfD-Wähler zurückzugewinnen
Mit Rechten reden: Geht das überhaupt? Ja, meint Sally Lisa Starken. In ihrem neuen Buch wirbt die Journalistin für mehr gesellschaftliches Miteinander. Sie sieht darin einen zentralen Weg, den Rechtsruck zu bekämpfen.
IMAGO / Funke Foto Services
Hunderte Menschen demonstrieren in Erfurt Ende August 2024 gegen die Abschlusskundgebung der AfD vor der thüringischen Landtagswahl.
Kennen Sie das Lied „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ von Danger Dan?
Ja, klar. Das kenne ich.
Darin heißt es „Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt“. Warum hat er unrecht?
Er hat nicht unrecht, aber ich habe nicht mit Faschisten gesprochen. Mir war wichtig, dass die Menschen, mit denen ich spreche, nicht aus rechtsextremen Kreisen kommen. Darum habe ich auch nicht mit Partei-Funktionären der AfD gesprochen, sondern mit Menschen, die von sich behaupten, sie wären noch in der Mitte der Gesellschaft. Denn wenn wir nicht wieder ins Gespräch kommen mit Leuten, wenn wir nicht wieder lernen, Debatten zu führen, haben wir ein großes Problem. Diese Menschen haben Sorgen, Ängste und Unsicherheiten. Wir müssen sie hören und diese Lebensrealitäten sehen.
Deswegen habe ich mich in den Gesprächen erst mal darauf konzentriert, den Menschen auf Augenhöhe zuzuhören, ohne direkt mit Fakten zu kontern. Ich glaube nicht, dass alle Leute, die die AfD wählen, Faschisten sind. Sie nehmen billigend in Kauf, eine Partei mit zum großen Teil rechtsextremen Ideologien zu wählen. Sie fühlen sich aber trotzdem noch zur Mitte der Gesellschaft zugehörig.
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War Ihnen deshalb diese Unterscheidung zwischen Funktionär*innen und Wähler*innen, die – wie Sie schreiben – durch „ein Tor in der Brandmauer“ noch zurückzuholen seien, so wichtig?
Ja. Ich habe auch AfD-Abgeordnete an den Wahlkampfständen getroffen. Zum Beispiel in Erfurt die thüringische AfD-Landtagsabgeordnete Corinna Herold. Sie hat 2015 gefordert, alle Homosexuellen in Thüringen zählen zu lassen. Sie vertritt rechtsextreme Ideologien, die mich an frühere Zeiten erinnern. Deswegen spreche ich mit ihr nicht. Mein Ziel war es aber, die Menschen, die die demokratischen Kräfte irgendwo auf dem Weg verloren haben, zu finden und zu hören, wie das passieren konnte.
Als Friedrich Merz CDU-Vorsitzender wurde, hat er angekündigt, die AfD halbieren zu wollen. Damals stand sie bei zwölf Prozent, inzwischen sind es mehr als 20 Prozent in bundesweiten Umfragen. Ist es noch möglich, Wähler*innen von der AfD zurückzugewinnen?
Wir müssen das versuchen. Denn was ist die Alternative? Wir dürfen den Optimismus nicht verlieren, dass wir weiter für diese Demokratie kämpfen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat mir im Gespräch bestätigt, dass sich viele AfD-Wähler ein autoritäres System wünschen. Sie wollen weniger Freiheit und dafür mehr Sicherheit haben. Deswegen tendieren sie zu autoritären Parteien. Da müssen wir ansetzen.
Die anderen Parteien müssen mehr Inhalte zeigen. Sie sollten mehr Zukunftsvision haben. Wenn wir in die Wahlprogramme schauen, finden wir das größtenteils, aber sie werden kaum thematisiert. Stattdessen geht es fast ausschließlich um Migrationspolitik. Das spielt der AfD in die Karten. Sie muss noch nicht mal Wahlkampf machen und kann sich die Hände reiben.
Sie schreiben, dass die Mehrzahl der AfD-Wähler*innen im Westen Deutschlands lebt. Trotzdem führte Ihr Weg Sie erst mal für Gespräche nach Sachsen und Thüringen. Warum?
Es war mir wichtig, mit der These aufzuräumen, die AfD werde nur im Osten gewählt. Gleichzeitig hat die Partei bei den Landtagswahlen in diesen beiden Bundesländern jeweils mehr als 30 Prozent der Stimmen geholt. Was ostdeutsche Bundesländer uns vielleicht voraus haben, ist der Kampf gegen Rechtsextremismus.
Die Motivation und Leidenschaft bei den Gegendemos in Erfurt oder Görlitz war beeindruckend. Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen dort noch ein Stück wacher waren. Sie haben erkannt, was hier gerade passiert und wie existenziell die Lage ist. Im thüringischen Nordhausen wollten sich viele Menschen in den hinteren Reihen nicht so offen zeigen, weil sie Gefahren von rechts ausgesetzt sind.
Sie haben auch Workshops an Schulen über Fake News angeboten. Wie sehr hat Sie die Sympathie für die AfD bei jungen Menschen erschreckt?
Sie erschreckt mich nicht mehr. Ich habe damit gerechnet, wollte aber zuhören und darüber sprechen. Viel beeindruckender war, wie der Rest der Klasse damit umgegangen ist. Es sind die jungen Leute, die mit Sozialen Medien am besten umgehen können. Die große Mehrheit von ihnen weiß, um was es geht.
Gleichzeitig wächst diese Generation mit einer Vielzahl von Krisen – Corona, Klimakrise, Krieg in der Ukraine – auf und hat berechtigte Zukunftsängste. Das zu sehen und zu hören, hat mich nicht unbedingt schockiert, aber sehr betroffen gemacht. Nicht nur von denen, die daraus die Lösung gezogen haben, die AfD zu wählen, sondern auch von denen, die gesagt haben: „Ich wähle sie deswegen nicht.“
Sally Lisa
Starken
Demokratie funktioniert nur, wenn alle gemeinsam daran arbeiten, denn sie liegt in unseren Händen.
Laut einer Forsa-Umfrage würden 17 Prozent der 18- bis 29-Jährigen die AfD wählen, also deutlich weniger als in der Gesamtbevölkerung.
Ja, genau. Viele Jugendliche haben zu mir gesagt, dass sie sich durch die Berichterstattung im vergangenen Jahr über die angeblich so rechte Jugend generalisiert gefühlt haben. Sie sind viel empfänglicher für das, was in den Sozialen Medien passiert, aber sie können es auch viel besser verstehen und einordnen als beispielsweise ihre Lehrer.
Ich hoffe, dass wir nach dieser Bundestagswahl nicht wieder nur darüber reden , dass die jungen Leute die AfD gewählt haben. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Jede Gruppe hat eigene Gründe, warum sie die AfD wählt. Auch auf andere Fragen, etwa warum Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund die AfD wählen sollten, gibt es Antworten, die man sich aus seiner eigenen Lebensrealität gar nicht vorstellen kann. Die AfD hat es leider sehr gut verstanden, wie sie immer neue Wählergruppen für sich gewinnen kann.
Sie schreiben: „Die Aufgabe demokratischer Kräfte besteht also darin, konkrete Lösungen für die Ängste der Menschen anzubieten.“ Wie kann das gelingen?
Es kann gelingen, indem Parteien verstehen, dass ihre Botschaften wieder verständlich ankommen müssen, sie nicht auf jeden Migrationszug aufspringen und über jedes Stöckchen springen müssen, das die AfD bietet. Sie sollten eine neue Geschichte für sich erzählen, die eigenen Inhalte nach vorne stellen und nicht nur reagieren, sondern agieren.
Stattdessen geht es im TV-Duell 25 Minuten lang nur um Migration, aber nicht einmal um die Klimakrise. Es ging nicht um Gleichstellung. Was ist mit guter Bildung? Wie wollen wir im Alter leben?
All das sind Fragen, über die sich Parteien Gedanken gemacht haben. Jetzt müssen sie auch mit den Leuten darüber sprechen, um ihnen wieder Hoffnung zu geben. Das ist harte Arbeit, denn diese Hoffnung haben viele Menschen aufgekündigt, indem sie sich nicht mehr repräsentiert gefühlt haben. Da müssen Parteien wieder ran. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist, dass Menschen immer ihre eigene Verantwortung für ihre Handlungen tragen. Wenn sie rechtsextremen Ideologien hinterherlaufen, müssen sie anfangen, das zu hinterfragen, sich selbst reflektieren und Verantwortung dafür übernehmen. Dabei kann es eben helfen, wenn wir wieder mehr zuhören und miteinander sprechen.
Der dritte Punkt ist deswegen die fehlende Diskussionskultur. Wir haben verlernt zu diskutieren. Das führt auch dazu, dass einfache Antworten ganz oft unwidersprochen im Raum stehen bleiben.
Bei der Bundestagswahl 2021 verlor die AfD Stimmen und wurde nur noch fünftstärkste Kraft. Was lief damals besser?
Da kann ich auf das zurückgreifen, was Expert*innen zu mir gesagt haben, wenn ich diese Frage gestellt habe. Die Überlappung von Krisen hat bei vielen Menschen zu Überforderung geführt. Das ist in den genau richtigen Zeitpunkt gefallen für rechtsextreme Gedanken.
Die AfD hat daran gearbeitet, dass sie den Algorithmus beherrschen und Parteien auf sie reagieren. Dadurch hat sich die Diskussionskultur verändert. Der Normalisierungsprozess der AfD ist weiter vorangeschritten. Sie haben neue Wählerpotenziale erschlossen. Vor einem Jahr waren nach der Correctiv-Recherche alle gelähmt und schockiert. Inzwischen steht Remigration im Parteiprogramm der AfD und es juckt kaum jemanden mehr.
Zum Schluss eine Frage, die Sie Ihren Gesprächspartner*innen im Buch gestellt haben: Was können wir für die Demokratie tun?
Wir müssen alle verstehen, wie wichtig unsere eigene Stimme ist. Diese Demokratie ist so wertvoll, weil sie jeder mitbestimmen kann. Wir können so viel machen: Gespräche führen, demonstrieren, in Parteien eintreten, Politik mitgestalten. Das macht die Demokratie so schön und so wunderbar, aber auch so komplex, denn sie ist immer wieder Arbeit und das bedeutet, dass wir diese Arbeit auch auf uns nehmen müssen und dass jeder die Verantwortung dafür hat, das zu tun. Demokratie funktioniert nur, wenn alle gemeinsam daran arbeiten, denn sie liegt in unseren Händen.
Das Buch „Zu Besuch am rechten Rand – warum Menschen die AfD wählen“ von Sally Lisa Starken erscheint am 19. Februar im Heyne-Verlag. Es hat 288 Seiten und kostet 16 Euro.
Sally Lisa Starken ist ist freie Journalistin, Autorin, Podcasterin und Content Creatorin. Ihr Ziel ist es, Politik neu erzählen und zugänglicher machen, damit jede*r sie besser verstehen kann. Auf Instagram und als Podcast-Host erklärt sie täglich Politik – aktuell in ihrem Format „Die Informantin“.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo