Geschichte

Eduard Bernstein: Der Vordenker einer modernen Sozialdemokratie

In der SPD war er Zeit seines Lebens in einer Minderheitsposition. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurde Eduard Bernstein für die Partei zur prägenden Figur. Heute vor 175 Jahren wurde er geboren.

von Klaus Leesch · 6. Januar 2025
Wegbereiter des Godesberger Programms der SPD: Eduard Bernstein

Wegbereiter des Godesberger Programms der SPD: Eduard Bernstein

Am 6. Januar 2025 feiert die SPD den 175. Geburtstag Eduard Bernsteins. Sein Name ist untrennbar mit dem Begriff „Revisionismus“ verbunden. Vieles, für das er in seiner Zeit gestritten hat, ist heute Grundüberzeugung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Bernstein focht für einen demokratischen Sozialismus, für dessen Erreichung allerdings noch viele Hindernisse zu überwinden sind.

Der „Bruderkampf“ bestimmt Bernsteins politische Anfänge

Bernstein wurde in eine reformjüdische Eisenbahnerfamilie hineingeboren. Nach dem „Einjährigen“ lernte er den Beruf des Bankkaufmanns. 1872 trat er der Sozialdemokratie Eisenacher Provenienz bei, die sich an Karl Marx orientierte. Der „Bruderkampf“ mit den Lassalleanern des ADAV bestimmte das politische Leben des jungen Agitators Bernstein. 

Infolge des Sozialistengesetztes ab 1878 benötigte die Sozialdemokratie ein Presseorgan, das 1879 in Zürich unter dem Titel „Der Sozialdemokrat“ erschien. Bernstein stand ihm ab 1881 als quasi Chefredakteur vor. Eduard Bernstein bewies sich in dieser Aufgabe als linientreuer, felsenfest in der orthodoxen Nomenklatur der nahenden Revolution stehender marxistischer Sozialdemokat, der die Bourgeoisie zum Untergang verdammt sah und der Auffassung war, dass der Sozialismus „naturnotwendig“ kommen werde.

Marx kritisch hinterfragen

Diese Grundüberzeugungen der marxschen Lehre begannen sich im Laufe der 1890er Jahre in London zu modifizieren. Bernstein löste sich vom dogmatischen Glauben an den theoretischen (kautskyschen) Teil des Erfurter Programms. Seine publizierten Erkenntnisse lösten die unter dem Begriff „Revisionismusstreit“ bekannten Auseinandersetzungen in der SPD aus. 

Bernstein bestand darauf, dass alle marxschen Positionen kritisch hinterfragt würden, also nach wissenschaftlichen Kriterien mit ihnen umgegangen werden müsse. Das sozialistische Denken habe sich immer wieder der gesellschaftlichen Realität zu stellen. Er sah keinen Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft kommen; der Kapitalismus werde nicht automatisch zusammenbrechen. Es sei auch keine Verelendung der Volksmassen eingetreten, die Lage der Arbeiterschaft habe sich sogar eher verbessert. 

Der marxsche Revolutionsbegriff sei veraltet. Eine „revolutionäre Diktatur des Proletariats“ war ihm eine jakobinische Anarchie. Sein Revolutionsbegriff knüpfte an Reformvorschläge an und war auf das Aufbauen und nicht das Zerstören gerichtet. Bernstein suchte den Weg zu einer kompromissfähigen demokratischen Sozial- und Gesellschaftspolitik, die von einer Volkspartei SPD verantwortet werden solle. Große, ja zentrale Bedeutung hat bei Bernstein sein Verständnis des Begriffes Demokratie, die für ihn die Abwesenheit von Klassenherrschaft und das Mittel zur Erkämpfung und die Form der Verwirklichung des Sozialismus war.

Minderheitsposition in der SPD

1901 konnte Eduard Bernstein nach Deutschland zurückkehren. 1902 zog er als Abgeordneter in den Reichstag ein, wo er sich um Handels-, Zoll- und Außenpolitik kümmerte. Besonders bemühte er sich um den Schutz von Minderheiten und um eine Friedenspolitik. 

Bis wenige Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs demonstrierte Bernstein mit seiner Partei auf Massendemonstrationen gegen die aufziehende Kriegsgefahr und für den Frieden. Die Reichsregierung schaffte es trotzdem, die SPD-Fraktion und auch Eduard Bernstein von der Notwendigkeit eines Kriegseintrittes und der Gewährung von Kriegskrediten zu überzeugen. Aber bereits 1915 veröffentlichte er mit Hugo Haase und Karl Kautsky das „Gebot der Stunde“, in dem die drei sich gegen den Angriffskrieg, den Burgfrieden und weitgreifende Annexionspläne wandten.

Mit seiner Haltung zur Kriegsschuld, die er den deutschen Militärs und dem Kaiser zuwies, geriet Bernstein in der SPDin die er Anfang 1919, aus der USPD kommend, zurückgekehrt war, in eine deutliche Minderheitssituation, ja man hielt ihn in Teilen für einen „Spinner“.

Vom Görlitzer zum Godesberger Programm

1921 entstand unter führender Beteiligung Eduard Bernsteins das deutlich revisionistisch orientierte „Görlitzer Programm“, das allerdings nur eine kurze Überlebensdauer bis 1925 zum „Heidelberger Programm“ hatte. So konnten Bernsteins Vorstellungen letztendlich erst 1959 im Godesberger Programm nachhaltig zur Geltung kommen.

Eduard Bernstein starb am 18. Dezember 1932. Am Freitag, den 6. Januar 1933, verabschiedete ihn die gesamte Arbeiterbewegung mit einer letzten Großdemonstration vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Eduard Bernstein hat, von Gotha kommend, aktiv über Erfurt und Görlitz, den Weg für das Godesberger Programm geebnet und frei gemacht. Damit hat er als erster das moderne sozialdemokratische Politikverständnis formuliert.

Hören wir Bernstein selbst: 

„Die ganze praktische Thätigkeit der Sozialdemokratie geht darauf hinaus, Zustände und Vorbedingungen zu schaffen, die eine von konvulsivischen Ausbrüchen freie Ueberführung der modernen Gesellschaftsordnung in eine höhere ermöglichen und verbürgen sollen.“ (Die Voraussetzungen. 1899, S. 127).

Tatsächlich war es Bernstein, der die Freiheit nicht nur für die revolutionsgläubigen Genossinnen und Genossen, sondern für alle Andersdenkenden erkämpfen wollte und mit seinen Mitteln der Feder und des Wortes hat er genau dafür ein langes Leben lang ohne Eitelkeit und immer mit fairen Mitteln gekämpft. Sein Motto war: Der Weg ist das Ziel.

Zum Weiterlesen:
Leesch, Klaus: Eduard Bernstein (1850-1932). Leben und Werk. Frankfurt/New York: campus 2024.

Autor*in
Klaus Leesch

Dr. phil., ist Diplom-Bibliothekar, Pressearchivar und Historiker und lebt in Berlin.

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 06.01.2025 - 15:59

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Vergessen wurde, daß er als Verwalter des Nachlasses von Friedrich Engels einen wichtigen theoretischen Beitrag leistete.
Ich nehme mir die Freiheit darauf hinzuweisen, daß die Revisionismusdebatte sehr wichtig war (und ist), allerdings war Beernsteins Ansatz nicht daruf ausgerichtet, daß eine SPD, die sich sehr weit von ihren Ursprüngen und zielen entfernt hat, diesen Revisionismus zur Begründung ihrer inneren und äußeren Ziellosigkeit verwendet (schärfere Einordnungen verbietet mir die Netti).

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