Geschichte

Hugo Haase: Der unvollendete Arbeiterführer

Er verteidigte verfolgte Sozialdemokraten vor Gericht und führte gemeinsam mit August Bebel die SPD. Als Vertreter der USPD wurde Hugo Haase Mitglied der Übergangsregierung nach der Novemberrevolution. Er starb an den Folgen eines Attentats.
von Klaus Wettig · 6. November 2019
Prägende Figur der Weimarer Republik: Was wäre gewesen, wenn Hugo Haase am 7. November 1919 nicht an den Folgen eines politischen Attentats verstorben wäre?

Prägende Figur der Weimarer Republik: Was wäre gewesen, wenn Hugo Haase am 7. November 1919 nicht an den Folgen eines politischen Attentats verstorben wäre?

Was wäre gewesen, wenn Hugo Haase am 7. November 1919 nicht an den Folgen eines politischen Attentats verstorben wäre? Die SPD der Weimarer Republik hätte unter seiner Beteiligung in zentralen Fragen sicher eine andere Politik verfolgt, denn auch die freundlichste Beurteilung ihrer Politik muss einen Mangel an strategischem Format einräumen. Von Hugo Haase konnte erwartet werden, dass er diesen Mangel ausgeglichen hätte.

Verteidiger von Liebknecht und Braun

Der am 29. September 1863 im ostpreußischen Allenstein geborene Hugo Haase trat früh der Sozialdemokratie bei. Nach seinem Jurastudium in Königsberg gehörte er bald zu den Vertrauensanwälten der jungen Sozialdemokratie, die auch nach dem Ende des Sozialistengesetzes 1890 mit der Verfolgung ihrer Mitglieder zu kämpfen hatte. Wiederholt verteidigte Hugo Haase in spektakulären Prozessen bekannte SPD-Politiker. So vertrat er – gemeinsam mit Karl Liebknecht – Otto Braun und in einem Hochverratsprozess.

Trotz des Dreiklassenwahlrechtes schaffte Haase 1893 den Sprung in das Königsberger Kommunalparlament. Sein juristisches Engagement und seine politische Arbeit ließen sein Ansehen stetig wachsen, sodass er schon 1897 den Wahlkreis Königsberg in der Hauptwahl mit 51,7 Prozent gewann. Als sich 1907 in der Hottentottenwahl ein antisozialdemokratisches Bündnis bildete, verlor er knapp in der Stichwahl, doch 1912 kehrte er in den Reichstag zurück.

Nachfolger von Paul Singer

In den Flügelkämpfen der Vorkriegs-SPD gehörte Hugo Haase zum Marxistischen Zentrum um den Vorsitzenden August Bebel und den Theoretiker Karl Kautsky. Haase galt als Pragmatiker, der mit seinen vermittelnden Positionen viel für die Parteieinheit leistete. Dies mag der Grund für August Bebel gewesen sein, ihn 1911 als Nachfolger des verstorbenen Paul Singer zum Ko-Vorsitzenden vorzuschlagen. Auf dem Parteitag in Jena setzte sich Haase gegen den ebenfalls vorgeschlagenen Friedrich Ebert durch.

Das Verhältnis zu Ebert blieb angespannt, als Friedrich Ebert 1913 zum Nachfolger des verstorbenen August Bebel gewählt wurde. Beide führten seitdem Partei und Reichstagsfraktion. Ihr Zweckbündnis zerbrach 1914 in den Auseinandersetzungen über den Kurs der Reichstagsfraktion, die sich schließlich mit überwältigender Mehrheit zur Bewilligung der Kriegskredite entschloss, die die kaiserliche Regierung für ihre Kriegsführung benötigte. Obwohl Hugo Haase die Zustimmung ablehnte, übernahm er die Begründungsrede im Reichstag. Dieses Opfer für die Parteieinheit wurde nicht belohnt.

Mitbegründer der USPD

Die SPD-Reichstagsfraktion zerfiel in Mehrheit und Minderheit in der Zustimmungsfrage. Die Mehrheit folgte blind der Argumentation der Reichsregierung und später der Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff, dass das Reich einen Verteidigungskrieg führe, nur berechtigte deutsche Interessen müssten verteidigt werden. Daneben beeinflussten Interessen des Gewerkschaftsflügels die Zustimmungspolitik. Das Wohlverhalten sollte Zugeständnisse gegenüber den Gewerkschaften auslösen, was in bescheidenem Umfang der Fall war. Verglichen mit der Politik der nationalen Einheit der französischen Sozialisten in der union sacrée gab es nur geringe Zugeständnisse.

Als die Kriegskredite immer weniger vertretbar waren, verweigerte sich Hugo Haase mit einer kleinen Gruppe der Zustimmung, was bei der Fraktionsmehrheit heftige Attacken auslöste. Aus heutiger Sicht ist die Haltung der Fraktionsmehrheit unverständlich, denn bei nüchterner Analyse der Situation hätte sie erkennen können, dass ein Siegfrieden unerreichbar war und die innenpolitischen Zugeständnisse der Reichsregierung unzureichend blieben. Die 1916 beginnende Parteispaltung, die bis zum heutigen Tage reicht, hätte verhindert werden können, tatsächlich führte sie zur Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD).

Dass Hugo Haase die Sozialdemokratie als Einheit sah, zeigte sich beim Eintritt der USPD-Vertreter in den Rat der Volksbeauftragten, der am 9. November 1918 die revolutionäre Regierung bildete. Haases Handeln ist auf Einheit ausgerichtet, auch in seinem Eintreten für die Wahl einer Nationalversammlung. Hier stellte er sich in Gegensatz zu den Räte-Anhängern in der USPD.

Der am meisten geachtete Arbeiterführer Deutschlands

Ende 1918 verließ Haase mit seinen Freunden den Rat der Volksbeauftragten, als es über das Handeln von Gustav Noske zu Konflikten kam. Danach herrschte Funkstille zwischen MSPD und USPD, sodass beide Parteien bei der Wahl zur Nationalversammlung zusammen nicht die absolute Mehrheit erreichten. Die USPD blieb 1918 hinter ihren Erwartungen, was sie aber 1920 mit hervorragendem Wahlergebnis ausgleichen konnte. Enttäuschte MSPD-Wähler waren ihr massenhaft zugewandert. Unter einem Parteiführer Hugo Haase wäre das Ergebnis sicher noch höher ausgefallen.

Sein Fehlen machte sich 1920 bemerkbar, als die Mehrheit des USPD-Parteitages den Aufnahmebedingungen der Kommunistischen Internationale zustimmte. Haase hätte diesem Beschluss deutlich widersprochen. Im Sinne der Politik Hugo Haases kehrte die USPD-Minderheit 1922 zur MSPD zurück.

Zum politischen Klima der Weimarer Republik gehört, dass die Umstände des Attentates nicht untersucht wurden. Der Attentäter wurde als unzurechnungsfähig in einer Anstalt weggeschlossen. Über Hugo Haase heißt es im historischen Urteil, er sei „der am meisten geachtete Arbeiterführer Deutschlands“ (Francis F. Wheeler) gewesen.

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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