Geschichte

Geburtsstunde der SPD: Warum am 23. Mai 1863 der ADAV gegründet wurde

Um der Arbeiterschaft im Deutschen Bund politische Vertretung zu ermöglichen, gründen Ferdinand Lassalle und Delegierte aus elf Städten am 23. Mai 1863 in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Er wird zur Keimzelle der SPD.
von Thomas Horsmann · 23. April 2013
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Schriftzug auf der Breslauer Lassalle-Fahne des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins aus dem Jahr 1873. Der ADAV war zehn Jahre zuvor in Leipzig gegründet worden.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Schriftzug auf der Breslauer Lassalle-Fahne des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins aus dem Jahr 1873. Der ADAV war zehn Jahre zuvor in Leipzig gegründet worden.

Alles ist wohl vorbereitet an diesem 23. Mai 1863. Der Ballsaal im „Pantheon“, einem bekannten Leipziger Vereinslokal in der Dresdner Straße 20, ist festlich geschmückt. Ein Fotograf ist bestellt, der den wichtigen Augenblick festhalten soll. Für den Abend sind einige Hundert Leipziger Arbeiter eingeladen, um das Ereignis in gebührendem Rahmen feiern zu können. Nach und nach treffen am Nachmittag die Delegierten aus elf Städten ein. Leipzig, Hamburg, Harburg, Köln, Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Solingen, Frankfurt a.M., Mainz und Dresden. Sie werden von dem Chemiker Otto Dammer, dem Zigarrenarbeiter Friedrich Wilhelm Fritzsche und dem Schumacher Julius Vahlteich empfangen, die die Versammlung organisiert haben. Schließlich trifft auch der Journalist und begnadete Redner Ferdinand Lassalle ein, der intellektuelle Kopf des Ganzen.

Arbeiterbildungsvereine als Wurzel der SPD

Blick zurück: Nach der gescheiterten Revolution von 1848 ließen zu Beginn der 1860er Jahre die Unterdrückungsmaßnahmen der deutschen Staaten nach. Eine starke bürgerliche Freiheitsbewegung formierte sich, die eng mit der Arbeiterbewegung verknüpft war. Ihr gemeinsames Ziel war ein geeintes und freies Deutschland. Die Lage der Arbeiterschaft war prekär. Ein großer Teil lebte in unbeschreiblichem Elend, wurde ausgebeutet, war recht- und hilflos.

Über die „soziale Frage“ wurde beim Bürgertum viel diskutiert. Die Not des „vierten Standes“ sollte durch Bildung behoben werden. Seit 1861 wurden deshalb in vielen Städten bürgerlich-liberale Arbeiterbildungsvereine gegründet. Sie sorgten für eine bessere allgemeine und berufliche Bildung und förderten Genossenschaften, die die Arbeiter finanziell unabhängiger machen sollten. Allerdings hatten Arbeiter in diesen Arbeiterbildungsvereinen nichts zu sagen.

Endlich: eine Partei der Arbeiter

Viele Arbeiter wollten jedoch selbst politisch aktiv werden. So beschloss eine große Arbeiterversammlung in Berlin am 2. November 1862, einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongress in Leipzig einzuberufen. Ein Leipziger Komitee begann mit den Vorbereitungen. Ihm gehörten u. a. Fritzsche, Vahlteich und August Bebel an, der später zu einem weiteren Gründungsvater der Sozialdemokratie werden sollte. Doch zunächst hielt sich Bebel ans bürgerlich-liberale Lager um Herman Schulze-Delitzsch, das eine eigenständige Arbeiterpartei ablehnte.

Am 4. Dezember 1862 wandten sich Fritzsche, Vahlteich und Dammer als Vertreter des Leipziger Komitees per Brief an Ferdinand Lassalle, der gerade mit seinen Ideen zur Arbeiterschaft für Aufsehen gesorgt hatte. Sie baten ihn „Führer der ganzen Bewegung“ zu werden. Sein „Offenes Antwortschreiben“ vom 1. März 1863 war ganz nach ihrem Geschmack: „Der Arbeiterstand muss sich als selbstständige politische Partei konstituieren.“ Er forderte das allgemeine und gleiche Wahlrecht und die Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körperschaften Deutschlands. Zudem sollten die Genossenschaften vom Staat gefördert werden. Arbeiter sollten zu Unternehmern werden.

Die Arbeiterschaft spaltet sich

Das Leipziger Komitee ließ sich von Lassalle begeistern. Mehrheitlich sprach es sich für die Gründung einer Arbeiterpartei aus. Als Termin für den feierlichen Akt wurde der 23. Mai 1863 festgelegt. Doch Lassalles revolutionäre Ideen kamen nicht überall gut an. Die Arbeiterschaft spaltete sich in die Anhänger des liberalen Schulze-Delitzsch und Anhänger Lassalles. So wurden nur in elf Städten freie Arbeiterversammlungen abgehalten, die Delegierte nach Leipzig schickten.

Im „Pantheon“ wird schließlich die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) vollzogen. Eine Satzung wird verabschiedet, als Sitz des Vereins wird Leipzig festgelegt. Mit großer Mehrheit wird Lassalle zum Präsidenten für zunächst fünf Jahre gewählt. Die erste politische Partei der Sozialdemokratie ist entstanden.

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