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Sperrminorität: Welches Erpressungspotenzial die AfD in Thüringen jetzt hat

Nach der Landtagswahl in Thüringen hat die rechtsextreme AfD erstmals in einem Parlament mehr als ein Drittel der Sitze. Damit besitzt sie eine sogenannte Sperrminorität. Für die anderen Parteien wird das zum Problem – und für die Demokratie.

von Jonas Jordan · 4. September 2024
Vor dem Thüringer Landtag brennen Kerzen.

Vor dem Thüringer Landtag brennen Kerzen. Die rechtsextreme AfD stellt dort künftig mehr als ein Drittel der Abgeordneten.

Nach der Landtagswahl in Thüringen könnte genau das eintreten, wovor der SPD-Landesvorsitzende und Landesinnenminister Georg Maier schon Anfang des Jahres gewarnt hatte: „Die Strategie der AfD ist es, die Demokratie von innen heraus auszuhöhlen. Sie nutzt jede Chance, die Legitimität aller demokratischen Organe anzugreifen.“ Denn die AfD ist nicht nur erstmals stärkste Kraft bei einer Landtagswahl geworden, sondern hat auch zum ersten Mal mehr als ein Drittel der Sitze in einem Parlament. Das hatte die rechtsextreme Partei bereits im November 2022 auf ihrem Landesparteitag als Ziel ausgegeben. Denn damit besitzt sie nun eine verfassungsrechtliche Sperrminorität. Wichtige Entscheidungen können nicht mehr ohne Zustimmung der AfD gefällt werden.

Die Wahl von Verfassungsrichter*innen

Für die Wahl von Verfassungsrichter*innen ist nach Paragraf 3 des Thüringer Verfassungsgerichtshofgesetzes eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Das heißt: Stimmt die AfD den vorgeschlagenen Personen nicht zu, können diese nicht gewählt werden. Das ist besonders problematisch, weil in der nun beginnenden Legislaturperiode die siebenjährige Amtszeit aller bisherigen Richter*innen ausläuft. Alle neun Posten müssen entsprechend neu besetzt werden. Einigen sich die Parteien im Landtag nicht auf Nachfolger*innen, bleiben diese erst einmal geschäftsführend im Amt. Doch spätestens wenn sie die Altersgrenze von 68 Jahren erreichen, müssen sie endgültig ausscheiden.

Richterwahlausschuss

Der Staatsanwaltschaftsausschuss und der Richterwahlausschuss sind jeweils zuständig, wenn in Thüringen neue Richter*innen oder Staatsanwält*innen auf Lebenszeit ernannt werden sollen. Artikel 89 der Thüringer Landesverfassung sieht vor, dass der jeweilige Ausschuss vorher zustimmen muss. Zehn der 15 Mitglieder entsendet der Landtag. Jede Fraktion muss mindestens einmal vertreten sein, auch die AfD. Zudem gilt auch hier: Alle Mitglieder, die vom Landtag bestellt werden, müssen mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden.

Parlamentarische Kontrollkommission

Dieses geheim tagende Gremium des Erfurter Landtages kontrolliert den Thüringer Verfassungsschutz. Dieser wiederum hatte schon vor einiger Zeit die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft. Bislang war die AfD in diesem Gremium nicht vertreten. Da dessen Mitglieder mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden, hat die Partei dort künftig jedoch ebenfalls Mitspracherecht. Laut Artikel 97 der Landesverfassung hat die Kontrollkommission das Recht, Informationen vom Verfassungsschutz zu verlangen. Vor der AfD bleiben somit keine Informationen mehr verborgen.

Änderung der Verfassung

Aus gutem Grund braucht es in der Regel eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Parlamenten, um die Verfassung zu ändern. So auch in Thüringen, wo sich die bislang amtierende Minderheitskoalition von Linke, SPD und Grünen nach langem Hin und Her mit CDU und FDP auf eine Verfassungsänderung einigen konnte. So wurden die Rechte der Kommunen gegenüber dem Land, das Ehrenamt und das Prinzip der Nachhaltigkeit gestärkt. Durch die Vorgabe der Zwei-Drittel-Mehrheit sollen Verfassungen auch vor Verfassungsfeind*innen geschützt werden. In Thüringen ist allerdings künftig keine Verfassungsänderung mehr ohne Zustimmung der AfD möglich.

Wahl des Landtagspräsidenten

Der Präsident oder die Präsidentin des Landtags wird zwar mit einfacher Mehrheit gewählt. Doch das Vorschlagsrecht dafür erhält laut Landesverfassung zunächst die stärkste Fraktion. Das ist in Thüringen die AfD. Es bedeutet jedoch nicht, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin aus deren Reihen automatisch gewählt würde. Möglich wäre, dass die anderen Fraktionen den Kandidaten oder die Kandidatin der AfD durchfallen lassen und sich auf eine andere Person einigen. Die AfD könnte jedoch vor dem Landesverfassungsgericht dagegen klagen.

Auflösung des Landtages

Schon wenige Tage nach der Landtagswahl deutet sich eine schwierige Regierungsbildung an. Zwar ist die AfD mit Abstand stärkste Kraft geworden. Doch keine der anderen Fraktionen möchte mit ihr koalieren. Stattdessen hat die CDU als zweitstärkste Kraft Gespräche mit SPD und BSW angekündigt. Doch selbst diesem Dreierbündnis fehlt aktuell eine Stimme. Derweil hat CDU-Chef Friedrich Merz in dieser Woche noch einmal klar gemacht, dass eine Koalition mit der Linken von Ministerpräsident Bodo Ramelow wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses der CDU nicht vorstellbar sei. Drohen also Neuwahlen? Dafür müsste sich zunächst der Landtag auflösen. Das ist jedoch nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit möglich, also nur mit Zustimmung der AfD.

Und wie ist die Lage in Sachsen?

In Sachsen sorgte ein Rechenfehler des Landeswahlleiters zunächst für Verwirrung. Nach kurzer Aufregung war klar: Die AfD kommt nur auf 40 von 120 Sitzen. Ihr fehlt also genau ein Sitz, um auch im sächsischen Landtag über eine Sperrminorität zu verfügen. Allerdings sind Beschlüsse, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern, künftig nur noch möglich, wenn alle anderen im Landtag vertretenen Abgeordneten zustimmen.

Doch auch ohne Sperrminorität verfügt die AfD im sächsischen Landtag über weitgehende Rechte. So ist nach Artikel 44 der Landesverfassung bereits ein Viertel der Mitglieder des Landtages ausreichend, um den Präsidenten oder die Präsidentin zu verpflichten, eine Landtagssitzung einzuberufen. Gar nur ein Fünftel der Parlamentarier*innen reicht aus, um nach Artikel 54 einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Nach Artikel 48 der Landesverfassung könnten schon zwölf Abgeordnete beantragen, die Öffentlichkeit von Sitzungen des Landtages auszuschließen. Um das auch zu beschließen, wäre jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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2 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mi., 04.09.2024 - 18:02

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bestand- die Regeln so angepasst wurden, dass auch mit der jetzt erreichten Mehrheit der AfD ebensolches hätte vermeiden worden wäre. Man hätte doch Vorkehrungen treffen können. Nun haben wir den Salat. Evtl kann ja noch bundesrechtlich Einfluss genommen werden, denn Bundesrecht bricht Landesrecht.