Meinung

Landtagswahlen: Der Kampf um die Demokratie hat gerade erst begonnen

Mit der Landtagswahl in Thüringen ist erstmals seit der Nazi-Herrschaft eine rechtsextreme Partei in einem Parlament in Deutschland stärkste Kraft geworden. Für Politik und Gesellschaft muss das endlich ein Weckruf sein, kommentiert der stellvertretende vorwärts-Chefredakteur Kai Doering.

von Kai Doering · 2. September 2024
Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen demonstrieren Menschen gegen Rechtsextremismus.

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen demonstrieren Menschen gegen Rechtsextremismus.

Der 1. September 2024 wird in die Geschichte eingehen. Erstmals seit dem Ende der Nazi-Herrschaft hat mit der AfD in Thüringen eine rechtsextreme Partei bei einer Landtagswahl die meisten Stimmen erhalten. In Sachsen landete sie nur knapp hinter der CDU. Obwohl die AfD sehr wahrscheinlich nicht regieren wird, ist der 1. September 2024 ein schwarzer Tag für die Demokratie.

Die Brandmauer muss stehen

Die Ursachen für das starke Abschneiden der AfD sind vielfältig. Sie allein auf einen Protest gegen die Politik der Ampel zu reduzieren, greift viel zu kurz. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen gab eine knappe Mehrheit der Wähler*innen an, der AfD aus Überzeugung die Stimme gegeben zu haben. Und das, obwohl oder gerade weil die Partei in beiden Bundesländern vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird.

Gerade weil die AfD keine Partei wie jede andere ist, kommt es nun auf die anderen Parteien an. Die Brandmauer gegen die Rechtsextremen um Björn Höcke in Thüringen und Jörg Urban in Sachsen muss deshalb umso fester stehen. Denn auch wenn die AfD keine Minister*innenposten bekleiden wird, wächst ihr politischer Einfluss nach diesen Wahlen deutlich. In Thüringen kann sie mit ihren 32 Sitzen im Landtag jede Änderung der Landesverfassung verhindern und über die Richter*innen am Thüringer Verfassungsgerichtshof mitbestimmen. Gleiches gilt für den Rundfunkrat.

Der 1. September muss ein Weckruf sein

Wenn man sich die Reaktionen am Tag danach ansieht, scheint die Tragweite dieses 1. September 2024 jedoch vielen noch nicht bewusst zu sein. Statt endlich an einem Strang zu ziehen, ergehen sich die demokratischen Parteien in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die Tonlage erinnert zum Teil schon selbst an den Sprech der AfD. Populist*innen bekämpft man aber nicht, indem man selbst populistisch wird. Der 1. September 2024 muss endlich ein Weckruf sein. Denn der Kampf um die Demokratie hat gerade erst begonnen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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5 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 03.09.2024 - 09:49

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 03.09.2024 - 16:30

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Warum ist es im vorwärts nicht möglich die Regierungspolitik und die Politik einer Parteiführung kritisch zu betrachten und aus eventuellen Fehlern zu lernen ?
Auch die Wähler bemerken diese Lernresistenz und das heißt dann knapp über 5%.
Was hat das für einen Grund, daß Woidke sich Wahlkampfauftritte der o.g. im Brandenburger Wahlkampf verbeten hat ?

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Di., 03.09.2024 - 09:56

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Es ist eigenartig, wie die Kommentare in den Medien nach diesen Wahlen insbesondere den Kanzler Olaf Scholz als den Buhmann hinstellen, während die FDP mit ihren Skandalministern Lindner, Wissing, Stark-Watzinger, deren Politik einen wesentlichen Anteil an der Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung hat, völlig ungeschoren davonkommt. Wenn Olaf Scholz als unbeliebt erwähnt wird, liegt dies überwiegend an der einseitigen Darstellung der Medien. Dies war z.B. am 01.09.2024 deutlich dem Kommentar des SWR-Korrespondenten Sebastian Deliga zu entnehmen. Hier sollte der SWR-Intendant Kai Gniffke, SPD-Mitglied, insgesamt mehr auf die Ausgewogenheit seines Senders achten. Denn auch die AfD wird zu ausführlich und unkritisch behandelt.

Deshalb ist es wichtig, dass die SPD-Führung sowie die SPD-Regierungsmitglieder ab sofort einen klaren Kurs besonders in den Problemfeldern, wo wegen der Steuerblockade Lindners ungerecht gekürzt wird, fahren und so deutlich machen, dass eine Politik für den Großteil der Bevölkerung das Gegenteil dessen darstellt, was die Rechten wollen.

"Wenn Olaf Scholz als unbeliebt erwähnt wird, liegt dies überwiegend an der einseitigen Darstellung der Medien."

Welche großen Erfolge hat Scholz denn vorzuweisen, die die Medien angeblich zu einseitig darstellen?

"Denn auch die AfD wird zu ausführlich und unkritisch behandelt. "

Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Nach meiner Wahrnehmung wird die AfD nur kritisch bis unfair behandelt.

Gespeichert von Heinz Schneider (nicht überprüft) am Di., 03.09.2024 - 22:34

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kann nicht darin bestehen, weiter zu machen wie bisher! Nicht nur der Umstand, dass 36% der unter 30-Jährigen in Thüringen AfD gewählt haben, aber nur jeweils 13% Linke und CDU und 9% SPD, sollte Sozialdemokraten zu einer Generalrevision ihrer Politik veranlassen. Wir sollten vor Allem wahrnehmen, dass die Wahlergebnisse vom Sonntag die aktuelle europäische Normalität abbilden, deren Ursachen, nämlich die neoliberale Globalisierung und die Entkernung der nationalen Demokratien, wir bisher tapfer verdrängen. Der mit dem Stimmzettel ausgetragene Widerstand dagegen ist demokratisch und legitim. Dass er nicht von Links, vor allem nicht von der Sozialdemokratie kommt, ist einerseits tragisch, andererseits politischer Suizid.
Die Grundprinzipien der repräsentativen Demokratie sind die freie Wahl und das gleiche Gewicht jeder Stimme – gleichgültig, welchen Bildungsstand, welches Einkommen jemand hat, welches Engagement jemand aufbringt. Wer diese Prinzipien nicht akzeptiert, kann sich nicht selbst zum „Demokraten“ überhöhen und anderen unterstellen, sie seinen Demokratieverächter, weil sie „anders“ wählen als gewünscht. Harald Schmidt hat dazu das Nötige gesagt. Der Kampf um die Demokratie findet bereits weitgehend ohne SPD statt.
Was zu bekämpfen ist, beschreibt Wolfgang Streeck: „. Im Ergebnis wird so der territorial definierte und begrenzte Nationalstaat als Ort verpflichtender, nicht bloß freiwilliger Solidarität entwaffnet und gegenüber dem einer globalen Wirtschaft zugeschriebenen Universalismus delegitimiert – einem Universalismus, der in der Praxis freilich kein anderer sein kann als der eines globalen Marktes. Damit tritt im Idealbild der globalistischen Politik an die Stelle der Repräsentation der Unterklasse in der Demokratie als Institutionensystem die Erziehung der Unterklasse in der Wertedemokratie. “ (Zwischen Globalismus und Demokratie, Einleitung).
Aufgabe der SPD wäre dagegen die Emanzipation der (globalen) Arbeiterklasse.