„Das Verhetzungspotenzial beim Bürgergeld ist mittlerweile sehr groß“
Die CDU will Milliarden beim Bürgergeld sparen. Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des „Sozialverband Deutschland“ (SoVD), hält das für unrealistisch. Im Interview sagt sie, warum Sozialleistungen für Rechte ein rotes Tuch sind und wieso sie die „Mütterrente“ für eine gute Idee hält.
IMAGO/BeckerBredel
Die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier (r.) im Gespräch an einem Stand des SoVD
Nachdem er erneut Kritik am Bürgergeld geäußert hatte, haben Sie CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann Anfang Juni in eine Sozialberatung eingeladen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Gibt es schon einen Termin?
Leider noch nicht. Carsten Linnemann hat sich bisher noch nicht zurückgemeldet. Ich werde meine Einladung jetzt im Sommer aber noch mal erneuern. Es gibt schließlich einiges, was er dort sehen und vielleicht sogar lernen kann.
Was wäre das zum Beispiel?
Zum Beispiel, dass es Menschen gibt, die im Winter Angst haben, ihre Wohnung zu heizen, weil sie fürchten, die Rechnung nicht bezahlen zu können. Oder dass Menschen 40 Stunden in der Woche arbeiten und sie trotzdem am Ende des Monats mit Bürgergeld aufstocken müssen, weil ihr Gehalt hinten und vorne nicht reicht. All das habe ich selbst in einer Sozialberatungsstelle in Nordrhein-Westfalen erlebt, die ich mit zwei damaligen Bundestagsabgeordneten der FDP besucht habe. Sie hatten auf Twitter immer wieder gegen das Bürgergeld geschossen. Nach ihrem Besuch bei der Sozialberatung haben sie manches anders gesehen. Kaum ein Bezieher von Bürgergeld macht es sich nämlich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich, wie es so gern behauptet wird.
Das Bürgergeld ist schon seit seiner Einführung von der Ampel von konservativer bis rechter Seite unter Beschuss. Woran liegt das?
Für manche sind einfach jegliche Sozialleistungen ein rotes Tuch. Das sehen wir nicht nur beim Bürgergeld, sondern auch bei der Diskussion über die Höhe des Mindestlohns, auch wenn der natürlich keine Sozialleistung ist. Der Mechanismus ist aber derselbe. Es ist eben viel einfacher, die Ärmsten gegen die Armen auszuspielen als Reiche etwas stärker zu besteuern, auch weil die Ärmeren nicht so eine starke Lobby haben. Leider kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, der mir große Sorge macht: Teile der Konservativen lassen sich hier zunehmend von der AfD treiben. Das ist schäbig und gefährlich.
Michaela
Engelmeier
Wenn jemand fordert, Bürgergeld-Empfänger komplett zu sanktionieren, ist das genauso eine Lüge wie zu sagen, mit Bürgergeld lohne es sich nicht mehr zu arbeiten.
Die CDU sieht beim Bürgergeld Einsparpotenzial „in Milliardenhöhe“. Ist das realistisch?
Nein, natürlich nicht. Bei solchen Äußerungen, die ja nicht nur von Herrn Linnemann kommen, sondern auch von Friedrich Merz im Wahlkampf gemacht wurden, frage ich mich: Wo wollen sie denn etwas einsparen? Es gibt schließlich ein gesetzlich verbrieftes Existenzminimum. Wenn jemand fordert, Bürgergeld-Empfänger komplett zu sanktionieren, ist das genauso eine Lüge wie zu sagen, mit Bürgergeld lohne es sich nicht mehr zu arbeiten. Alle Statistiken sagen hier etwas anderes. Aber leider ist das Verhetzungspotenzial beim Bürgergeld mittlerweile sehr groß. Den Staatshaushalt wird man jedenfalls nicht damit retten können, indem man den Ärmsten noch das Wenige nimmt, das sie haben.
Die Bundesregierung plant dennoch eine Reform des Bürgergelds. Wo sehen Sie als Sozialverband sinnvollen Verbesserungsbedarf?
Auf jeden Fall wird es nichts bringen, die Menschen noch weiter zu stigmatisieren und noch mehr Sanktionen einzuführen. Ich denke, der grundsätzliche Ansatz des Bürgergelds, Menschen so zu qualifizieren, dass sie einen passenden Arbeitsplatz finde, ist und bleibt richtig. Da kann man sicher noch etwas nachsteuern, damit das zielgerichteter und schneller geschieht. Ein wesentlicher Faktor dabei sind übrigens höhere Löhne, damit möglichst niemand mehr aufstocken muss und sich voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren kann.
Deshalb haben Sie u.a. gefordert, dass der Mindestlohn noch in diesem Jahr auf 15,12 Euro steigt. Die Mindestlohnkommission hat nun 13,90 Euro ab 1. Januar 2026 vorgeschlagen. Wie enttäuscht sind Sie?
Die Enttäuschung ist schon groß. Als SoVD haben wir uns diese Summe ja nicht ausgedacht, sondern von Sachverständigen ausrechnen lassen. Und die sagen, dass ein Mindestlohn von 15,12 Euro notwendig wäre, damit die Menschen die Armutsgrenze überschreiten. Mit 13,90 Euro und auch mit 14,60 Euro, die es ab 2027 sein sollen, wird uns das nicht gelingen.
Michaela
Engelmeier
Die Einführung des Mindestlohns war das Beste, was wir seinerzeit im Bundestag gemacht haben.
Die SPD hat eine Anhebung auf 15 Euro gefordert. In der Mindestlohnkommission haben sich Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen nun auf 13,90 Euro bzw. 14,60 Euro geeinigt. Sollte die Mindestlohnkommission besser abgeschafft werden, wenn die politische Forderung und der tatsächliche Vorschlag so weit auseinander gehen?
Nein. Die Einführung des Mindestlohns war das Beste, was wir seinerzeit im Bundestag gemacht haben. Damals war ich noch Abgeordnete. Und dass die Mindestlohnkommission die Höhe in Abstimmung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite vorschlägt, halte ich auch für vollkommen richtig. Allerdings haben wir in den vergangenen Jahren gesehen, wie schnell sich die Preise entwickeln durch eine steigende Inflation. Deshalb war es auch richtig, dass Olaf Scholz und die Ampel den Mindestlohn zwischenzeitlich auf zwölf Euro erhöht haben, weil er sich von der Preisentwicklung komplett abgekoppelt hatte. In solchen Fällen muss ein Eingriff der Politik möglich sein. Wenn ich etwas ändern könnte, dann, dass sich die Mindestlohnkommission häufiger als nur alle zwei Jahre zusammensetzt. Dieser Zeitraum ist viel zu lang.
Niedrige Löhne führen am Ende auch zu niedrigen Renten. Im Herbst soll eine Kommission für eine Reform des Rentensystems die Arbeit aufnehmen. Was sind Ihre Erwartungen als SoVD an diese Gruppe?
Eine ganz große Erwartung ist, dass Sozialverbände an der Arbeit dieser Kommission beteiligt werden. Wir müssen unbedingt mit an den Tisch! Ansonsten würde ich erst mal abwarten, welche Vorschläge die Arbeitsgruppe machen wird. Ende des Jahres soll bereits etwas vorliegen. Froh bin ich, dass es der SPD gelungen ist, ein Rentenniveau von 48 Prozent im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass es etwas länger gilt als bis 2031, aber insgesamt ist das erst mal eine gute Nachricht. Eine weitere gute Nachricht ist, dass sich zur Aktienrente nichts im Koalitionsvertrag findet. Für uns ist klar: Mit Rentenbeiträgen spekuliert man nicht. Stattdessen sollte lieber die gesetzliche Rente gestärkt werden. Deshalb begrüßen wir auch den Vorschlag von Bärbel Bas, Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen.
Und wie stehen Sie zur Mütterrente?
Am Anfang war die Mütterente eher ein Wahlkampf-Schlager der CSU. Aber nun gibt es sie und ich bin ganz froh darüber, denn sie ist ein Ausdruck von Respekt für die Lebensleistung von Müttern, die Kinder bekommen und großgezogen haben. Diese Leistung muss aus dem regulären Bundeshaushalt finanziert werden und nicht von den Beitragszahlern. Die Mütterrente kann auch helfen, Altersarmut zu mildern, denn davon sind immer noch überproportional Frauen betroffen. Die Rente darf keine Armutsfalle sein.
SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 17 mit Michaela Engelmeier
Beim Judo lernte Michaela Engelmeier schon mit fünf Jahren zu kämpfen. Heute kämpft die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete als Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD) für soziale Gerechtigkeit. Was das alles mit einem schwarzen Gürtel, der Freundschaft mit Israel und ihrem Engagement in der SPD zu tun hat, erzählt sie in dieser Folge.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.