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Abschaffung des Bürgergelds: Wie die CDU mit falschen Zahlen Stimmung macht

Sollte die CDU nach der Bundestagswahl reagieren, will sie das Bürgergeld abschaffen. Generalsekretär Carsten Linnemann begründet das mit der hohen Zahl der „Totalverweigerer“. Die aber gibt es aber gar nicht. Und auch andere Behauptungen sollten skeptisch machen.

von Kai Doering · 11. Dezember 2024
Das Bürgergeld als soziale Hängematte? Die Zahlen der Arbeitsagentur widersprechen der Darstellung der CDU.

Das Bürgergeld als soziale Hängematte? Die Zahlen der Arbeitsagentur widersprechen der Darstellung der CDU.

Das „Heizungsgesetz“ außer Kraft setzen, die Cannabis-Legalisierung zurücknehmen und Atomkraftwerke wieder anschalten: Die CDU hat große Pläne, sollte sie nach der Bundestagswahl wieder regieren. Ein besonderes Anliegen der Partei um Friedrich Merz scheint dabei die Rückabwicklung des Bürgergelds zu sein. Die Ampel-Regierung hatte damit im vergangenen Jahr das Hartz-IV-System ersetzt. „Menschen im Leistungsbezug sollen sich stärker auf Qualifizierung, Weiterbildung und Arbeitssuche konzentrieren können. Ziel ist vor allem, sie in dauerhafte Jobs zu vermitteln“, hieß es damals von der Bundesregierung.

„Eigenverantwortung wird gesetzlich verankert“

Die CDU verfolgt dagegen ein anderes Konzept. „Wir setzen auf Eigenverantwortung für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt und gezielte Hilfe für wirklich Bedürftige“, schrieb Generalsekretär Carsten Linnemann am Samstag unter der Überschrift „Schluss mit Bürgergeld!“ in einem Gastbeitrag auf „focus-online“. Eine „Neue Grundsicherung“ soll nach dem Willen der CDU das Bürgergeld ersetzen. „Eigenverantwortung wird nach unseren Plänen künftig nicht nur erwartet, sondern gesetzlich verankert“, schrieb Linnemann. „Wer absichtlich nicht mitwirkt, zumutbare Arbeit ablehnt oder unentschuldigt zu Terminen fehlt, soll künftig am Ende keine Leistungen mehr erhalten.“

Diese Äußerung ist aus zwei Gründen schwierig: Zum einen hat die damalige Ampel-Koalition diese Möglichkeit bereits zum März dieses Jahres geschaffen. So sollen Jobcenter Arbeitslosen den Bezug des Bürgergelds für maximal zwei Monate auch komplett streichen können, wenn die Betroffenen die Aufnahme einer Arbeit dauerhaft verweigern. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2019 entschieden, dass Leistungsempfänger*innen maximal 30 Prozent der Unterstützung gestrichen werden dürfen. Ein dauerhafter Leistungsentzug dürfte also schnell von den Karslruher Richter*innen kassiert werden.

„Die Missbrauchsquote liegt im niedrigen einstelligen Bereich“

In seinem Gastbeitrag legt Carsten Linnemann zudem nahe, es gebe tausendfachen Missbrauch beim Bürgergeld. Statt zu arbeiten, würden Menschen lieber die Sozialleistung beziehen. „Die Missbrauchsquote liegt im niedrigen einstelligen Bereich“, stellt dagegen die Sozialwissenschaftlerin Jennifer Eckhardt von der Technischen Universität Dortmund klar. „Um ein Vielfaches höher ist der Anteil der Menschen, die Ansprüche auf Sozialleistungen haben, diese aber nicht geltend machen“, schrieb sie in einem Beitrag auf der Internetseite des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit beziehen zurzeit rund vier Millionen erwerbsfähige Menschen in Deutschland Bürgergeld. Von ihnen sind viele krank, pflegen Angehörige, machen eine Ausbildung oder arbeiten in einem Niedriglohnjob. Im vergangenen Jahr lehnten rund 16.000 Menschen jedes Stellen- bzw. Weiterbildungsangebot ab. Das sind 0,4 Prozent aller erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger*innen.

Für die CDU scheinen diese Zahlen aber keine Rolle zu spielen. Bereits im Juli hatte Generalsekretär Linnemann für Aufsehen gesorgt, weil er in einem Interview erklärt hatte, dass „eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit aufzunehmen“. Diesen müsse die Grundsicherung komplett gestrichen werden. Woher die Zahl stammt, konnte Linnemann damals nicht belegen. Einen Fingerzeig, um was es der CDU geht, lieferte Linnemann dagegen im aktuellen Gastbeitrag für „focus online“: „Im Gegensatz zum sogenannten Bürgergeld ist die ‚Neue Grundsicherung‘ ein Zeichen des Respekts gegenüber den Steuerzahlern in Deutschland“, schrieb er dort.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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