Warum die Kölner SPD am Abend der Bundestagswahl Karneval gefeiert hat
Während anderswo am Abend der Bundestagswahl Trauer und Enttäuschung herrschten, feierte die Kölner SPD am 23. Februar mit tausenden Menschen Karneval. Was kurios klingt, hat mit einer mehr als 100 Jahre alten Tradition zu tun.
IMAGO / Panama Pictures
Gardetänzer*innen unterhalten das Publikum bei der „Lachenden Kölnarena“ in der Domstadt.
Das Lied „Sing mich noh Hus“, auf hochdeutsch „Sing mich nach Hause“, der Kölner Karnevalsband „Kasalla“ handelt davon, Frust zu verarbeiten. Im Refrain heißt es: „Kumm un sing mich noh Hus. Maach et wärm in dä Bruss. Bitte nimm mir die Angs un dä Fruss“, also übersetzt: „Komm und sing mich nach Hause. Mach es warm in der Brust. Bitte nimm mir die Angst und den Frust.“ Am späten Sonntagabend es die Band in der Kölner Lanxess-Arena und tausende Menschen fühlten sich abgeholt, zumindest diejenigen, die es mit der SPD hielten.
Tradition seit 1920
Denn während sich die Wahlparty im Berliner Willy-Brandt-Haus nach dem historisch schlechten SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl schon um kurz nach 19 Uhr leerte, feierten die Kölner Sozialdemokrat*innen noch nach 22 Uhr bei einer riesigen Karnevalsparty im Stadtteil Deutz. Hier Frust schieben und dort fröhlich Karneval feiern – wie passt das zusammen? Um diese Frage zu beantworten, ist eine kleine Zeitreise notwendig, genauer gesagt ins Jahr 1920. Seitdem gibt es in Köln das „Närrische Parlament“, das zunächst noch anders hieß, wie Claudia Walther, die Vorsitzende der Kölner SPD, im Gespräch mit dem „vorwärts“ erklärt.
Das „Närrische Parlament“ ist Teil der „Lachenden Kölnarena“, einer 13-tägigen Karnevalsveranstaltung, die seit 1999 in der „Lanxess Arena“ stattfindet. Dort treten bekannte Kölner Bands wie die Höhner, Kasalla oder Brings auf. Traditionell mietet die SPD am Mittwoch vor Weiberfastnacht den Innenraum der Arena für das „Närrische Parlament“. Dieser Termin war aus organisatorischen Gründen in diesem Jahr nicht möglich. Die Sozialdemokrat*innen wichen stattdessen auf den Sonntag davor aus, eben jenen 23. Februar, und fingen schon im Sommer 2024 an, die 2.300 Eintrittskarten zum Preis von je 58 Euro zu verkaufen.
Schnell war klar: Absagen geht nicht
Doch plötzlich kam der Bruch der Ampel-Koalition, Neuwahlen sollten zügig folgen und schließlich stand der 23. Februar als Termin für den Wahlgang fest. „Als das bekannt wurde, dachten wir: Oh Gott, was machen wir jetzt?“, erinnert sich Walther. Schnell sei jedoch klar gewesen: „Wir können das nicht absagen.“ Denn kurz vor Weihnachten waren schon zwei Drittel der Karten für das „Närrische Parlament“ verkauft. Daher galt die Devise: Durchziehen und das Beste daraus machen. „Wir hatten einen separaten Raum mit einem Fernseher, wo wir ab 18 Uhr die Prognosen und Hochrechnungen anschauen konnten“, sagt Walther.
Einlass für das „Närrische Parlament“ war schon um 15 Uhr. Eine Stunde später legten die ersten Bands auf der Bühne los. Nach zwei Stunden singen und schunkeln im Kostüm ging der harte Kern in den Nebenraum, um die Prognose mitzukriegen. „Ich bin da auch geblieben, weil mir nach den Ergebnissen nicht mehr so richtig nach Feiern zumute war“, sagt Walther.
Auftanken im Karneval
Immerhin einen kleinen Grund zum Feiern hatte die Kölner SPD am Ende des Abends doch noch: Um kurz vor Mitternacht stand fest, dass neben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch die entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sanae Abdi, ihren Wahlkreis wieder direkt gewinnen konnte. Rolf Mützenich zog zudem über die SPD-Landesliste ins Parlament ein. Und im vierten Kölner Wahlkreis holte die rechtsextreme AfD ihr bundesweit schlechtestes Zweitstimmenergebnis.
Insgesamt landete die Sozialdemokratie in der Domstadt allerdings mit 19,18 Prozent der Stimmen hinter CDU und Grünen nur auf Platz drei. Auch deswegen sagt Walther: „Jetzt ist Straßenkarneval. Das ist die Möglichkeit, mal abzuschalten und aufzutanken.“ Denn danach bleibt kaum Zeit zum Durchatmen. Schon Mitte September steht in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahl an. Immerhin fällt da der Wahlsonntag garantiert nicht mit dem „Närrischen Parlament“ zusammen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo