Sanae Abdi: Juso-Abgeordnete aus der „schönsten Stadt der Welt“
Costa Belibasakis
Die Kölner Jusos werden in diesem Jahr 100 Jahre alt. Doch nicht nur wegen diesem Jahrestag hat die SPD-Nachwuchsorganisation in der Domstadt Grund zum Feiern. Seit dieser Woche gehört eine von ihnen offiziell dem Bundestag an. „Ich wurde als Juso-Kandidatin gewählt und bleibe auch Juso-Abgeordnete“, sagt Sanae Abdi. Die 35-Jährige hat einen „ursozialdemokratischen“ Wahlkreis für die SPD zurück erobert. Von 1965 bis 2013 ging er immer an die SPD, alleine Hans-Jürgen Wischnewski gewann hier siebenmal in Folge, zuletzt triumphierte 2017 jedoch Karsten Möring von der CDU. Eine Frau war für die SPD noch nie angetreten.
Mit drei Jahren aus Marokko nach Deutschland
Doch das ändert sich bei dieser Bundestagswahl, auch weil die Kölner SPD einen Beschluss fasst, die vier Wahlkreise in der Stadt paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen. Abdi tritt an, setzt sich gegen die innerparteiliche Konkurrenz durch und gewinnt das Direktmandat mit 27,9 Prozent. Das gelingt weiblichen Kandidierenden bundesweit nur in 25 Prozent der 299 Bundestagswahlkreise.
Abdi ist zudem die erste in Marokko geborene Bundestagsabgeordnete. 1986 kommt sie in der heute 400.000 Einwohner*innen zählenden Stadt Tetouan im Norden des Landes zur Welt. Als sie drei Jahre alt ist, zieht die Familie nach Deutschland, genauer gesagt nach Lüdenscheid im Sauerland. Nach Marokko fährt sie fortan nur noch einmal im Jahr in den Sommerferien. Dann bricht die Familie gemeinsam mit dem Auto zur fast 3.000 Kilometer langen Reise auf. „Fliegen wäre zu teuer gewesen. Wir haben uns dann einfach für die Fahrt Brote geschmiert“, sagt Abdi.
Ihre Jugendzeit im Sauerland ist nicht ganz einfach. Schon die Toten Hosen thematisieren im Jahr 2002 in ihrem Lied „Madeleine“ die rechte Szene in Lüdenscheid. Abdi erlebt sie unmittelbar. „Das hat das Stadtbild sehr geprägt. Sie standen in der Innenstadt am Sternplatz in der Ecke und haben rumgepöbelt. Für mich als junges, migrantisches Mädchen war das bedrohlich“, berichtet sie.
Durch Engagement gegen Rechts zu den Jusos
Doch sich fügen, das hinzunehmen, war für sie keine Option. Sie tritt den Jusos bei, um gegen die Rechten aufzustehen. Dennoch ist es für Abdi eine Befreiung, als sie zum Studium wegziehen kann, erst für ein Jahr ins mittelhessische Marburg und anschließend in ihre Herzensstadt: „Köln war für mich schon als Jugendliche die große Stadt, in die es mich zog. Ich wollte einfach diesen Trubel und diese Vielfalt erleben. Dieses Bunte, dieses Laute, dieses Lachen finde ich besonders schön.“
Neulich schreibt Abdi auf Twitter: „Köln ist die schönste Stadt der Welt.“ Dafür bekommt sie mehr als 1.200 Likes, aber auch einige hämische Kommentare. Doch die Dauerkarteninhaberin des Fußball-Bundesligisten 1.FC Köln steht zu ihrem Lokalpatriotismus: „Die Schönheit dieser Stadt kann man nur fühlen.“ Immer wenn sie mit dem Zug über die Hohenzollernbrücke Richtung Hauptbahnhof fahre, den Dom und den Rhein erblicke, dann sei das für sie wie nach Hause zu kommen.
Köln ist ihr Zuhause
Kölner Sozialdemokraten waren zuletzt auch in der SPD in vielen Bereichen tonangebend: Norbert Walter-Borjans als Parteivorsitzender, Rolf Mützenich als Chef der Bundestagsfraktion und Karl Lauterbach als nicht nur während der Corona-Pandemie allseits gefragter Gesundheitsexperte. „Drei Männer, die einen sehr, sehr guten Job gemacht haben. Das macht uns Kölner*innen sehr stolz, aber es wird auch Zeit, für eine Kölner Frau, durchzustarten“, sagt Abdi durchaus selbstbewusst.
Dieses Selbstbewusstsein bringt sie trotz schwieriger Anfangsbedingungen bis in den Bundestag. Für den Wahlkampf mit ihren Jusos erstellt sie eine WhatsApp-Gruppe. Dort schreibt sie als erstes: „Hey Leute! Der erste, der hier Umfragewerte postet, fliegt raus.“ Es gilt: nicht links schauen, nicht rechts schauen, einfach durchpowern. Abdi erzählt: „Ich hatte echt den coolsten Wahlkampf. Meine Jusos sind ab dem 25. Juni drei Monate lang jeden Donnerstag mit dem Bollerwagen, Flyern und einer Kiste Kölsch mit mir durch Köln gefahren.“ Unterstützt wird sie auch von der überparteilichen Initiative BrandNewBundestag, die sie im August zu den „progressiven Köpfen von morgen“ im Bereich Soziale Gerechtigkeit kürt.
Wunschbereich Entwicklungszusammenarbeit
Jedes Mal sind rund 25 Leute mit dabei. Das macht Eindruck in der Stadt, so wie zwei Tage vor der Bundestagswahl auf dem Kölner Heumarkt. 2.000 Menschen warten auf den Auftritt von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, darunter viele junge Menschen mit Schildern und roten T-Shirts. Mit „Sanae-Abdi“-Sprechchören werben sie gut vernehmbar für ihre Kandidatin. Diese lächelt, trotz eines vollen Tages. Kaum ist Scholz mit seiner Rede fertig, muss Abdi los: Mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht ist sie zum gemeinsamen Haustürwahlkampf verabredet.
Es ist ein Spagat zwischen Job und Wahlkampf, den sie in den Monaten bis zum 26. September bewältigen muss. Für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitet sie in Bonn als Projektmanagerin im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Dort ist sie zuständig für nachhaltige Lieferketten in der Textilindustrie. Gerne will sie daran künftig inhaltlich anknüpfen und peilt einen Sitz im Entwicklungsausschuss an. Dafür dürfte sie auch deshalb gute Karten besitzen, weil alle bisherigen SPD-Abgeordneten in diesem Ausschuss dem Bundestag nicht mehr angehören.
Doch bis es soweit ist, stehen erst mal noch dringende, organisatorische Dinge an. Ein eigenes Büro hat sie noch nicht, erst mal hat Abdi bei ihrem Bundestagskollegen Karl Lauterbach Unterschlupf gefunden. Und auch die Suche nach einer Bleibe in Berlin gestaltet sich schwierig: Mehr als 200 Anfragen bei Immobilienportalen hat sie bereits gestellt, ohne große Resonanz. So geht es zurzeit vielen neuen SPD-Abgeordneten. Doch um damit nicht alleine zu stehen, haben die 49 Jusos innerhalb der SPD-Fraktion eine Telegram-Gruppe gegründet. Dort tauschen sie sich aus und helfen sich gegenseitig mit nützlichen Tipps.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo