Orden wider den tierischen Ernst: Wie Klingbeil die Politik aufs Korn nimmt
Lars Klingbeil hat in diesem Jahr den Orden wider den tierischen Ernst des Aachener Karnevals erhalten. Bei der Verleihung in der Domstadt nahm der SPD-Vorsitzende in seiner Büttenrede die Politik aufs Korn und musizierte für die Demokratie.
IMAGO / Panama Pictures
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil steht beim Aachener Karneval mit Gitarre und „Rittermütze“ auf der Bühne.
Am Ende stehen sie alle fröhlich auf der Bühne. Daniel Günther von der CDU, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, Mona Neubaur von den Grünen und Gregor Gysi von den Linken. Sie singen gemeinsam in Anlehnung an Helene Fischers Hit „Atemlos“ über Haustürwahlkampf. Im Refrain heißt es dann: „Atemlos durch die Nacht, wird die Botschaft überbracht: Atemlos, Hand in Hand woll´n wir Zuversicht fürs Land. Atemlos, wie noch nie Kämpfen für Demokratie.“
Das klingt nicht schön, ist aber eine wichtige, überparteiliche Botschaft in diesen Zeiten. Von einer „musikalischen Koalition“ schreibt Lars Klingbeil später dazu auf Instagram. Der SPD-Vorsitzende steht an diesem Abend mit Narrenkappe auf der Bühne und spielt Gitarre. Moment, Lars Klingbeil, ein Niedersachse, Norddeutscher mit Narrenkappe? Was war da denn los? Möglich macht es die Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst in Aachen. Dort wurde Klingbeil am Samstagabend zum 75. Ritter ernannt. Vor ihm waren das zuletzt Daniel Günther, Annalena Baerbock, Iris Berben und Armin Laschet. Der vor ihm letzte Sozialdemokrat, der den Orden erhielt, war 2004 der damalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf.
Ausgestrahlt wird die Verleihung des Ordens am Dienstagabend um 20.15 Uhr im WDR. Aufgezeichnet wurde die Sendung bereits am Samstagabend, auf Youtube sind Teile davon schon jetzt zu sehen. „Der Orden ist eine kostbare Auszeichnung, mit der du auch bei besonderen Anlässen glänzen kannst“, sagt Wolfgang Hyrrenbach, Präsident des Aachener Karnevalsverein, als er ihn zu Beginn der Veranstaltung an den SPD-Vorsitzenden verlieh. Außerdem überreicht er ihm die dazugehörige „Rittermütze“ – so heißt Klingbeils erwähnte Narrenkappe ganz offiziell.
Es sei für ihn eine „große, große Ehre“, der 75. Ordensritter zu sein, sagt Klingbeil in seiner Rede. In dieser Rolle folgt er auf den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, der von CSU-Politiker Dobrindt kürzlich als „Genosse Günther“ bezeichnet wurde. „Wir übernehmen den Laden hier so allmählich. Wir Norddeutschen – und wir Roten. Alles fest in der Hand von norddeutschen Genossen. Zieht euch warm an, nächstes Jahr marschieren wir hier mit der Internationalen ein“, sagt Klingbeil daher.
Klingbeil teilt ordentlich aus
In seiner Rede teilt der SPD-Vorsitzende humoristisch ordentlich aus und sorgt damit für viel Gelächter. Zuerst mit Augenzwinkern gegen Martin Schulz, den er „aus der Abstellkammer rausgeholt und als meine Plus 1 mitgebracht“ habe. Dann gegen einen früheren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen: „Wenn wir gerade bei gescheiterten Kanzlerkandidaten sind: Wo ist eigentlich Armin Laschet? Ich habe mich so darauf gefreut, dass wir uns heute wiedersehen. Wir haben wahnsinnig viel gelacht im letzten Wahlkampf, erst er, dann ich.“ Damit spielt der SPD-Chef auf den Wahlkampf 2021 an, als Laschet seine Chancen als Kanzlerkandidat der Union maßgeblich dadurch reduzierte, dass er bei einem Besuch im Hochwassergebiet unangemessen lachte. Am Ende gewann die SPD die Wahl – zur Freude von Klingbeil.
Grafik: vorwärts; Foto: FES/Reiner Zensen
SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 30 mit Martin Schulz
Martin Schulz erzählt von der belastendsten Phase seiner politischen Karriere, blickt auf die anstehende Europawahl und erklärt, welche weitere Leidenschaft er mit SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley teilt.
Auch seine eigene Partei nimmt der Vorsitzende aufs Korn und erzählte einen Witz über die SPD: „Treffen sich zwei Sozialdemokraten. Sagt der eine: Warst du auch auf dem letzten Parteitag? Sagt der andere: Ne, aber, wenn ich gewusst hätte, dass es der letzte ist, wäre ich hingegangen.“ Zugleich lobt Klingbeil: „Wenn ich hier so in den Saal schaue, dann sehe ich das, was für mich eine liberale Demokratie ausmacht. Konservative neben Linken, Katholiken neben Protestanten, Gewerkschafter neben Arbeitgebern, erfolgreiche Frauen neben weniger erfolgreichen Männern, Menschen mit Migrationsgeschichte und sogar Leute aus Köln. Seit an Seit.“
Ein Appell für die Zuversicht
Ein kleiner Seitenhieb mit Blick auf die Rivalität der beiden Domstädte Köln und Aachen. Doch miteinander und übereinander zu lachen, sei gelebte Freiheit und gelebte Demokratie, sagt Klingbeil. Deswegen richtet er als frisch gekürter Ritter einen Appell an alle Anwesenden: „Wir haben gerade echt viele Herausforderungen, aber ich habe noch kein Land kennengelernt, in dem ich lieber leben möchte als in Deutschland. Ich will, dass wir die Zuversicht nicht verlieren.“
Er wolle, dass man auch noch in 20, 50 oder 100 Jahren so närrisch zusammenkommen komme wie an diesem Tag, sagt Klingbeil. „Ich will, dass wir den Hetzern und Spaltern die Stirn bieten. Ich will, dass wir die Kraft haben, Kompromisse in der Mitte zu finden.“ Denn die Fähigkeit zum Kompromiss sei gelebte Demokratie.
Die Sitzung des Aachener Karnevalsvereins wird am Dienstagabend ab 20:15 Uhr im WDR übertragen.
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo