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Jüngste Vorsitzende Ronja Endres und Falk Wagner: Was die SPD ändern muss

Ronja Endres ist 39 und Vorsitzende der SPD in Bayern, Falk Wagner 35 und SPD-Chef in Bremen. Im Gespräch sagen die beiden jüngsten Landesvorsitzenden, welche Lehren sie aus dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl ziehen und wie sich sie SPD jetzt aufstellen sollte.

von Kai Doering · 14. April 2025
Bühne frei für neue Köpfe? Damit allein ist es nicht getan, sagen Ronja Endres und Falk Wagner

Bühne frei für neue Köpfe? Damit allein ist es nicht getan, sagen Ronja Endres und Falk Wagner

Bei der Bundestagswahl hat die SPD mit 16,4 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte bei einer Bundestagswahl eingefahren. Was war Ihr Gefühl, als Sie am 23. Februar um 18 Uhr die Hochrechnungen -gesehen haben?

Ronja Endres: Ich war auf der Wahlparty in München – wobei man bei dem Ergebnis kaum von einer Party sprechen kann. Vermutlich haben mich die 16,4 Prozent nicht so schockiert, weil die Umfragen der Wochen davor ja schon sehr ähnlich waren und ich mich deshalb schon darauf einstellen konnte. Als Landesvorsitzende spürt man in solch einem Moment natürlich auch die Last der Verantwortung auf den Schultern. Frustrierend fand ich das Ergebnis aber vor allem für die Genossinnen und Genossen in den Ortsvereinen, die wochenlang gerannt sind und sich abgemüht haben. Danach solch ein Ergebnis zu bekommen, ist wie ein Schlag ins Gesicht.

Falk Wagner: Das Engagement der Basis war auch bei uns in Bremen beeindruckend – und zwar vom Anfang des Wahlkampfs an. Olaf Scholz hat ja vier Tage vor meiner Wahl zum Landesvorsitzenden Christian Lindner entlassen. Und ich bin fest davon ausgegangen, dass die Genossinnen und Genossen nach drei Jahren Ampel und ihrer verheerenden öffentlichen Selbstdarstellung nur wenig Lust auf Wahlkampf haben und dass wir ganz, ganz große Schwierigkeiten haben werden, die Mitglieder auf die Straße zu kriegen. Das war aber überhaupt nicht so. Das hat mich tief beeindruckt. Auch wenn wir in Bremen knapp unseren ersten Platz bei den Zweitstimmen verteidigt und beide Direktmandate gewonnen haben, obwohl wegen des neuen Wahlrechts nur eins gezogen hat, war das für die SPD ein desaströses Ergebnis. Das ist besonders traurig, weil wir ein sehr gutes Programm hatten.

Endres: Direktmandate hätten wir in Bayern auch gern mal wieder. Trotzdem will ich auch noch sagen, dass wir am Ende mit 11,4 Prozent über dem Ergebnis lagen, das uns kurz vor der Wahl noch vorhergesagt worden war. Damit will ich nichts schönreden, denn das ist immer noch kein tolles Ergebnis, aber ohne den Einsatz der Genossinnen und Genossen, die so viel Tür-zu-Tür-Wahlkampf gemacht haben wie nie zuvor, hätten wir vermutlich noch schlechter abgeschnitten.

Falk
Wagner

Eine Analyse des Wahlergebnisses ist sicher wichtig und in der von 2017 stand auch viel Richtiges drin, aber entscheidend ist doch, dass wir uns dann auch daran halten.

Wie nehmen Sie die Stimmung jetzt, ein paar Wochen nach der Wahl, wahr? 

Wagner: Vieles wird davon abhängen, wie der Koalitionsvertrag aussieht und wie sich die SPD zum Parteitag im Juni personell neu aufstellt. Entscheidend für die Akzeptanz an der Basis wird aus meiner Sicht sein, ob beides – der Koalitionsvertrag und das Personaltableau – den Eindruck vermittelt, dass die SPD auf dieser Basis zu neuer Stärke kommen kann. In ihrem Kernfeld, der sozialen Gerechtigkeit, sollte die SPD deshalb unbedingt klare Kante zeigen und damit deutlich machen, dass sie die Sozialgarantie in dieser Bundesregierung ist. Das ist nicht nur für das Selbstbild der SPD wichtig, sondern auch für die Frage, ob es uns gelingt, verloren gegangenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen.

Endres: Am Wahlabend und auch in den Tagen danach gab es in Bayern sehr konstruktive Rückmeldungen. Als Landesvorsitzende bin ich sehr viel unterwegs und habe den Eindruck, in Bayern konzentrieren sich die Genossinnen und Genossen bereits auf die Kommunalwahl 2026 – das Ergebnis der Bundestagswahl muss also zeitgleich zu unseren Wahlvorbereitungen aufgearbeitet werden. Hinzu kommt, dass wir nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2023 unsere Neuaufstellung bereits begonnen haben, etwa auf unserem kleinen Parteitag Mitte Oktober. Wir wussten schon vor der Bundestagswahl, dass wir in unserer Kernklientel überhaupt nicht mehr ankommen, dass wir ihre Sprache nicht sprechen und ihre Lebenswirklichkeit nicht mehr kennen. Hierzu müssen wir jetzt auch auf der Bundesebene einen konkreten Plan entwickeln.

Die Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 hat die SPD mit der Analyse „Aus Fehlern lernen“ aufgearbeitet. Braucht es so etwas nun wieder?

Endres: Ja, auf jeden Fall! Kurz nach der Wahl gab es ja bereits eine Online-Befragung der Basis-Mitglieder. Das fand ich eine ganz tolle Idee. Davon brauchen wir unbedingt mehr. Wir dürfen aber nicht bei der Analyse stehenbleiben, sondern müssen auch die richtigen Schlüsse daraus ziehen und einen Plan entwickeln, wo es mit der SPD hingehen soll. Falk und ich sind ja noch sehr junge Vorsitzende und wenn es gut läuft, noch in den nächsten 40 bis 50 Jahren in der Partei aktiv. Ich bin deshalb sehr für eine Perspektive, bei der die SPD nicht nur die nächsten vier Jahre im Blick hat, sondern eher die nächsten 20. Die SPD braucht einen nachhaltigen Plan für die Zukunft.

Wagner: Das sehe ich genauso. Eine Analyse des Wahlergebnisses ist sicher wichtig und in der von 2017 stand auch viel Richtiges drin, aber entscheidend ist doch, dass wir uns dann auch daran halten. Eine Erkenntnis war damals ja, dass es wichtig ist, den Kanzlerkandidaten möglichst früh zu nominieren. Die CDU hat das gelesen und ist dem auch gefolgt. Wir dagegen haben eine ganze Woche öffentlich überlegt, ob es nicht sinnvoller wäre, den Kanzlerkandidaten auszutauschen. Unser Programm zur Bundestagswahl fand ich sehr gut und ich glaube auch nicht, dass es der Grund für unser schlechtes Abschneiden gewesen ist. Trotzdem sehe ich, dass wir auch inhaltlich Diskussionsbedarf haben, gerade wenn wir eine längere Perspektive bieten wollen. Bei Fragen wie der Zukunft der Rente oder dem Kampf gegen den Klimawandel halte ich das für absolut notwendig. Und was mir auch zu kurz kommt: Die SPD war ja mal die Partei, die ein Aufstiegsversprechen gegeben hat. Damit sind wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts groß geworden. Wir müssen uns fragen: Wie lautet das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen heute?

Ronja
Endres

Es muss uns als SPD wieder gelingen, das Thema soziale Gerechtigkeit so auszubuchstabieren, dass wir sowohl denen, die Bürgergeld empfangen, als auch denen, die arbeiten, gerecht werden

Endres: Es muss uns als SPD wieder gelingen, das Thema soziale Gerechtigkeit so auszubuchstabieren, dass wir sowohl denen, die Bürgergeld empfangen, als auch denen, die arbeiten, gerecht werden. Stattdessen haben wir eine Debatte geführt, ob das Bürgergeld nicht zu üppig ist und es sich überhaupt noch lohnt, arbeiten zu gehen. In einer Welt der Veränderung müssen wir den Menschen ein positives Bild der Zukunft geben, in der sie sich keine Sorgen machen müssen um günstigen Wohnraum, ihre Gesundheitsversorgung oder das Leben im Alter.

Wagner: Das kommt dem, was ich mit Aufstiegsversprechen meine, schon sehr nah. Historisch war damit ja Aufstieg durch Hochschulbildung gemeint. Für die Erneuerung eines solchen Versprechens sollten wir die Auszubildenden mit in den Blick nehmen, deren Lebenswirklichkeit sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat. Sie sind heute nicht mehr 16 und wohnen zu Hause, sondern wollen ihre eigenen vier Wände, zumindest in einer WG. Darauf müssen wir mit öffentlich geförderten Angeboten reagieren. Eine zweite Gruppe, in der es um Aufstieg geht, sind Migrantinnen und Migranten. Leider wird in Deutschland inzwischen vorrangig darüber gesprochen, wie furchtbar es sei, dass sie hier sind. Stattdessen sollten wir ihre Arbeitsmarktintegration vernünftig fördern mit Sprachkursen, aber auch mit der schnelleren Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen, und ihre Leistungen für diese Gesellschaft anerkennen.

Der längere Blick nach vorn braucht natürlich auch die dazu passenden Köpfe. Sollte die SPD mehr jüngere Gesichter nach vorn stellen, wie etwa die 38-jährige Josephine Ortleb als neue Bundestagsvizepräsidentin?

Endres: Jüngeren Leuten mehr Verantwortung zu geben, ist auf jeden Fall sinnvoll. Vor allem brauchen wir in der SPD aber ein Team, das so viele Sichtweisen wie möglich abbildet. Da kommen wir an jungen Menschen nicht vorbei und wir haben ja auch tolle in der Partei, wie z. B. Josephine, die gerade das dritte Mal ihren Wahlkreis direkt gewonnen hat, obwohl sie erst 38 ist. Entscheidend wird auch hier sein, einen Plan für die Zukunft zu haben, den dann die dazu passenden Leute nach außen hin verkörpern.

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Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 14.04.2025 - 13:48

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Ohne auch nur eine Silbe zum Ukraine-Krieg und unserer Verwicklung in die „Zeitenwende“?
Unglaublich.

Gespeichert von Steff (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 09:30

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Hallo,
ich wünsche mir einen intensiveren Check auf fundierte Inhalte, Antworten bei der Fragestellung "welche Veränderungen sie sich erhoffen". Denn die Antwort lässt sich genaugenommen in zwei Sätzen zusammenfassen.
Vermutlich sind daher die Bürger müde zuzuhören. Die SPD benötigt klare soziale Zielsetzungen (soziale Absicherung in Form von Pflege, Gesundheit, Klima, Arbeit), die nicht immer vom "kleinen Mann" finanziert werden und dann auch transparent und zügig umgesetzt werden.

Gespeichert von Astrid (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 09:48

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habe mit Interesse die Aussagen der beiden jüngsten Vorsitzenden der LV von Bayern und Bremen gelesen👍 klar verständlich zielführend und beim scrollen finde ich hier einen Kommentar der mal wieder nur Kritik und Meckerei zum Inhalt hat Das grenzenlose kritisieren macht die Menschen kaputt und die Fokussierung auf neue Ziele die man nur mit klaren übersichtlichen Strukturen und dazu passenden Bildungs- und Weiterbildungsmoeglichkeiten für Alle lebenslang verpflichtend erreichen kann wird immer wieder dadurch beeinträchtigt DAS MUSS SICH ÄNDERN wenn wir einen Weg aus der Sackgasse finden wollen Es müssen Anregungen und Ideen in den Kommentaren stehen und nicht „dies ist falsch und das ist nicht richtig ! liebe Genissinnen und Genossen nur mit Einsatz erreicht man etwas und nicht mit Aufarbeitung über mehrere Jahre während sich die Welt weiter entwickelt AUFBRUCH IN EINE NEUE ZEIT JETZT MIT ALLEN DIE DA SIND
DIE KEIN INTERESSE HABEN BITTE MAL INS AUSLAND GEHEN UND ERFAHRUNGEN sammeln

Gespeichert von Ramazan Selman (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 10:10

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Viel zu kurz gekommen. Die Forderung 'Holt von den Reichen 2%' ist nicht angekommen. Es fehlt an Klarheit – ständig heißt es nur, die Aussagen nach dem Motto werden geprüft. Leider nicht überzeugend. Themen aus dem Osten wurden nicht angegangen. Atomausstieg – ja oder nein? etc. Osten interessiert keinem der Klimaschutz. Wir müssen die Themen der Propagandamaschine mit klaren Argumenten entgegentreten.

Gespeichert von Volker Grunewald (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 12:19

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Die SPD hat es nicht verstanden. Wieder wurde die Vermögenssteuer nicht reaktiviert. Wieder beteiligen sich die reichsten Menschen in unserem Land nicht an der enormen Schuldentilgung. Stattdessen werden die notwendigen Schulden auf unsere Kinder und Enkel verschoben. Mir reicht's, ich trete aus der SPD aus, das ist nicht mehr meine politische Heimat.

Gespeichert von Gisela Stark (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 14:59

Antwort auf von Volker Grunewald (nicht überprüft)

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Lieber Genosse, leider muss ich sagen, dass ich Deinen Kommentar etwas infantil finde. Bedenke, wenn man nur 16,4% bei der Bundestagswahl erreicht hat und mit einer Partei wie der CDU zusammen
regieren möchte, bleibt leider nicht viel an Argumenten, um die sehr Reichen höher zu besteuern. Dazu benötigt die SPD mehr Prozentpunkte und man sollte jetzt hinterfragen, wie diese in Zukunft besser erreicht werden können. Du solltest also nicht einen Rückzieher machen sondern Dir überlegen, wie Du Deine SPD besser unterstützen kannst. Wenn Du Dein Anliegen erreichen möchtest-k ä m p f e! Das
hat die SPD früher immer getan, deshalb war sie groß und ist die älteste Partei Deutschlands. Diese Partei ist sehr, sehr wichtig in Deutschland-gerade in der heutigen Zeit. Nur so wird sie auch wieder groß und kann die sozialen Ziele umsetzen. Gruß von einer Neu-SPDlerin!!!

Gespeichert von Hendrik Amm (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 13:10

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Einen wichtigen Grund, warum nur noch wenige Menschen den Vorwärts lesen, liefert dieser "Artikel". Die Überschrift insinuiert eine offene Auseinandersetzung mit der historischen Niederlage bei der letzten Bundestagswahl und weckt die Hoffnung, neue Antworten für die Zukunft zu liefern.
Der Artikel erschöpft sich aber darin, junge Gesichter zu präsentieren anstatt die zentralen Fragen zu stellen;
Warum haben die Landesverbände und deren Mitglieder im PV keinen Einhalt geboten, als Olaf Scholz zum Kandidaten gekürt wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt klar war, dass wir mit Boris deutlich besser abschneiden würden?
Warum haben die Landesverbände (im Übrigen bis dato) durch ihre Mitglieder auf den Bundesparteitagen keinen Antrag für ein eigenes migrationspolitisches Konzept gefordert, wenn doch gerade dieses Thema nach differenzierten Antworten verlangt?
Und schließlich; warum gibt es bis heute keine überzeugende Konzepte der Friedenspartei SPD zum Ukrainekrieg?

Gespeichert von Gustav Haller (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 13:55

Permalink

Natürlich hat der ausgehandelte Koalitionsvertrag nicht alle Wünsche erfüllt, die man als gutes SPD-Mitglied so hat. Aber man muss die Ausgangslage ansehen - die SPD erhielt nur ein Sechstel aller Wählerstimmen! Da muss man den Verhandler/-innen ein großes Kompliment machen, wie gut sie sich gegen die CDU/CSU behauptet haben. Jetzt ist es notwendig, in der tagespolitischen Umsetzung sichtbar zu bleiben und zu zeigen, wofür die SPD steht. Die Vorstellung, dass der Koalitionskompromiss durch die Mitgliederbefragung platzen könnte, ist der blanke Horror. Jeder der dagegen stimmt, muss sich bewusst sein, dass es dann auf eine neue "Große Koalition" aus CDU/CSU und AfD hinaus laufen würde - und das kann wirklich kein vernünftiges Mitglied der SPD wollen - auch kein noch so jungsozialistisches!

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