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Koalitionsvertrag vorgestellt: Worauf sich Union und SPD geeinigt haben

45 Tage nach der Bundestagswahl haben CDU, CSU und SPD ihren Entwurf für einen Koalitionsvertrag vorgestellt. In der künftigen Regierung soll die SPD sieben Ministerien besetzen. Das letzte Wort haben allerdings die Mitglieder.

von Kai Doering · 9. April 2025
Großes Gedränge im Paul-Löbe-Haus: Die Vorsitzenden von SPD, CDU und CSU haben am Mittwoch den Entwurf ihres Koalitionsvertrags vorgestellt.

Großes Gedränge im Paul-Löbe-Haus: Die Vorsitzenden von SPD, CDU und CSU haben am Mittwoch den Entwurf ihres Koalitionsvertrags vorgestellt.

Am Mittwochnachmittag ist das Paul-Löbe-Haus in Berlin gut gefüllt. Normalerweise tagen hier die verschiedenen Ausschüsse des Bundestags, doch in Corona-Zeiten wurde hier auch schon der Bundespräsident gewählt. Am Mittwoch, 9. April, stellen die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD – Friedrich Merz, Markus Söder, Saskia Esken und Lars Klingbeil – hingegen den Entwurf für den Koalitionsvertrag für die kommenden vier Jahre vor. Noch am Vormittag und in der Nacht davor haben sie über letzte Details verhandelt. Nun liegt das 146 Seiten starke Papier vor.

„Ein klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger“

„Wenn Sie den Text lesen, werden Sie vieles von dem, was Sie vermutet haben, nicht finden“, sagt Friedrich Merz an die versammelten Pressevertreter*innen gewandt. Umgekehrt könnten Leser*innen aber auch vieles finden, mit dem sie nicht gerechnet hätten. Der CDU-Vorsitzende spielt damit auf die diversen Gerüchte an, die in den vergangenen Tagen rund um die Koalitionsverhandlungen im Umlauf waren. Als vor zwei Wochen die Papiere der 16 Arbeitsgruppen durchgesickert waren, die zu Beginn über eine mögliche Koalition verhandelten, hatte Merz einige der Vorschläge als „Wünsch dir was“ bezeichnet.

Ganz anders der Entwurf für den Koalitionsvertrag, den die vier Parteivorsitzenden am Mittwoch vorstellen. Im Staccato spricht Friedrich Merz über die Punkte, die die künftige Bundesregierung sich vorgenommen hat: Eine „neue Grundsicherung“ statt Bürgergeld, ein „neuer Kurs in der Integrationspolitik“, die Stärkung des Wehrdienstes, „zunächst freiwillig“, und ein neues Ministerium für „Digitalisierung und Staatsmodernisierung“ sind nur einige der Punkte, die der CDU-Chef umreißt.

„Deutschland bekommt eine handlungsfähige und handlungsstarke Regierung“, sagt Merz. In diesem Sinne sei der Koalitionsvertrag „ein klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger“, aber auch an die europäischen Nachbarländer: „Auch Europa kann sich auf Deutschland verlassen.“

Für die SPD stehen Familien im Mittelpunkt

„Wir sind uns bewusst, dass es jetzt darum geht, unser Land voranzubringen“, betont auch Lars Klingbeil. In den Koalitionsverhandlungen sei es auch darum gegangen, „Gewissheiten zu hinterfragen und sich von lieb Gewonnenem zu verabschieden“, sagt der SPD-Vorsitzende. Trotz eines harten Wahlkampfs und unterschiedlicher Standpunkte sei es gelungen, zwischen CDU, CSU und SPD „Brücken zu bauen“. Sichtbarstes Zeichen: Seit einigen Tagen würden er und Friedrich Merz sich duzen. „Wenn es gelingt, zwischen SPD und CDU/CSU Brücken zu bauen, kann das auch an anderer Stelle in der Gesellschaft gelingen“, zeigt Klingbeil sich überzeugt.

„Die Ausgangslage war schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen“, findet der SPD-Chef. Für die Sozialdemokrat*innen, die sieben der 17 Ministerien besetzen werden, sei wichtig, dass „Familien im Mittelpunkt des Vertrags“ stünden. So sieht die Vereinbarung vor, dass das „Startchancenprogramm“, das Schulen in benachteiligten Regionen unterstützt, künftig auf Kitas ausgeweitet wird. Auch die Zahl von Kindern, die ein kostenloses Mittagessen erhalten, soll ausgeweitet werden und der Mindestlohn soll bis zum kommenden Jahr auf 15 Euro steigen. Bei der Migration betont Lars Klingbeil: „Deutschland bleibt ein Einwanderungsland. Wir ordnen und wir steuern Migration. Das Grundrecht auf Asyl bleibt dabei erhalten.“

Anfang Mai soll der Kanzler gewählt werden

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hebt schließlich die sozialen Errungenschaften des Koalitionsvertrags hervor. So soll die Mietpreisbremse nicht nur fortgesetzt, sondern sogar verschärft werden. Das Rentenniveau soll über 2029 hinaus bei 48 Prozent stabilisiert werden. Das Deutschlandticket will die künftige Koalition „fortsetzen und bezahlbar halten“. Zudem ist eine WG-Garantie vorgesehen, also mehr Investitionen in junges Wohnen – eine Forderung der Jusos, die es ins Wahlprogramm der SPD geschafft hatte. „Es ist entscheidend, dass in Deutschland wieder eine wirtschaftliche Dynamik entstehen kann“, sagt Esken. Diese müsse den Beschäftigten zugutekommen.

Bis es dazu kommt, müssen die Parteien dem Vertragsentwurf aber noch zustimmen. Die SPD startet zu diesem Zweck ein Mitgliedervotum. Bei der CDU soll am 28. April ein kleiner Parteitag entscheiden, bei der CSU der Parteivorstand. Gelingt dies, könnte Friedrich Merz in der ersten Mai-Woche zum Bundeskanzler gewählt werden.

Hier gibt es den Entwurf des Koalitionsvertrags zum Herunterladen.

Diese Ministerien gehen an die SPD

• Finanzen

• Justiz und Verbraucherschutz

• Arbeit und Soziales

• Verteidigung

• Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit

• Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

• Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl und den Koalitionsverhandlungen gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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7 Kommentare

Gespeichert von Ralf Schönert (nicht überprüft) am Mi., 09.04.2025 - 19:31

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Der Koalitionsvertrag kombiniert Elemente der Sozialen Marktwirtschaft mit sozialpolitischen Maßnahmen. Er enthält Maßnahmen wie Mindestlohnerhöhungen, Investitionen in Bildung, soziale Sicherheit und Mitbestimmung, die im Einklang mit unseren Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit stehen. Allerdings zwingt die notwendige Kompromisslogik zwischen konservativen und sozialdemokratischen Kräften zu marktwirtschaftlichen Vereinfachungen, welche eine tiefgreifende Umverteilung und stärkere staatliche Intervention oft relativieren. Somit erfüllt der Vertrag nur in Teilen unsere sozialdemokratische Agenda, bleibt aber in der praktischen Umsetzung ambivalent gegenüber den Ansprüchen sozialdemokratischer Grundsätze. Ich ringe noch mit mir, ob ich diesem Vorhaben so zustimmen kann.

Klingt alles so schön wie es hier und in den Medien angesprochen wird.
Dieser Entwurf liest sich eher wie eine Vereinbarung zwischen AfD und Union. Dort wo SPD Pos. angesprochen werden nur evtl Absichtserklärung. Verlierer sind Familien und insb.Frauen, Umwelt und Klima Klein' und Biobauern, soz.schwache und die unteren Einkommen ,Rentner in Bezug auf Erhöhung.
Gewinner sind Unternehmer, Vermieter, Grossbauern inkl Gifte ,reiche und Beamte um.
Ich denke nicht, dass ich zustimmen kann. Falsches mit Hilfe der SPD und deren Verantwortung für Generationen und soz Gerechtigkeit aber auch Glaubwürdigkeit für immer zu opfern.
Zumal Union gestern quasi offiziell die AfD salonfähig erklärt hat. Ein erneuter Schlag gg Menschen, die sich für Demokratie und Vielfalt eingesetzt haben und es noch tun. Fakt news Klar benennen
Nein Hr. Klingbeil, ein Foul war das nicht sondern pro AfD.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.04.2025 - 13:29

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„Im Staccato spricht Friedrich Merz“, während Klingbeil „betont“, „wir sind uns bewusst, dass es jetzt darum geht, unser Land voranzubringen“ – gut, nach Staccato kling das nicht, und „unser Land voranzubringen“ hört sich auch nicht gerade nach Aufbruch an. (Klingbeil schien mir bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages leicht angeschlagen.)

Der Koalitionsvertrag, ein klein wenig Rückschau muss sein, kam zustande, weil Demokratieverachtung, alias AfD, sehr wohlwollend könnte man stattdessen aber auch von staatstragende Verantwortung sprechen, den großen Verlierer der letzten Wahl – 36% seiner Wähler haben ihm den Rücken zugekehrt – und den großen Wahltäuscher zusammengeschweißt hat. Klug vorausschauend, haben sich beide (mit Hilfe der Grünen) in einem legalen, dennoch etwas anrüchigen Hau-Ruck-Verfahren ein gewaltiges Schuldenaufnahmepaket für ihre kommende Regierung durch den alten, abgewählten Bundestag genehmigen lassen.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.04.2025 - 13:32

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Hoffen wir mal, dass sie Gutes daraus machen: Auch in der Mathematik ergibt ja Minus mal Minus Plus. Zusätzliches Geld, also Geld, dass nicht durch unsere Volkswirtschaft erwirtschaftet wurde, ist jedenfalls reichlich vorhanden.

Im Koalitionsvertrag kommen die beiden Schuldentöpfe so gut wie gar nicht vor, obwohl sie, jedenfalls der für die Aufrüstung der Bundeswehr, wesentliche Voraussetzung für seine Umsetzung sind. Weder hören wir etwas über die von Rutte, Trump-Umgebung und unseren Kriegstüchtigen als gesetzt angesehenen 3,5% vom BIP für Aufrüstung, noch ist er Gegenstand beim Thema Haushaltskonsolidierung. Aber ob 3%, 4% oder 5% vom BIP für unsere Aufrüstung ausgegeben werden (müssen), für Haushaltskonsolidierung bei diesem Riesenposten hat noch der alte Bundestag gesorgt. Er setzte fest, dass jede Milliarde für Aufrüstung, die über 1% vom BIP hinausgeht, nicht mehr im Haushalt auftaucht, sondern in einem Topf Sondervermögen (oder wie der sonst heißen wird):

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.04.2025 - 13:33

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Schuldenaufnahme für Militär abseits vom Haushalt – so geht Haushaltskonsolidierung. (Bei Militärausgaben in Höhe von 3% vom BIP würden wir auf der Basis 2023 (BIP: 4.185,6 Mrd. €) von 125,6 Mrd. € nur 41,9 Mrd. € im Haushalt ausweisen, 83,7 Mrd. € würden unsichtbar verschwinden, und das Jahr für Jahr.)

Klasse.

Gespeichert von Carola Ast (nicht überprüft) am Sa., 12.04.2025 - 20:50

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Union möchte die AfD wie alle übrigen Parteien behandeln. Also eine russisch gelenkte, antidemokratische und gegen Europa gewandt Partei salonfähig machen!
Die Union verlässt offiziell die ihrerseits angebliche Brandmauer.
Alleine deshalb kann die SPD keine Koalition mit der Union eingehen.Zumal dann die SPD indirekt mit der AfD aufgrund "Koalitionstreue" mit Union stimmen wird
Auch der Koalitionsvertrag geht gegen soziale Errungenschaften.
Sind wir die Brandmauer und für die Demonstranten gg Rechte Parteien?
Lieber von unten her wieder hocharbeiten und sozial bleiben als an der Macht kleben wie die Union.
Denn: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf. Siehe Amerika

Gespeichert von Günter März (nicht überprüft) am Di., 15.04.2025 - 11:10

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Liebe Karin, liebe Genossen, macht doch bitte mal einen Anfang für die Einstellung der gräßlichen Umgangssprache mit dem * und dem : !!! Es kommt nicht auf die Anrede, sondern auf den Umgang mit dem jeweiligen Gegenüber als Person und Mensch an ! ! !
Frage:
Wo kann ich den Inhalt zur Verkehrspolitik und damit auch die Vorschau und Planung der DB im Verhältnis zur Straße nachlesen ? Es gibt doch hoffentlich nicht einen Verkehrsminister wiederum aus der CSU, denn diese beiden Minister haben -auch- die DB so marode und untauglich gemacht ! Letztendlich -leider- auch durch die Privatisierung, (mit Zustimmung unserer SPD zur GG-Änderung) die unsere DB um nichts besser gemacht hat !
Finanzielle Probleme lösen seit 1994, siehe auch das heutige Ergebnis ! Ich hoffe, Martin Burkhardt hat bereits hingewiesen ! ? 1/3 der Ausgaben von Straße auf die Schiene ist Umweltschutz !
Mit kollegialen Grüßen aus der Südpfalz
Günter März (mein Name nicht mit "e" geschrieben) lege darauf sehr großen Wert.