Wie eine Kunst-Ausstellung den Rechtsruck der 20er Jahre illustriert
In den 20er Jahren konzipierte der damalige Direktor der Mannheimer Kunsthalle Gustav Friedrich Hartlaub eine Ausstellung, mit der er eine neue künstlerische Stilrichtung definierte: die „Neue Sachlichkeit“. Jetzt gibt es eine Neuauflage zu sehen. Sie schließt eine Lücke, die Hartlaub vor 100 Jahren ließ.
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Georg Scholz: „Selbstbildnis vor der Litfaßsäule" von 1926
Was waren das für Zeiten, die Jahre 1924/25: Der erste Weltkrieg lag nur wenige Jahre zurück, die revolutionären Wirren danach ebbten ab, die Sorgen und Nöte ergriffen die Menschen nach und nach. Die Lebenswirklichkeit war zumindest zweigeteilt: Die einen feierten die „Goldenen 20er Jahre“ bei Musik, Tanz und schrillen Partys, die anderen schleppten sich arm und mittellos durch die Nachkriegsjahre. Die Welt war, wenn man die zeitgeschichtlichen Dokumente berücksichtigt, immer noch aus den Fugen, wie die Inflation und auch die Ruhrbesetzung 1923 zeigten.
Geniestreich einer neuen künstlerischen Stilrichtung
Wie zerrissen das Menschenbild in diesen Jahren von den Künstler*innen wahrgenommen wurde, belegten schließlich die Expressionist*innen mit ihren Arbeiten. In der Literatur stach Thomas Manns „Zauberberg“ heraus, der 1924 erschien. In jenem Jahr starb Franz Kafka, und den Berlinern bescherte das Jahr 1924 eine Kuriosität: Auf dem Potsdamer Platz ging die erste Verkehrsampel in Betrieb.
In diesen Jahren des Umbruchs übernahm der damals knapp 40-jährige Gustav Friedrich Hartlaub 1923 die Geschicke der Kunsthalle Mannheim und begann die von ihm so getaufte Schau zur „Neuen Sachlichkeit“ zu konzipieren. Ihm gelang ein Geniestreich zur Definition einer neuen künstlerischen Stilrichtung. Sie entwickelte sich zum Synonym für den folgenden kulturellen Aufbruch der 1920er Jahre. Und dieser beschränkte sich nicht auf die Malerei, sondern fand auch in Architektur, Design, Fotografie und auch in der zeitgenössischen Literatur Anwendung. Seine hervorstechenden Merkmale: Rationalität und Präzision.
Heranwachsender Nationalsozialismus spürbar
Nun, mehr als hundert Jahre später, widmet Mannheims Kunsthalle Gustav Friedrich Hartlaub und seiner unvergessenen Dokumentation, eine Schau, die das damalige „Ausstellungskonzept hinterfragt und kritisch ergänzt“, wie die Kuratorin Inge Herold erläutert. Gleichzeitig wird in den jetzt gezeigten Arbeiten auch das politische Klima des anwachsenden Nationalsozialismus thematisiert.
Der steckte damals nämlich, wie das Beispiel Mannheim belegt, noch in den Kinderschuhen. Mannheims Gemeinderat zählte 1924 genau 25 Stadtverordnete. Zehn Ratsmitglieder stellte die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei“. Die NSDAP errang bei den Landtagswahlen 1925 gerade mal 0,8 Prozent der Stimmen, die SPD führte die Reihe der Abgeordneten mit 34 Prozent an, gefolgt vom Zentrum mit 15,5 und der KPD mit 13 Prozent. Doch das Verhältnis sollte sich, wie die Geschichte zeigte, in den folgenden Jahren grundlegend ändern.
Der ehemalige Kunsthallen-Direktor Hartlaub stützte seine Ausstellung 1923 vor allem auf drei Künstler: Max Beckmann, George Grosz und Otto Dix. Insgesamt zeigte die Kunsthalle damals 132 Werke von 32 Künstlern, unter denen noch keine Künstlerin vertreten war. Hartlaub blieb es vorbehalten, mit seiner Idee einer Ausstellung zum Thema „Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ ein Schau zu kuratieren, die er unter dem Titel „Neue Sachlichkeit“ präsentierte. Ein Geniestreich.
Neue Ausstellung schließt eine Lücke
Die aktuelle Schau unserer Tage schließt diese Lücke, die sich vor hundert Jahre womöglich deshalb auftat, weil, wie Kuratorin Inge Herold sagte, „Frauen damals im Kunstbetrieb benachteiligt waren oder weil sich das Werk einiger neusachlich malenden Künstlerinnen 1925 erst in der Entwicklungsphase befand “. Heute zeigt die Kunsthalle mehr als 230 Arbeiten von 134 Künstlern und Künstlerinnen. Einen Teil der Exponate stellt die Kunsthalle aus ihrem Bestand, das Gros kommt von Leihgeber*innen aus nationalen und internationalen Sammlungen sowie aus Privatbesitz.
Im Mittelpunkt der Jubiläumsschau, die sich zunächst den drei oben genannten Künstlern detailliert und mit teils regelrecht ikonografischen Arbeiten widmet, warten weitere acht Themenbereiche auf die Besucher*innen: Zeitgeschichte, das Bild des Menschen, das Bild der Frau, Körperideale, Selbstbildnisse, auch Stillleben, Natur und Landschaft sowie Werke zu Stadt, Industrie und Mobilität werden gezeigt.
Der Bundespräsident als Schirmherr
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schirmherrschaft über die Jahrhundertschau übernommen. Er zeigte sich schwer beeindruckt von den präsentierten Bildern, die „von einer Melancholie durchweht sind, die nicht nur vom vergangenen Schrecken weiß, sondern auch von kommendem Unheil zu künden scheint“, sagte er. Und Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder ergänzte: Das Ausstellungsprojekt ist mehr als eine Rückschau auf die Genese der Ausstellung Hartlaubs .....Es schlägt eine aufschlussreiche Brücke in die Gegenwart.“
Auch Hilgert würdigt die Schau, die sich „mit dem damaligen politischen Klima des aufkommenden Nationalsozialismus befasst, das sowohl Hartlaub privates wie berufliches Leben als auch das vieler Künstlerinnen und Künstler schlagartig ändern sollte“. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass sowohl Max Beckmann als auch George Grosz, Lotte Laserstein und viele andere vor und nach 1933 das Land verließen, den Nazis den Rücken kehrten. Gustav Hartlaub verlor seine Kunsthallendirektion mit dem Einzug der Nationalsozialisten ebenfalls.
Dass die Kunst, gleich welcher Stilrichtung oder Art, dem Betrachter oder der Betrachterin – erst recht in dieser Jubiläumsausstellung – Trost spenden kann, wusste Friedrich Nietzsche schon im 19.Jahrhundert pointiert und messerscharf zu formulieren: Da die Wahrheit nun einmal hässlich sei, „haben wir die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen.“
Die Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum" ist und noch bis zum 9. März 2025 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.