Kultur

Ausstellung im Willy-Brandt-Haus: Wie die weltbesten Fotos Nähe schaffen

Ab Freitag sind die mit dem „World Press Photo Award“ ausgezeichneten Bilder gut drei Wochen lang im Willy-Brandt-Haus zu sehen. Die Ausstellung der „weltbesten Fotos“ in der SPD-Zentrale vermittelt Emotionen und schafft Nähe.

von Julia Korbik · 14. Juni 2024
Ein Bild, das besonders in Erinnerung bleibt: Fotograf Ebrahim Noroozi hielt das Elend in Afghanistan unter dem Taliban-Regime fest.

Ein Bild, das besonders in Erinnerung bleibt: Fotograf Ebrahim Noroozi hielt das Elend in Afghanistan unter dem Taliban-Regime fest.

Beim ersten Hinschauen wirkt das Foto fast wie ein Gemälde, so leuchtend sind die Farben, so klassisch ist die Pose: Vor einem Hintergrund aus grauen Fliesen kniet eine Frau, gekleidet in Ockergelb und Dunkelblau, ein weißes Bündel auf dem Schoß haltend. Ihr Kopf ist gesenkt, das Gesicht nicht erkennbar. Doch das Gewinner-Foto des World Press Photo Contest 2024 zeigt keine malerische Szenerie, sondern Trauer und Verzweiflung. Es zeigt Inas Abu Maamar, die den Leichnam ihrer fünfjährigen Nichte Saly im Arm hält, die mit vier weiteren Familienmitgliedern bei einem israelischen Raketenangriff getötet wurde. 

Die Aufnahme stammt vom palästinensischen Fotografen Mohammed Salem. Inas und Saly stehen stellvertretend für die mehr als 35.000 Todesopfer, die der Krieg im Gaza-Streifen auf palästinensischer Seite bisher gefordert hat – und für die Opfer der zahlreichen anderen Konflikte und Kriege auf der Welt. Nicht alle davon bekommen Medienaufmerksamkeit, schaffen es überhaupt ins öffentliche Bewusstsein. Deshalb braucht es Menschen, die genau hinsehen. Die das, was geschieht, festhalten.

Fotos zeigen Zerstörung und Elend, Tod und Trauer

Seit fast 70 Jahren zeichnet die World Press Photo Foundation solche Menschen und ihre Arbeit als Fotojournalist*innen aus. Dieses Jahr wurden aus mehr als 61.000 Einsendungen regionale und globale Preisträger*innen in verschiedenen Kategorien ausgewählt: Einzelfoto, Fotoserie, Langzeitprojekt und offenes Format. „Es war ein hartes Jahr“, sagte Anna Lena Mehr, die Direktorin des Wettbewerbs, bei der gestrigen Eröffnung der Ausstellung im Willy-Brandt-Haus. Jedes Jahr durchquert der Wettbewerb in Form von Wanderausstellungen den Globus und macht dabei traditionell Halt in Berlin. Man weiß, was Mehr meint, auch ohne die Fotos gesehen zu haben. Aber die Fotos sind da und sie zeigen Zerstörung und Elend, Tod und Trauer. 

Sie zeigen die Auswirkungen der Klimakatastrophe, Menschen auf der Flucht, Krieg. In Afghanistan leidet die Bevölkerung nicht nur unter dem Taliban-Regime, sondern auch unter den Folgen von Dürren und Hungersnöten. Eindringlich hält der iranische Fotograf Ebrahim Noroozi dieses Elend fest. Ein Bild, das besonders in Erinnerung bleibt: drei Kinder, die mit großen Augen auf einen Apfel starren, den ihre Mutter vom Betteln mitgebracht hat. Noroozi, der mittlerweile in Berlin lebt und für die beste Fotoserie in der Region Asien ausgezeichnet wurde, wollte bei der Ausstellungseröffnung jedoch nicht über seine Fotos sprechen – sondern über die afghanische Bevölkerung. „Wir müssen ihre Stimme sein“, sagte er. 

Auch Momente der Hoffnung

Trotz allem, was in der Welt gerade passiert: In der Ausstellung gibt es auch Momente der Hoffnung, der Nähe. Hier schließen sich Menschen in Kanada, den USA und Mexiko zusammen, um den Monarchfalter zu retten, dort protestieren Aktivist*innen im Hambacher Forst gegen die Rodung von Wäldern und Dörfern. Einen weiteren dieser hoffnungsvollen Momente hat der deutsche Fotograf Vincent Haiges im äthiopischen Tigray festgehalten, Schauplatz eines der blutigsten Konflikte des 21. Jahrhunderts. 

Haiges traf dort Kibrom Berhane, der sich Anfang 2021 den Tigray Defense Forces angeschlossen hatte, dem bewaffneten Arm der Volksbefreiungsfront von Tigray, die gegen Regierungstruppen kämpfte. Einen Monat vor dem Friedensabkommen verlor der junge Mann durch eine Granatenexplosion sein Bein. Haiges‘ Foto (Gewinner der Region Afrika im Format Einzelfoto) zeigt den Moment des Wiedersehens: Kibrom Berhane hat eine Beinprothese erhalten und das Laufen neu gelernt. Er ist motiviert und entschlossen. Zum ersten Mal seit Jahren kehrt er in sein Heimatdorf zurück – wo seine Mutter ihm überglücklich um den Hals fällt. „Ich bin froh, dass dieses Bild ausgewählt wurde“, sagte Haiges in Berlin. „Denn es zeigt den Moment danach und es drückt ein universelles Gefühl aus: das Gefühl, zu seinen Eltern zurückzukehren und sie in die Arme zu schließen.“ Vieles, was in der Welt geschehe, sei weit weg. Umso wichtiger sei es, Nähe zu schaffen. 

Gaza und der Hamas-Angriff nebeneinander

Und das tun die preisgekrönten Bilder. Sie schaffen Nähe, sie vermitteln ein Gefühl von Universalität, von: Das kenne ich. So beschäftigen sich zwei Fotoserien aus Madagaskar und Japan mit Alzheimer und Demenz, mit Fürsorge, damit, geliebte Menschen nach und nach an eine Krankheit zu verlieren. Anna Lena Mehr hofft, dass die Fotos den Betrachtenden „Raum geben, um zu reflektieren und zu fühlen“. Raum für Empathie: „Wir bringen immer schon unsere eigene Geschichte, unsere eigene Erfahrung und unsere eigenen Vorurteile mit.“ 

Um die Auszeichnung von Mohammed Salems Siegerfoto beispielsweise gab es kontroverse Diskussionen: Ist dieses nicht zu einseitig, zeigt es nicht nur eine Perspektive auf den Konflikt? Energisch warnte der Journalist Peter-Matthias Gaede in Berlin davor, eine „Rangfolge der Opfer“ aufzustellen. Aufgabe von Foto-Journalist*innen sei es, „zu zeigen, was ist.“ Tatsächlich finden sich wenige Meter neben der Aufnahme von Inas Abu Maamar und Saly zwei Fotos – eine besondere Erwähnung der Jury –, die nebeneinander das Trümmerfeld in Gaza zeigen und das Gelände des Musikfestivals, welches zum Ziel des Hamas-Angriffs am 7. Oktober 2023 wurde. Leid lässt sich nicht in eine Rangfolge bringen und Empathie ist keine endliche Ressource. Bei allem, was in der Welt gerade geschieht, erinnern die Bilder der World Press Photo-Ausstellung daran, dies nicht zu vergessen. 

Die World Press Photo-Ausstellung ist vom 14. Juni bis 7. Juli 2024 im Willy-Brandt-Haus Berlin zu sehen. Dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Ausweis erforderlich

Autor*in
Julia Korbik
Julia Korbik

studierte European Studies, Kommunikationswissenschaften und Journalismus in Deutschland und Frankreich. In Berlin arbeitet sie als freie Autorin und Journalistin.

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