5. März 1933: Warum „die letzte freie Wahl“ der Weimarer Republik keine war
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Die letzten Reichstagswahlen am 5. März 1933 werden in der Literatur über den Untergang der Weimarer Republik noch als „freie Wahlen“ beschrieben. Das aber verfälscht den tatsächlichen Verlauf des Wahlkampfes und unterschlägt die massive Behinderung der Konkurrent*innen der NSDAP.
Wer nicht verhaftet wurde, musste untertauchen
Im ersten Schritt nutzte die von Adolf Hitler am 30. Januar 1933 gebildete Reichsregierung ihre verfassungsgemäßen Möglichkeiten, indem sie den Reichstag durch Reichspräsident Paul von Hindenburg auflösen ließ. Damit konnte sie von einem widerstrebenden Reichstag nicht gestürzt werden. Wichtiger war jedoch, dass nach damaligen Verfassungsrecht die Reichstagsabgeordneten bis zum Zusammentritt des neuen Reichstags sofort ihre Immunität verloren. Die Abgeordneten konnten jetzt individuell von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt und in Haft genommen werden, was kommunistische Abgeordnete, aber auch Sozialdemokrat*innen traf.
Julius Leber wurde wiederholt verhaftet, ebenso ein gutes Dutzend der SPD-Reichstagsabgeordneten. Die Kandidat*innen der KPD waren praktisch vom Wahlkampf ausgeschaltet. Wer nicht verhaftet wurde, musste im Februar untertauchen, an einem aktiven Wahlkampf konnte die KPD nicht mehr denken.
Die Folgen des „Preußenschlags“
Mit der Übertragung der Reichsregierung auf Adolf Hitler war ein zweiter Schritt möglich, den der „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 eröffnet hatte. Der antidemokratische Übergangskanzler Franz von Papen, ein abtrünniger Zentrumspolitiker, hatte unter Verletzung der Weimarer Reichsverfassung die geschäftsführende, verfassungsmäßige preußische Regierung unter Otto Braun (SPD) abgesetzt. Der Verzicht der preußischen SPD auf Widerstand und ihr Beschränken auf juristische Mittel gegen diesen Verfassungsbruch hatte nun fatale Folgen. Mit dem Zugriff auf Preußen setzte Reichskanzler Adolf Hitler durch, dass der NSDAP-Politiker Hermann Göring preußischer Innenminister wurde.
Mit der Verfügung über die preußische Innenverwaltung und die preußische Polizei erhielt Göring außerordentliche Vollmachten, die er gezielt und brutal einsetze, um die NS-Herrschaft zu festigen. Da Preußen zwei Drittel des Reichsgebietes umfasste, vor allem wichtige industrielle Zentren mit Berlin, Schlesien, dem Ruhrgebiet usw., bedeutete die Herrschaft über die exekutive Gewalt in Preußen, dass möglicher Widerstand gegen die NS-Regierung wirksam bekämpft werden konnte. Zwar gab es noch Länder, in denen die NSDAP nicht dominierte, doch Widerstand gab es dort ebenfalls nicht.
Wahlkampf nur unter starkem Schutz
Göring beurlaubte und entließ Beamt*innen, griff in die Kommunalverwaltungen ein und brachte die Polizei auf Linie. Demokratische Parteioffiziere wurden entlassen. Dem Terror im Wahlkampf war Tür und Tor geöffnet. Mit der Notverordnung ,,Zum Schutze des Deutschen Volkes‘‘ schränkte die Hitler-Regierung die Versammlungs- und Pressefreiheit ein. Kritik an der neuen Regierung wurde unter Strafe gestellt. Zahleiche SPD-Zeitungen wurden verboten.
Die bürgerlichen Parteien stellten bald ihren Versammlungswahlkampf ein, das Zentrum sowie die Bayerische Volkspartei (BVP) konnte sich in geschlossenen katholischen Gemeinden noch behaupten. Die SPD schaffte nur unter starkem Saalschutz ihren Wahlkampf. Bei der Plakatierung herrschte blanker Vandalismus.
Eine weitere unerwartete (?) Hilfe erhielt der NSDAP-Wahlkampf durch den Reichstagsbrand am 28. Februar. Adolf Hitler gelang es, den Reichspräsidenten zur Notverordnung ,,Zum Schutz von Volk und Staat‘‘ zu bewegen, die die Reste eines freien Wahlkampfes auslöschte. Sämtliche Zeitungen der SPD wurden in Preußen verboten, auch die anderen Länder folgten, angeführt von Bayern und Sachsen. Nur Zufälle der Nachrichtenübermittlung erlaubten einer handvoll von SPD-Zeitungen noch das Erscheinen für ein/zwei Tage. Vor dem Wahltag selbst verstummte die SPD-Presse.
Die NSDAP verpasst die absolute Mehrheit
Der Wahltag selbst wird als ruhig geschildert. Niemand wird am Wählen gehindert, zu Übergriffen auf Wahllokale kommt es nicht. Nur mancherorts müssen die zur Wahl Entschlossenen ein dichtes Spalier von SA-Männern passieren, die mit Drohungen nicht sparten. Manipulationen der Stimmauszählung mag es gegeben haben, doch gibt es keine Hinweise auf massenhafte Fälschungen.
Trotz erheblicher Anstrengungen der NSDAP-Reichsregierung sowie der Mithilfe der NSDAP-bestimmten oder sie fördernden Länderregierungen verfehlte die NSDAP am 5. März die absolute Mehrheit. Die Behinderung des Wahlkampfes der Konkurrent*innen bis hin zum offenen Terror hatte die Stimmanteile dieser Parteien schrumpfen lassen, sie waren aber nicht zerstört.
Die NSDAP gewann 43,9 Prozent der Stimmen, verfehlte somit die erhoffte absolute Mehrheit. SPD und KPD erlitten geringe Verluste, ebenfalls das Zentrum und die BVP. Nur die bürgerlichen Parteien schrumpften stark.
Die bürgerlichen Parteien ebnen den Nazis den Weg
Nun erreichte der Nazi-Terror eine weitere Stufe, um im neuen Reichstag die beabsichtigte verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen, die mit einem Ermächtigungsgesetz die geplante Diktatur durchsetzen wollte. Die gewählten 81 KPD-Abgeordneten wurden vor der entscheidenden Abstimmung am 23. März 1933 komplett ausgeschaltet, ihre Mandate unter Bruch der Verfassung nicht anerkannt. Von den 120 SPD-Abgeordneten nahmen 94 Abgeordnete an der Abstimmung teil. Die Fraktionsführung hatte besonders bedrohten Abgeordneten von der Teilnahme abgeraten.
Trotz weiterer Manipulationen durch die NSDAP und den Reichstagspräsidenten Hermann Göring hätte die Koalition aus NSDAP und Deutschnationalisten die verfassungsändernde Mehrheit verfehlt, wenn die SPD in ihrer Ablehnung die Unterstützung der Liberalen und der katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei gefunden hätte. Erst der politische Umfall dieser Parteien, ihr Einschwenken auf die NSDAP-Politik eröffnete den Weg in die Nazi-Diktatur. Was die NSDAP in Wahlen nicht geschafft hatte, ermöglichte der Zusammenbruch von Zentrum, BVP und bürgerlichen Parteien.
war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.