Studie „Spielball der Ideologie“: Wie politisch war der Fußball in der NS-Zeit?
Knapp 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs setzt sich der Bundesligaverein SC Freiburg mit seiner NS-Vergangenheit auseinander. Das mag in den Augen mancher etwas spät kommen – ist aber gerade heute wichtiger denn je.
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Während der NS-Zeit war auch der Fußball ein Instrument der staatlichen Propaganda.
Die Erzählung des „unpolitischen Sports“ hält sich auch im modernen Fußball hartnäckig. Basierend auf der Idee der Überparteilichkeit verbietet der Europäische Fußballverband UEFA beispielsweise grundsätzlich politische Symbole im Kontext ihrer Spiele. Trotzdem setzen Teams oder einzelne Spieler*innen immer wieder Zeichen für Demokratie und Menschenrechte auf dem Spielfeld und zeigen damit: Der moderne Fußball ist zwar per Satzung unparteiisch – aber deshalb noch lange nicht unpolitisch. So rief beispielsweise auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) im Vorlauf zum 23. Februar zur Wahl demokratischer Parteien auf. Viele Vereine mobilisierten zudem ihre Fans mit Slogans nach dem Motto „erst zur Wahl, dann ins Stadion“ am Spieltag zum Gang an die Wahlurne.
Demokratische Werte waren nicht immer die Norm
Dass eine klare Positionierung für demokratische Werte im Fußball jedoch nicht immer die Norm war, zeigt ein Blick zurück in die Zeit des Nationalsozialismus. Auch hier war der Fußball politisch: Mit der Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft im Frühjahr 1933 akzeptierten auch der Deutsche Fußballbund (DFB) und die meisten Deutschen Fußballvereine die Kontrolle durch das NS-Regime. Dazu gehörte unter anderem, dass sie jüdische Vereinsmitglieder, Spieler und Trainer ausschlossen.
So passierte es auch im badischen Bundesligaverein SC Freiburg. Hier ist heute keinerlei offener Protest gegen die Maßnahmen der Gleichschaltung bekannt – vielmehr dominierte ein vorauseilender Gehorsam, wenn auch möglicherweise „nur“ aus Opportunismus. Das Resultat war eine Instrumentalisierung des Fußballs für die Verbreitung der faschistischen Ideologie der Nazis: Berühmte Spieler wurden Mitglieder der NSDAP, in Stadien wehten Hakenkreuzfahnen und nationalsozialistische Gesänge waren während der Spiele auf den Tribünen an der Tagesordnung.
Eine späte, aber umfangreiche Aufarbeitung – soweit möglich
Nun hat sich der Sportclub an die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels gewagt. Bereits seit der Jahrtausendwende befassen sich immer mehr Fußballverbände und -vereine mit ihrer eigenen NS-Vergangenheit. Der SC Freiburg beauftragte für die eigene Auseinandersetzung damit zwei Historiker mit einer Studie, die im November 2024 erschien.
Unter dem Titel „Spielball der Ideologie? Der SC Freiburg in der Zeit des Nationalsozialismus“ arbeiten die Historiker Robert Neisen und Andreas Lehmann die Geschichte des Freiburger Vereins detailliert auf. Fünf umfangreiche Kapitel setzen sich dabei mit den verschiedenen Aspekten der Geschichte des Fußballclubs auseinander. Und das auf den ersten Blick in großer Ausführlichkeit: Von den Anfängen des SC Freiburg in der Weimarer Republik und der Gleichschaltung im Jahr 1933, sowie den weiteren Entwicklungen unter dem NS-Regime bis zum Kriegsende und dem „Neuanfang“ nach dem Zweiten Weltkrieg wird kein Punkt ausgelassen.
Wer aufmerksam liest, merkt jedoch auch: Die beiden Autoren hatten es mit einer durchaus schwierigen Quellenlage zu tun. Kurz vor Kriegsende wurde das Vereinsheim bombardiert, und Mitgliederlisten und andere bedeutende Unterlagen verbrannten. Schuld oder Schicksale von Einzelpersonen lassen sich dadurch in vielen Fällen nicht genau rekonstruieren und insbesondere ob und wann jüdische Spieler ab 1933 ausgeschlossen oder aus dem Verein gedrängt wurden, ist kaum bekannt.
Auch Gehorsam ist politisch
Für den einen oder die andere mag 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges die Frage der Relevanz einer solchen Studie aufkommen – gerade, wenn man bedenkt, dass die meisten Spieler und Trainer nach Kriegsende nahtlos an ihre Karrieren anknüpfen konnten. Die weit verbreitete Erzählung vom „unpolitischen Sport“ sollte den Fußball in den 1950er Jahren von seiner Mitverantwortung entbinden und schuf einen Mythos des politikfreien Raums, der in manchen Kreisen bis heute standhält. Doch Studien wie die des SC Freiburg zeigen: Gerade jetzt, wo rechtsextreme Akteur*innen weltweit mehr und mehr Zuspruch erhalten, ist eine Auseinandersetzung mit solchen Geschichten wichtiger denn je.
Denn: „Wo die Aufarbeitung ausbleibt, gedeihen Mythen“, heißt es nicht umsonst in den letzten Kapiteln der Freiburger Studie. Auch die Unterstützung eines Systems in vorauseilendem Gehorsam und das Handeln „auf Linie“ ist ein politischer Akt – ebenso wie der Widerstand dagegen. Die Erzählung des unpolitischen Fußballs ist somit einer dieser Mythen, den eine späte Aufarbeitung gedeihen lassen hat. Umso wichtiger, dass nun auch im Freiburger Fußball der Schritt in die ausführliche Aufarbeitung gewagt wurde. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Fußball auch weiterhin stabil gegen rechts bleibt.
Robert Neisen und Andreas Lehmann: Spielball der Ideologie? Der SC Freiburg in der Zeit des Nationalsozialismus, Herder 2024, 284 Seiten