Wie Kevin Kühnert und Carolin Emcke die WM in Katar kritisieren
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Während Messi zaubert, diskutieren Carolin Emcke und Kevin Kühnert. Sie kennen sich gut. Der SPD-Generalsekretär und die mehrfach ausgezeichnete Publizistin sind seit einiger Zeit befreundet. Gemeinsam haben sie vor eineinhalb Jahren das Endspiel der Fußball-Europameisterschaft in Emckes Wohnung geschaut, berichtet Kühnert. Doch an diesem Punkt sind die beiden unterschiedlicher Meinung. „Super, ich hätte gar nicht damit gerechnet, dass wir hier solche Kontroversen haben“, sagt Emcke.
Während zeitgleich der sechsmalige Weltfußballer Lionel Messi Argentinien in der Partie gegen Kroatien ins Finale schießt, geht es an diesem Abend, an dem die beiden Gäste auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung auf dem Podium eines Co-Working-Spaces in Berlin-Kreuzberg sitzen, um Fußball, Kultur, Kommerz und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ganz schön viel auf einmal. Doch Kühnert und Emcke spielen sich die Bälle nur so zu, um im Bild zu bleiben, während der Moderator staunend daneben sitzt und eine Moderationskarte nach der nächsten zur Seite steckt, weil sie sich inhaltlich durch die Debatte der beiden bereits erledigt hat.
Kühnert: „Wer schaut, stimmt nicht zu“
Gerade ist die Verantwortung der Zuschauer*innen bei der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar das Thema. „Ich bin generell skeptisch, was die Bedeutung und Wirkung von Konsumkritik angeht“, sagt Kühnert. Emcke ist anderer Meinung. Es sei sicher nicht das alleinige Instrument. Dennoch sei sie überzeugt, dass es auch Fernsehanstalten und Sponsoren spürten, wenn weniger Menschen einschalteten. Sie selbst gehöre zu denjenigen, die bislang überhaupt nicht geschaut haben. „Es ist das erste Mal, dass mich das ganze Spektakel so angewidert hat, dass ich gar keine Lust hatte“, macht sie deutlich.
Bei Kühnert klingt das etwas anders. „Ich persönlich finde: Wer zuschaut, stimmt nicht zu.“ Zwar sei er in erster Linie „Vereinsfußballgucker“. Beim Eröffnungsspiel habe er jedoch allein schon aus Voyeurismus eingeschaltet, um das „absurde Spektakel“ und den „hundsmiserablen Fußball“ der katarischen Nationalmannschaft zu sehen. So deutlich wie der SPD-Bundestagsabgeordnete an dieser Stelle wird, wird er auch mit Blick auf den Weltfußballverband FIFA. Deren Funktionäre seien „Clowns, die den Sport für ihre Gewinnerzielungsabsichten missbrauchen“, sagt Kühnert später in der Diskussion.
Positives Zeichen beim DFB
Einig sind sich Emcke und Kühnert, dass auch nach dem zumindest hierzulande mehrheitlich kritisch eingeordneten Turnier in Katar kein großer Reformeifer zu erwarten sein dürfte. „Ich glaube, die FIFA macht genauso weiter wie bisher“, lautet Emckes Einschätzung. Dafür sei der Protest nicht schmerzhaft genug gewesen. Auch Kühnert sagt über den FIFA-Präsidenten: „Infantino kann sich und seiner Verbandsausrichtung absolut sicher sein.“ Das sei das Ergebnis einer „gut ausgeklügelten Günstlingswirtschaft“. Trotzdem solle man sich nicht in Fatalismus ergehen, meint er und wertet zumindest die Distanzierung des DFB von Infantino im Vorfeld der im Frühjahr anstehenden FIFA-Präsidentenwahl als positives Zeichen.
Hoffnungsvoll stimmt die beiden Diskutant*innen auch der Blick auf die deutschen Fanszenen. Emcke betont die demokratische Bedeutung von Vereinen, „die Menschen zusammenbringen, die überhaupt nichts teilen außer der Begeisterung für den Verein“. Dies sei ein großes Geschenk, das man beschützen müsse. Das sage sie, ohne die Stimmung im Stadion glorifizieren zu wollen. „Ich gehe nicht gerne ins Stadion, weil mir die aufgewallte Energie und die Masse an Menschen Angst macht“, sagt Emcke, die bekennende Anhängerin von Borussia Dortmund ist.
Emcke: „Man weiß genau, warum du Generalsekretär der SPD bist“
Auch Kühnert äußert sich positiv zum Engagement der Fanszenen. „Hier wird verhandelt über den öffentlichen Raum“, sagt er. Grundsätzlich gehe es um die Frage, wem der Fußball gehöre, egal ob mit Blick auf die WM oder den Amateurfußball. „Bis in die siebte oder achte Liga wird Geld bezahlt. Sobald ich einen Mäzen habe, laufe ich Gefahr, dass ich mir einen Kleinen König Kalle Wirsch heranziehe“, führt Kühnert aus. Emcke ist beeindruckt: „Diese Rage ist einfach großartig. Man weiß genau, warum du Generalsekretär der SPD bist.“
Dass im Fußball auch auf lokaler Ebene immer auch gesellschaftspolitische Fragen diskutiert würden, macht Kühnert schließlich am Beispiel des SV Blau-Weiß Grana deutlich, der kürzlich mit dem Julius-Hirsch-Preis des DFB ausgezeichnet wurde. Nach Anfeindungen gegen Spieler mit Migrationsgeschichte habe der Verein Haltung gezeigt und sei so „wider Willen politisch geworden“.
Hoffnung auf den Frauenfußball
Emcke setzt schließlich ihre Hoffnung in den Frauenfußball. Dieser biete wirklich kritisches Potenzial und zeige andere Form von Offenheit und Selbstkultivierung, insbesondere auch was die Akzeptanz von Homosexualität oder den Kampf gegen Rassismus angehe. „Hoffentlich rollen sie das Feld von hinten auf“, sagt sie.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo