Kampagne #GeradeJetzt: Gedenkstätten setzen lautes Zeichen gegen rechts
Mit Schicksalen des Holocaust die Geschichtsvergessenheit bekämpfen: Deutsche KZ-Gedenkstätten haben eine Social-Media-Kampagne gestartet. Damit wollen sie das demokratische Miteinander gerade in der jungen Generation stärken.
imago/Jürgen Ritter
Jugendliche besuchen die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg.
Auch in den dunkelsten Stunden der Geschichte gab es Lebenswege, die an ein Wunder grenzen. Und in denen auch ein Auftrag an die Menschen von heute zu sehen ist.
Odyssee von Auschwitz nach Bergen-Belsen
Im Sommer 1944 wird Janka Fenyes, geborene Blau, mit rund 437.000 weiteren ungarischen Jüd*innen ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Die junge Frau verliert 53 Familienangehörige. Sie selbst überlebt. Ihre Odyssee endet im KZ Bergen-Belsen. Nach dem Krieg heiratet sie Viktor Fenyes, dessen Frau und Töchter in Auschwitz ermordet wurden, und gründet mit ihm eine Familie. Zeit seines Lebens engagiert sich Jankas Mann für die Erinnerung an die Opfer des Holocaust.
Schicksale wie die von Janka Fenyes stehen im Mittelpunkt einer Social-Media-Kampagne von KZ-Gedenkstätten und Erinnerungsorten in Deutschland. Gestartet wurde die Aktion namens #GeradeJetzt anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar. Dieser erinnert an die Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren. Doch die Wirkung soll weit darüber hinaus anhalten, so die Hoffnung der Initiator*innen.
Die Kampagne besteht aus mehreren Teilen. Unter dem Motto „These stories still need to be told”(englisch für: „Diese Geschichten müssen noch erzählt werden“) stellen Gedenkstätten in Sozialen Medien wie Bluesky, Instagram und Facebook Biografien und Zitate vor. Ein Schwerpunkt liegt auf Familiengeschichten und der Bedeutung der Geschehnisse vor 80 Jahren für persönliches gesellschaftliches Engagement.
Neue Website informiert über Schicksale des Holocaust
Außerdem wird auf Veranstaltungen und Projekte zu diesen Themen hingewiesen. So informiert die Gedenkstätte Bergen-Belsen auf ihrer Facebook-Seite darüber, wie die Lebenswege von Janka Fenyes und anderen Zeitzeug*innen künftig sichtbar gemacht werden: nämlich mittels einer neuen Website zum Thema „Holocaust in Ungarn und Deportationen nach Norddeutschland“. Entwickelt wurde sie in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Rund um Jahrestage der Befreiung der Nazi-Lager im April und Mai wird unter dem Motto „Ich bin hier“ das Digitale mit dem Analogen verbunden: Dann werden Besucherinnen und Besucher von Gedenkstätten ermuntert, ihren Aufenthalt in Sozialen Medien zu dokumentieren. Und zwar, in dem sie Punkte wie diese ansprechen: Warum haben sie so einen Ort aufgesucht? Was haben sie mitgenommen? Warum ist es für sie relevant?
Angesichts des erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland soll die Kampagne die Relevanz der Erinnerung für die Demokratie unterstreichen. In Zeiten zunehmender Spaltung und Polarisierung geht es darum, Zusammenhalt und Solidarität zu signalisieren. Ein weiteres Ziel besteht darin, Gedenkorte sichtbarer zu machen und ihre besondere Lage ins Bewusstsein zu rücken: Gerade in den Regionen, wo die AfD großen Zulauf hat, etwa in Thüringen, erleben Erinnerungsstätten zunehmend Anfeindungen. Häufig bleibt es nicht bei virtueller Hetze.
Den lauten Demokratiefeind*innen etwas entgegensetzen
„Im digitalen Raum sind geschichtsrevisionistische und demokratiefeindliche Stimmen besonders laut und werden von gewissen Plattformen bevorzugt ausgespielt“, sagt Iris Groschek von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS- Verbrechen. „Dem wollen wir etwas entgegensetzen. Viele Gedenkstätten sind auf unterschiedlichsten Portalen aktiv. Mit der Kampagne #GeradeJetzt formieren sie sich ebenfalls zu einer lauten Stimme.“
Um relevant zu bleiben, müssten Gedenkorte dort sein, wo sich die Menschen heutzutage aufhalten, so Groschek. „Ihr Handy haben sie immer dabei. Eine Gedenkstätte müssen sie erst aufsuchen. Wir wollen präsent und wahrnehmbar sein und in den direkten Austausch gerade mit jüngeren Generationen treten.“ Viele junge Menschen, mit denen die Historikerin beispielsweise in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gesprochen habe, sähen Parallelen zwischen der aufziehenden NS-Zeit und der Gegenwart oder hätten persönlich Ausgrenzung erlebt.
„Wir hoffen auch auf den Effekt, dass möglichst viele Menschen sagen: Gedenkorte sind wichtig“, sagt Groschek. „Gerade in Ostdeutschland, wo zum Beispiel die AfD Gedenkstättenarbeit zunehmend diskreditiert, haben viele Gedenkorte Sorge vor der Zukunft und befürchten, dass sie ihre Geschichten womöglich bald nicht mehr erzählen können.“