Kinodrama „Alle lieben Touda“: Porträt einer singenden Rebellin in Marokko
Für Touda ist die Bühne ein Ort der Befreiung: Als erfolgreiche Sängerin will sie es der konservativen Männerwelt in Marokko zeigen. Der packende Kinofilm „Alle lieben Touda“ erzählt die Geschichte einer kämpferischen Frau.
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Erst ein Bierchen, dann der Auftritt: Selbstbewusst bewegt sich Touda (Nisrin Erradi) im Nachtleben.
Ein lustiger Haufen hat sich zu einer abendlichen Party unter freiem Himmel, weit weg von der nächsten Siedlung, zusammengefunden. Der Alkohol fließt in Strömen, Frauen und Männer wiegen sich im Tanz. Mit ekstatischen Tönen heizt die sangesfreudige Touda die Stimmung immer weiter auf. Doch plötzlich bricht wie aus dem Nichts Chaos aus. Die Menge zerstreut sich. Und Touda findet sich in einem Albtraum wieder: Sie wird brutal vergewaltigt.
Touda träumt vom großen Durchbruch
Bereits am nächsten Abend steht die junge Frau wieder mit Gesangsmikro auf der Bühne, eine Hängepartie kann oder will sie sich nicht leisten. Zu groß ist die Liebe zu ihrem gehörlosen Sohn Yassine, der ihre ganze Unterstützung braucht. Und zu mächtig ist ihr Traum, endlich als Sängerin groß rauszukommen.
Fröhliche Momente enden mit Gewalt, auf Übermut folgt Niedergeschlagenheit, Illusionen weichen der harten Realität: Im Grunde steht Toudas Leben am Rande der Gesellschaft in Marokko permanent auf der Kippe. Die erwähnte Eingangsszene unterstreicht dies denkbar drastisch. Unvorhersehbar verlaufen aber auch viele andere Etappen auf dem Weg, den sie beschreitet, um ihren Traum zu verwirklichen. Dementsprechend unberechenbar, aber sehr spannungsreich gestaltet sich auch die filmische Erzählung.
Touda hat sich einiges vorgenommen: Sie will nicht länger triviale Schlager auf Hochzeitsfeiern schmettern, sondern als Sheika durchstarten: also als traditionelle marokkanische Sängerin Lieder über Liebe, Emanzipation und Widerstand singen. In ihrem Provinznest gibt es dafür kein Publikum. Wohl aber in Casablanca.
Ein neues Leben in Casablanca
Touda macht sich auf in die Metropole, um endlich als Künstlerin die Achtung zu bekommen, die sie sich wünscht. Außerdem hofft sie, dort endlich eine geeignete Schule für Yassine zu finden. Also eine, die ihn fördert, anstatt ihn als „Behinderten“ abzustempeln, der lieber Schafe hüten soll, anstatt von einer Laufbahn als Architekt zu träumen. Anders gesagt: Der künstlerische Erfolg soll Mutter und Sohn eine bessere Zukunft ermöglichen.
„Alle lieben Touda“ erzählt diesen steinigen Weg als Reise der Protagonistin zu sich selbst. Immer wieder tritt Schönes und Hässliches miteinander in Beziehung. Mit Letzterem sind vor allem Männer gemeint: Insbesondere jene, die keinen Sinn für Toudas künstlerische Ambitionen haben und sie auf verschiedene Weise belästigen oder ausnutzen.
Der Film bietet aber auch eine Reise durch ein von gesellschaftlichen Widersprüchen und krassen landschaftlichen Kontrasten gekennzeichnetes Land. Das archaische Marokko trifft auf das moderne, konservative Haltungen werden mit emanzipatorischen Einstellungen kontrastiert. Touda entstammt einer einfachen Bauernfamilie und kann weder lesen noch schreiben. Dennoch wagt sie den Versuch, in der glitzernden Millionenstadt neu anzufangen. Aber auch dort stellt sie schmerzlich fest, dass die Männer den Ton angeben. Daraufhin fasst sie einen radikalen Entschluss.
Touda als Nachfolgerin realer Heldinnen
„Alle lieben Touda“ lief im Jahr 2024 bei den Filmfestspielen von Cannes. Regisseur Nabil Ayouch versteht ihn als Liebeserklärung an die Aita, also jenen rebellischen Musikstil, den die Sheikhas im 20. Jahrhundert zu einer weiblichen Kunstform gemacht haben. „Touda ist die Nachfolgerin dieser Heldinnen“, sagt der 56-Jährige laut Presseheft über die Hauptfigur seines aktuellen Films. „Die Stimmen der Sheikhas waren ihre Waffe und ihre Art zu singen, die Aita, ihre Munition.“
Nicht zum ersten Mal rückt der französisch-marokkanische Regisseur die Situation der Frauen im Geburtsland seines Vaters in den Mittelpunkt. In „Much Loved“ widmete er sich Sexarbeiterinnen in Marrakesch. Dieser Film wurde in Marokko verboten, andere seiner Werke schickte das Königreich hingegen ins Rennen um die Oscars.
„Alle lieben Touda“ ist immer dann am stärksten, wenn die Hauptfigur als Rebellin und Künstlerin im Mittelpunkt steht. Hauptdarstellerin Nisrin Erradi verkörpert Touda mit jeder Faser und viel Energie, lässt aber auch zerbrechlichen Nuancen viel Raum, sodass sich am Ende ein vielschichtiges Gesamtbild ergibt. Einige Nebenstränge der Handlung fallen hingegen eher blass aus.
Insgesamt aber ist Ayouch eine atmosphärisch starke Kreuzung aus Musikfilm und Sozialdrama gelungen, die genauso pulsierend und mitreißend ist wie Toudas Bühnenshows.
„Alle lieben Touda“ (Frankreich, Marokko, Belgien, Dänemark, Niederlande 2024), Regie: Nabil Ayouch, Drehbuch: Nabil Ayouch und Maryam Touzani, mit Nisrin Erradi, Joud Chamihy, El Moustafa Boutankite u.a., 102 Minuten.
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