Kultur

Film „Louise und die Schule der Freiheit“: Als die Schulpflicht aufs Dorf kam

Kulturkampf in Frankreichs Provinz: Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert wird eine Lehrerin beauftragt, in einem abgelegenen Dorf eine Schule zu eröffnen. Der atmosphärisch dichte Kinofilm „Louise und die Schule der Freiheit“ erzählt von einer Revolution im Kleinen.

von Nils Michaelis · 11. April 2025
Alexandra Lamy im Film "Louise und die Schule der Freiheit"

Ein Kuhstall muss reichen: Hier unterrichtet Louise Violet (Alexandra Lamy) die Kinder des Dorfes.

Stell dir vor, es ist Schule, aber niemand geht hin: Diese Erfahrung macht Louise Violet, als sie Ende des 19. Jahrhunderts von Paris in ein von Hügeln und Wäldern umgebenes Dorf im Süden Frankreichs geschickt wird. Dort soll die Lehrerin den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen. Es ist ein Novum, den Bildung für die breite Bevölkerung ist zu dieser Zeit in Frankreich oft nur auf dem Papier vorgesehen.

Die Schulpflicht hat keine Bedeutung

Doch zunächst muss die Lehrerin ein Klassenzimmer in dem Kuhstall einrichten, der ihr vom Bürgermeister zugewiesen wurde. Damit ist es längst nicht getan. Louise muss auch die Bauernfamilien dazu bewegen, ihre Sprösslinge tatsächlich in die improvisierte Schule zu schicken, anstatt sie auf dem Feld schuften zu lassen. Darin liegt die größte Hürde in einem Prozess voller Rückschläge. 

Dass in Frankreich Schulpflicht herrscht, ist für die meisten Bewohner*innen dieser ländlichen Welt bedeutungslos. Von höheren Idealen wie Bildungsgerechtigkeit ganz zu schweigen. Die Beharrlichkeit und Courage von Louise, die misstrauisch als Außenseiterin beäugt wird, wird mehrfach auf eine harte Probe gestellt. 

Der neue Kinofilm von Regisseur Éric Besnard („Birnenkuchen mit Lavendel“) blickt zurück auf eine Schlüsselphase des modernen Frankreichs. Ab den späten 1880er-Jahren kämpften radikale Republikaner*innen darum, den Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen. In der Dritten Republik machte sich ein rigoroser Laizismus breit und das staatliche Schulsystem wurde im Zuge dessen massiv ausgebaut.

Eine Revolution im Kleinen

Louises Herausforderung besteht nun darin, die Umwälzung des Bildungssystems (inklusive Schulpflicht) in das kleine Dorf zu tragen. Dort ticken die Uhren wesentlich langsamer, wenn sie nicht gar lange vor der Revolution von 1789 stehen geblieben sind. Zunächst kämpft Louise auf sich allein gestellt um die Köpfe und Herzen der Menschen, doch mit der Zeit gewinnt sie den Bürgermeister als tatkräftigen Mitstreiter. Allerdings sind die Widerstände gegen die neue Zeit, die viele Altvordere als Gefahr für die patriarchalischen Strukturen sehen, größer als gedacht. Als Louises politische Vergangenheit ans Licht kommt, wird die Mission der engagierten Pädagogin nicht einfacher.

Mit viel Empathie für Louise erzählt Éric Besnard, der auch das Drehbuch schrieb, vom Zusammenprall von Tradition und Moderne. Die in dem Dorf Gestrandete ist weder Heilige noch Superheldin, sondern ein Mensch, dessen Verwundbarkeit sich nach und nach offenbart und somit auch die Hintergründe von Louises aufopferungsvollem Engagement deutlich werden lässt. Auch dank des facettenreichen und intensiven Spiels von Hauptdarstellerin Alexandra Lamy kommen wir einer Persönlichkeit sehr nahe, die immer wieder überrascht und berührt, nicht zuletzt durch ihre unbändige, aber mitfühlende Energie und reichlich Witz.

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Wenn Louise von Hof zu Hof tingelt, um die Bauern (hier sind vor allem die „Herren des Hauses“ gefragt) für den Schulbetrieb einzunehmen und wenig später tatsächlich die ersten lernwilligen Kinder auf den Holzbänken Platz nehmen, spannt sich ein großer epischer Bogen, in dem sich der Aufbruch eines ganzen Landes widerspiegelt, ohne allzu pathetisch zu werden, zumal auch Raum für Humor bleibt. Und das mit atmosphärisch starken Bildern, die die Schönheit der Natur und einer vergangenen ländlichen Welt wieder zum Leben erwecken, ohne all dies zu einem Idyll zu stilisieren oder im Kitsch zu versinken. Vor allem auch deswegen, weil die Erzählung immer ganz nah bei Louise bleibt. 

Tragikkomödie mit Wohlfühlelementen

Leider ebbt die erzählerische Wucht gegen Ende des Films ab und manche Handlungsstränge wirken zerfahren. Das tut der Gesamtwirkung dieses ansonsten sorgfältig inszenierten und komponierten Werks, das die Polarisierung der Dorfgemeinschaft mit einem gemächlichen Erzähltempo kontrastiert, allerdings keinen nennenswerten Abbruch.

Diese Tragikomödie liefert Wohlfühlmomente, ohne sich allein auf derlei Nuancen zu beschränken. Vor allem aber glaubt Regisseur Besnard an seine Charaktere. Bei der Entwicklung der Hauptfigur ließ er sich unter anderem von der Anarchistin und Autorin Louise Michel inspirieren, die 1871 der Pariser Kommune angehörte. Mit seinem pointierten Blick auf den Mikrokosmos Dorf macht der 61-Jährige eine gesellschaftspolitische Zeitenwende des 19. Jahrhunderts anschaulich, ohne die Handlung damit zu überfrachten. Kurz gesagt: Wieder einmal stellt Besnard bewährte Tugenden des französischen Kinos unter Beweis. 

„Manche Dinge erscheinen uns heute als selbstverständlich“, sagt Besnard in einem Interview fürs Presseheft des Films über seine Intentionen. „Ich denke, es ist sehr hilfreich, sich an die unvorstellbaren Kämpfe zu erinnern, die geführt wurden, um sie zu erlangen. Damit wir sie besser schätzen können.“ Wer möchte ihm da widersprechen?

„Louise und die Schule der Freiheit“ (Frankreich 2024), ein Film von Éric Besnard, mit Alexandra Lamy, Grégory Gadebois, Jérôme Kircher, Jérémy Lopez u.a., 109 Minuten, FSK ab zwölf Jahren.

Im Kino. Weitere Infos unter www.neuevisionen.de

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