Kultur

Film „Ernest Cole“: Wie ein Fotograf das Regime in Südafrika vorführte

Seine Bilder über die Apartheid in seiner Heimat Südafrika machten Ernest Cole weltberühmt. Im Exil geriet er in Vergessenheit. Der Dokumentarfilm „Ernest Cole – Lost and Found“ erzählt eine wechselhafte Künstlerbiografie und richtet einen klaren Appell an die Menschen von heute.

von Nils Michaelis · 17. April 2025
Alltag unter der Apartheid in Südafrika

Ein Motiv aus dem 1967 erschienenen Fotoband „House of Bondage“: Darin dokumentierte der Fotograf Ernest Cole das Leben unter der Apartheid in Südafrika.

Im Jahr 1967 ging ein Foto um die Welt, das es nach dem Willen der südafrikanischen Regierung gar nicht hätte geben dürfen. Auf einer Parkbank sitzt eine ältere Dame, an der Lehne prangt ein Hinweisschild: „Europeans only“, zu Deutsch: „nur für Europäer“. Gemeint sind hellhäutige Passant*innen wie jene Frau mit Hut. Ein perfides Beispiel für die Ausgrenzung und Unterdrückung Schwarzer Menschen seinerzeit in Südafrika. 

Vom Township in die USA

Aufgenommen wurde das Bild von dem südafrikanischen Fotografen Ernest Cole, er veröffentlichte es mit vielen anderen Motiven zum systemgewordenen Rassismus und zum Alltag von People of Color (PoC) in dem Bildband „House of Bondage“ (etwa: „Haus der Unfreiheit“). Darin präsentierte er der Weltöffentlichkeit eine Realität, die nicht nur das Regime in Pretoria, sondern auch viele ausländische Regierungen bis zum Ende des Apartheidsystems nicht sehen wollten. Kurz darauf floh der 27-Jährige in die USA. 

Der Dokumentarfilm „Ernest Cole – Lost and Found“ erzählt das Leben des Künstlers, dessen Werke vielen Menschen vermutlich wesentlich präsenter sind als ihr Schöpfer. 1940 wurde Cole in einem Township nahe der Hauptstadt Pretoria geboren. Ende der 50er-Jahre begann er professionell zu fotografieren und wurde zum ersten freischaffenden Fotografen in der Schwarzen Bevölkerung. 

Coles Markenzeichen waren überwiegend auf der Straße eingefangene Szenen aus dem Alltag Schwarzer Menschen. Es umgibt sie der Anschein von Zufälligkeit, doch in Wahrheit offenbaren sie einen sehr wachen und kritischen Blick auf den Kontext, den sie widerspiegeln. Abertausende solcher Fotos entstanden zunächst in Südafrika und später im US-Exil. Dort geriet Cole beruflich und kreativ ins Straucheln und in den 80er-Jahren in Vergessenheit. Medien hielten sein dort entstandenes und verortetes Schaffen nicht mehr für relevant. Gezeichnet von Krankheiten und schließlich obdachlos, starb er 1990 mit nur 49 Jahren in New York City.

Ein Dissident scheitert im Exil

Der Film des aus Haiti stammenden Regisseurs und Drehbuchautors Raoul Peck („I Am Not Your Negro“) beleuchtet das Leben dieses rastlosen und am Ende heimatlosen Menschenforschers und seine Zeit auf mehreren Ebenen. Er zeigt, wie ein international gefeierter Dissident mit der Kamera ausgerechnet in dem Land scheitert, dass ihm nie da gewesene Freiheiten offenbart. Somit werden wir Zeuge eines kreativen wie persönlichen Niedergangs. 

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Zugleich handelt es sich um eine ebenso pointierte wie erkenntnisreiche Chronik der Apartheid und des von Schwarzen Menschen getragenen Widerstands, der den Boden für den politischen Wandel und die Präsidentschaft von Nelson Mandela bereitete. Cole agiert jeweils als Ich-Erzähler, den Text spricht der US-Schauspieler Lakeith Stanfield („The Book of Clarence“). Dieser Bewusstseinsstrom über individuelle und kollektive Selbstbefreiung (und die brutalen Reaktionen des Unterdrückungsapparates) kommentiert das Geschehen, aber auch Coles eigenes Agieren in diesem Prozess. Grundlage für den Off-Text waren Gespräche mit Weggefährt*innen und Angehörigen.

Cole spricht nicht zuletzt aber auch durch seine Fotos. Sie bilden das Gros der Bildebene, ergänzt durch Ausschnitte aus Nachrichtensendungen und sparsam eingesetzten Interviewpassagen, etwa mit einem Neffen, der für den The Ernest Cole Family Trust, Coles künstlerisches Erbe verwaltet. 

60.000 Negative schlummerten im Tresor

Damit sind wir beim eigentlichen Aufhänger des Films. Vor acht Jahren wurden etwa 60.000 Fotonegative aus Coles Nachlass in einem schwedischen Banksafe entdeckt, dazu mehr als 500 Abzüge. Mehr als 40 Jahre lang galten sie als verschollen. Diese Aufnahmen sind jeweils bis zu 30.000 Euro wert. Die besagte Stiftung kämpft seit Jahren darum, diesen auch finanziell bedeutsamen Nachlass nach Südafrika zu holen. Auch diesen Wirren in Coles Nachleben widmet sich der Film.

Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde Pecks jüngstes Werk im vergangenen Jahr mit dem Preis für den Besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Der 71-Jährige sieht darin mehr als allein die Geschichte eines Fotografen: Er will die Zuschauenden dazu animieren, landläufige Narrative zu hinterfragen und zu dekonstruieren: So wie es Cole einst tat und wie es viele Kreative in repressiven Gesellschaften auch heute tun. Außerdem macht er deutlich, mit welchen Herausforderungen und Entbehrungen ein Neuanfang als Geflüchtete oder Geflüchteter in einem vermeintlichen Paradies verbunden ist. 

Plädoyer für Menschlichkeit

Peck verzichtet weitgehend auf emotionalisierende oder dramatisierende Kniffe, Bilder und Worte sprechen, nicht selten in erschreckender Weise, für sich. Auch angesichts einer Laufzeit von fast zwei Stunden wären an einigen Stellen deutlichere Kontrapunkte zu dem ruhigen Erzählfluss wünschenswert gewesen, zumal auch der mit gedämpfter Stimme gesprochene Off-Text dieser Tonalität entspricht und beim Publikum somit viel Ausdauer gefragt ist. 

Trotzdem ist es ein Gewinn, sich auf dieses von einem subtilen Pessimismus geprägte Plädoyer für die Menschlichkeit einzulassen.

„Ernest Cole – Lost and Found“ (Frankreich/USA 2024), ein Film von Raoul Peck,

106 Minuten, OmU, FSK: ab zwölf Jahre.

Im Kino. Weitere Infos unter salzgeber.de

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