Kultur

Regisseur von „Der Meister und Margarita“: „Hoffe auf ein freies Russland“

Nach dem riesigen Erfolg der Romanverfilmung „Der Meister und Margarita“ in Russland ist der Film nun auch in deutschen Kinos zu sehen. Im Interview spricht Regisseur Michael Lockshin über Parallelen zwischen Stalins Sowjetunion und Putins Russland. Und über seine Hoffnung auf Veränderungen.

von Nils Michaelis · 2. Mai 2025
Der Meister und Margarita

Mit Fantasie trotzen sie der düsteren Realität: der prominente Schriftsteller (Jewgeni Zyganow) alias „Meister“ und seine Muse Margarita (Julia Snigir).

Wohl kein anderer Roman aus der Sowjetunion wird bis heute auch außerhalb Russlands so kultisch verehrt wie Michael Bulgakows „Der Meister und Margarita“. Das 1940 fertiggestellte Werk rankt sich um einen Schriftsteller, der von der Zensur drangsaliert wird und daraufhin seinen von Repressionen geprägten Alltag in einem surrealen Roman verarbeitet. In Bulgakows Buch gehen Einbildung und Realität sowie Satire und Liebesgeschichte ineinander über. Am Ende versinkt Moskau im Chaos.

Dieses äußerst komplexe Werk diente als Vorlage für den gleichnamigen Film des Regisseurs und Co-Drehbuchautors Michael Lockshin. Dieser verbindet ein monumentales Gepräge mit einer auch visuell vielschichtigen Erzählweise. Verweise auf Putins Autokratie sind subtil, aber nicht zu übersehen. Dass der in Russland gedrehte und sogar vom Kulturministerium geförderte Film dort im Kino gezeigt werden konnte, lässt Lockshin im Nachhinein staunen. 

Wissen Sie, ob der russische Präsident Wladimir Putin „Der Meister und Margarita“ gesehen hat? 

Nein, aber ich weiß, dass Mitglieder seiner Regierung ihn kennen und massiv kritisiert haben. Putins Propagandisten und andere politische Akteure haben mich angefeindet, weil ich nach Russlands Invasion im Frühjahr 2022 öffentlich die Ukraine unterstützt habe. Diese Menschen sehen den Film als regimefeindlich an. Mit so einer verrückten politischen Gegenreaktion hatte ich nicht gerechnet.

Ihr Film dürfte Putin kaum gefallen, denn er thematisiert ein von ihm wiederholt beschworenes Horrorszenario: Dass jemand von außen Russland ins Chaos stürzt. In der Romanvorlage und im Film kommt diese Rolle der mephistophelischen Figur Voland zu.

Ich bezweifle, dass er ihm gefallen würde. Voland und seine Entourage stiften allerdings nicht nur Chaos. Dieser Trickser deckt auch das Böse und die Heuchelei in der stalinistischen Sowjetunion der 1930er-Jahre auf. Die Heuchelei im heutigen Russland kommt dem sehr nahe. Das gilt auch für eine gewisse Ironie im Verhältnis zur Obrigkeit. Dass die Menschen all dies erkennen könnten, erfüllt Putin ebenfalls mit großer Angst.

Kann ein Wandel in Russland nur von außen angestoßen werden? 

Ich glaube nicht, dass angesichts der derzeitigen staatlichen Kontrolle ein friedlicher und von innen herbeigeführter Wandel möglich ist. Ich denke, es braucht eine Art Revolution oder eine Katastrophe, die den Menschen klarmacht, dass sie so nicht weiterleben können. Putin hat die Illusion eines Lebens in Sicherheit erschaffen. Die Bevölkerung wird von jeglicher politischen Bewegung ferngehalten. Es bedarf grundlegender Veränderungen. Diese werden erst möglich sein, wenn Putin nicht mehr ist. Er wird zu Lebzeiten niemals die Macht abgeben. 

Filmemacher am Pranger

Trotz des Erfolgs von „Meister und Margarita“ wird Regisseur Michael Lockshin in Russland mittlerweile massiv angefeindet. Der Grund ist seine Unterstützung für die Ukraine.

Michael Lockshin, Regisseur von "Der Meister und Margarita"

Was sagt der Film über das heutige Russland aus? 

Weil der Roman in den 1930er-Jahren spielt, war auch der Film ursprünglich als Reflektion jener Zeit angelegt. Wir hatten nicht erwartet, dass die Parallelen zum Russland der Gegenwart am Ende so breiten Raum einnehmen würden. Traurigerweise hat das Ausmaß der heutigen Säuberungen fast das gleiche Ausmaß wie unter Stalin erreicht. Denken wir nur an die kollektive Angst, die hohe Zahl der Inhaftierten und die Zensurgesetze. 

Das ist ein trauriger Beweis dafür, dass die Grundlagen der Gesellschaft bleiben, obwohl sich die Ideologie geändert hat. Der Nationalismus hat den Kommunismus abgelöst. Im Kern geht es um eine imperiale und nationalistische Identität der Gesellschaft, die noch nicht überwunden ist und überwunden werden muss.

Mit etwa sechs Millionen Zuschauer*innen allein in Russland ist „Der Meister und Margarita“ einer der größten dort produzierten Kassenschlager aller Zeiten. Macht ihnen dieser Erfolg mit Blick auf die Stimmung in der russischen Gesellschaft Hoffnung?  

Ja. Zugleich bin ich pessimistisch. Ich glaube nicht, dass gesellschaftliche Umwälzungen die Dinge in Russland zum Guten wenden können. Der Gesellschaft fehlen die Möglichkeiten dazu. Es herrscht große Angst, denn die Kontrolle durch die autoritäre und nationalistische Regierung ist allgegenwärtig. Ich hoffe, dass, wenn die Zeit kommt, in der sich das System ändert – und diese Zeit wird kommen –, es genug gute Menschen geben wird, die ein neues und freies Russland aufbauen können. 

Überrascht es Sie, dass der Film in den russischen Kinos anlaufen konnte? 

Ja, sehr sogar. Aber es war ein jahrelanger Kampf. Der Film war vor der Großinvasion in der Ukraine abgedreht. Nach dem 24. Februar 2022 waren die Themen des Films plötzlich relevanter denn je. Mehrere Jahre war unklar, ob wir die Produktion abschließen können und wann der Film erscheint. Als es so weit war, gab es kein wirkliches Marketing und die Altersfreigabe wurde unerwartet auf 18 Jahre festgelegt. Niemand hatte erwartet, dass der Film so ein großer Erfolg wird. Dieser ist nicht nur ein politisches Statement. Er soll auch die Bedeutung von Wahrheit und Moral aufzeigen.

Michael Lockshin

Nach dem Start des russischen Großangriffs auf die Ukraine waren die Themen des Films plötzlich relevanter denn je

Wäre die Produktion eines gesellschafts- und regimekritischen Films wie „Der Meister und Margarita“ auch heute noch in Russland denkbar?

Leider nein. Dieser Film stammt aus einer anderen Zeit. 

Welche Reaktionen auf den Film haben Sie persönlich erreicht? 

Wir haben insgesamt sehr positive Reaktionen erhalten, sowohl von der breiten Öffentlichkeit als auch von Fans des Romans und von Wissenschaftlern. Der Roman besitzt in Russland immensen Kultstatus. Man kann nie hoffen, dass alle, die den Roman lieben, auch den Film lieben werden. Aber gerade bei dieser Fangemeinde war der Prozentsatz viel höher als angenommen. Kinobesucher ließen mich wissen, dass sie den Film mehrmals gesehen haben und wie wichtig er ihnen in dieser Zeit in Russland war – im Sinne von frischer Luft und einem Gefühl von Freiheit. 

Ich wurde allerdings auch bedroht, unter anderem seitens der staatlich kontrollierten Medien. Das alles ist Teil eines verrückten Propagandaspiels.

Ist es Ihnen noch möglich, nach Russland zu reisen? 

Nein. In der Staatsduma und im staatlichen Fernsehen wurde ich als Terrorist und Krimineller bezeichnet. Es wurde eine strafrechtliche Untersuchung wegen meiner Unterstützung für die Ukraine gefordert. Viele Dramatiker und Künstler, die sich in Russland lautstark gegen den Krieg und gegen Putin ausgesprochen haben, sitzen im Gefängnis. 

Sie haben russische Wurzeln, sind aber US-Bürger. Dadurch haben Sie weitaus mehr Freiheiten als kritische Filmschaffende in Russland. Wie hat sich deren Lage seit der Veröffentlichung Ihres Films und den scharfen Reaktionen des Regimes verändert? 

Veränderungen zum Schlechten gab es schon vorher. Niemand wagt es heute, auch nur annähernd kontroverse Filme zu drehen. Die Zensur verfügt über schwarze Listen. Daher können keine der Themen meines Films in anderen Produktionen wirklich behandelt werden. Im Prinzip sind nur noch Propagandafilme oder Märchen möglich. Aber nichts, das wirklich die Probleme Russlands thematisiert. Niemand kann den Krieg in der Ukraine erwähnen oder die inhaftierten Künstler in Russland. Wenn Kunst nicht das widerspiegeln kann, was passiert, ist sie eine bloße Fälschung.

„Der Meister und Margarita“ (Russland/Kroatien 2024), ein Film von Michael Lockshin, mit August Diehl, Julia Snigir, Jewgeni Zyganow, Polina Aug, Claes Bang u.a., 157 Minuten.

Im Kino. Weitere Infos unter www.capelight.de/der-meister-und-margarita

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