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Hybrider Krieg: Wie heimtückisch Russlands Geheimdienste Europa attackieren

Mit beispielloser Intensität greift der Kreml Europas Demokratien an. Der Westen ist alarmiert. Denn längst schreckt Moskau dabei auch vor Mord nicht mehr zurück.

von Lars Haferkamp · 21. August 2024
Tatort Berlin, am 23. August 2019: Einsatz von Polizeitauchern im Kleinen Tiergarten, in dem ein russischer Geheimdienstmitarbeiter einen Oppositionellen erschoss, der in Deutschland Asyl gesucht hatte.

Tatort Berlin, am 23. August 2019: Einsatz von Polizeitauchern im Kleinen Tiergarten, in dem ein russischer Geheimdienstmitarbeiter einen Oppositionellen erschoss, der in Deutschland Asyl gesucht hatte.

Für SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese ist die Sache klar: „Russland versucht systematisch, unsere Demokratie zu destabilisieren.“ Im Interview mit dem „vorwärts“ konstatierte er: „Wir sehen – insbesondere nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – eine deutliche Zunahme der Angriffe, auf allen Ebenen.“ Das gelte nicht nur für Deutschland, sondern auch für viele andere Staaten in Europa.

Entsprechend groß sind die Sorgen im Westen. „Wir suchen nicht den Konflikt mit Russland“, betonte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Mai in der „Welt am Sonntag“, „aber die Realität ist, dass Russland den Westen im Westen bekämpft.“ Stoltenberg nannte „das Ausmaß und die Intensität“ der russischen Angriffe „beispiellos“. Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas spricht von einem „Schattenkrieg“ Russlands gegen den Westen.

Immer mehr Attacken aus Russland

Sicherheitsexpert*innen stützen das Urteil der Politiker*innen. Sie kommen zu einer eindeutigen Analyse: Es gebe nicht nur immer mehr Attacken Russlands in immer mehr europäischen Ländern, auch die Brutalität und Intensität der Angriff steige spürbar. 

Oberst Johann Schmid vom Zentrum für Militärgeschichte der Bundeswehr warnte in der FAZ, Russland nutze gezielt alle Schwächen des Westens. „Das Erschreckende“ an der hybriden Kriegsführung Moskaus sei für ihn oft „weniger die Virtuosität des Angreifers als die Leichtfertigkeit des Angegriffenen“. Der Westen sei schlecht vorbereitet und habe nicht einmal ein Bewusstsein für die Gefahr. „Dieses hybride, ganzheitliche Verständnis von Krieg müssen wir erst wieder lernen“, mahnte er. 

Angriffe gegen Frankreich, Polen und Schweden

Deutlich wird die hybride Kriegsführung Russlands etwa an systematischen Störungen von Satelliten, so in Schweden, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg. Die Angriffe gegen Schweden begannen nur wenige Wochen, nachdem das skandinavische Land Anfang März Mitglied der NATO geworden war. Im gesamten Ostseeraum störte Russland die GPS-Signale, mintunter wochenlang. Experten identifizierten die russische Exklave Kaliningrad als Ausgangsort. Besonders betroffen waren Finnland und Estland. Die finnische Fluglinie „Finnair“ musste wegen anhaltender Störungen der GPS-Satellitennavigation im April ihre Flüge in die estnische Stadt Tartu einstellen.

Eine weitere wichtige Waffe im Arsenal Moskaus sind Cyberattacken. Ein Opfer wurde zum Beispiel im Mai die polnische Nachrichtenagentur PAP. Hier verbreiteten russische Hacker die Falschmeldung, Polen wolle 200.000 Soldat*innen einziehen, um sie an die Kriegsfront in der Ukraine zu schicken.

Deutsche sehen Gefahr von Cyberattacken

Die Menschen in Deutschland haben zumindest ein Gespür für die Bedrohung bekommen. 73 Prozent halten aus dem Ausland gesteuerte Desinformationskampagnen für eine große oder sehr große Gefahr für die Demokratien Europas, so eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift „Internationale Politik“. Bei den SPD-Anhänger*innen sind es sogar 90 Prozent, die diese Sorge teilen.

Dirk Wiese
SPD-Fraktionsvize

Der Kreml schreckt auch vor Mord nicht zurück.

Desinformation soll meist Verunsicherung und Chaos stiften. Um dem einen Riegel vorzuschieben, verbot die EU im Mai die Nachrichtenplattform „Voice of Europe“, die in Prag ihren Sitz hat. Von hier aus wurde russische Propaganda in der EU verbreitet. Auch soll Geld an europäische Politiker geflossen sein, unter anderem an Abgeordnete der AfD.

Hunderte von Internetseiten mit Kreml-Propaganda

In einer beliebten Desinformationsstrategie, die Russland seit Jahren anwendet, wird das Internet mit Geschichten zu einem bestimmten Thema geflutet, die sich oft sogar widersprechen. Das Ziel: Keine Information soll mehr als korrekt erscheinen, eine sachliche Klärung unmöglich gemacht werden.

Die französische Regierung enttarnte Anfang des Jahres das russische „Portal Kombat“. Es betrieb rund 200 von Russland gesteuerte Internetseiten mit Propaganda für den Kreml. Ein weiteres beliebtes Mittel der Verunsicherung sind Sprayer. Im Auftrag des Kreml wurden auf Pariser Häuserwände Davidsterne gesprüht. Die „Mauer der Gerechten“ der Pariser Holocaust-Gedenkstätte wurde mit roten Händen beschmiert, sie ehrt Menschen, die im von Nazi-Deutschland besetzten Frankreich zur Rettung von Juden beitrugen. Das Ziel: Die Stimmung im Land, die nach den Hamas-Attacken auf Israel angespannt war, weiter anzuheizen und die Menschen so zu verunsichern. 

Rund 500 russische Spione aus EU ausgewiesen

Bei einer weiteren Aktion im Juni stellten Verdächtige fünf Särge mit der Aufschrift „Französische Soldaten in der Ukraine“ am Eiffelturm auf, sie waren in die französische Trikolore eingehüllt. Zuvor hatte Präsident Macron gesagt, er schließe es nicht aus, französische Truppen in die Ukraine zu entsenden. Auch die Olympischen Spiele in Paris im Juli waren im Visier russischer Propaganda. Ein gefälschter Bericht des französischen Nachrichten-Fernsehens „France 24“ sollte zeigen, dass ein Viertel der Olympiatickets wieder zurückgegeben wurde – angeblich aus Furcht vor Attentaten. Die Nachricht war so falsch, wie der Bericht, sorgte aber für viel Unruhe. 

Seit dem Ukraine-Krieg im Februar 2022 haben die EU-Staaten rund 500 russische Spione, die sich als Diplomaten getarnt hatten, ausgewiesen. Dennoch gehen die Spionageaktivitäten weiter. Für Schlagzeilen sorgte Anfang 2024 etwa die Ausspähung des polnischen Flughafens im Auftrag Moskaus. Das Ziel des Ganzen, so die Vermutung Warschaus: ein Attentat auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der auf diesem Flugplatz erwartet wurde.

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese warnte gegenüber dem „vorwärts“: Bei seinen Angriffen auf den Westen „schreckt der Kreml auch vor Mord nicht zurück: nicht in Großbritannien, nicht in Spanien und auch nicht in Deutschland, wie der Tiergarten-Mord in Berlin gezeigt hat“. 

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7 Kommentare

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Mi., 21.08.2024 - 17:52

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"Russland nutze gezielt alle Schwächen des Westens."

Nutzen unsere Geheimdienste nicht die Schwächen ihrer Gegner? Wäre es nicht absurd das nicht so zu machen?

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 22.08.2024 - 10:48

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Ihr Kommentar wurde mit Verweis auf Netiquette Punkt "1. Beiträge und Themen, deren Titel oder Inhalt gegen das deutsche Presserecht verstoßen, also Beleidigungen, Verleumdungen, Beschimpfungen o. ä. enthalten, werden gelöscht. Das gilt auch für Polemik und Falschmeldungen" gelöscht.

Erläuterung: Lars Haferkamp hat sich in seiner Aussage zur Nordstream-Pipeline journalistisch korrekt auf einschlägige Quellen bezogen.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 23.08.2024 - 18:00

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Meine Absicht war es nicht irgendwen zu beleiddigen etc. Ich wünschte nur Aufklärung über den Sachverhalt. Allerdings sind in Vorwärtsartikel seltenst Quellen zu irgendwelchen Berichten angegeben. Leider beschränkt der vörwärts dank net die Möglichkeiten zu einer offenen, auch kontroversen Diskussion immer mahr und das halte ich für unsere Demokratie für sehr abträglich. Ich weiß nicht ob ich als überzeugter Sozialdemokrat bei den Brandenburgwahlen in 4 Wochen unter diesen Umsttäanden noch die SPD wählen kann.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 22.08.2024 - 11:32

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Russlands Geheimdienste Europa attackieren."

Tatsächlich. Es ist an bösartiger Heimtücke nicht mehr zu überbieten, wenn „russische Hacker die Falschmeldung, Polen wolle 200.000 Soldat*innen einziehen, um sie an die Kriegsfront in der Ukraine zu schicken, hier verbreiten“, oder „Sprayer ... auf Pariser Häuserwände Davidsterne sprühen ... (und) mit roten Händen beschmieren“. So einfach ist es, die „Stimmung im Land weiter anzuheizen und die Menschen so zu verunsichern“? An dreister Bösartigkeit und Heimtücke nicht zu überbieten ist, dass die „Desinformation, (die) meist Verunsicherung und Chaos stiften soll“, von einer „Nachrichtenplattform ... in Prag ... verbreitet“ wurde – in Prag, EU. Oder zeugt es von Dummheit, wessen, lassen wir mal offen?

Einem Doppel-Wumms gleicht „ein gefälschter Bericht des französischen Nachrichten-Fernsehens „France 24“, der „Furcht vor Attentaten“ bei Olympia in Paris schüren sollte. Wobei ich zugeben muss, dass ich nicht ganz verstehe, ob der russische Geheimdienst dem Sender einen gefälschten Bericht unterschieben konnte, oder ob der Bösewicht seine Falschmeldung als Bericht von „France 24“ ausgegeben hat, oder ob „France 24“ dass „russische Pferd“ ist. Wie auch immer: Die WAZ scheint auch dem russischen Geheimdienst aufgesessen zu sein, denn sie berichtete ebenfalls von der Vorsorge Frankreichs vor Attentaten während der Spiele. Sie hatte wohl nicht bedacht, dass sie damit „für viel Unruhe sorgen“ würde.

Die „systematischen Störungen von Satelliten ... mitunter wochenlang ... (von der) russische Exklave Kaliningrad als Ausgangsort“ ist da sicher schon ernsthafter Natur. Aber warum stellen wir das nicht ab, die Exclave Kaliningrad ist doch wirklich nicht groß, die Störsender darum doch leicht auszumachen. (Vielleicht stelle ich mir Abhilfe als Laie etwas zu einfach vor.)

Nach diesem Artikel kann man „SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, ... (dem) die Sache klar ist, (nur zustimmen): Russland versucht systematisch, unsere Demokratie zu destabilisieren, ... (und schreckt dabei) ... auch vor Mord nicht zurück, ... (wie z. B.) der Tiergarten-Mord in Berlin gezeigt hat“ (Vorwärts und Kommentare vom 12.8.2024 UND 12.7.2024). Im Narrativ über den Tiergartenmord, stellvertretend für „Morde in Großbritannien, in Spanien“, wird völlig zu Recht festgehalten, dass kein Land in einem anderen Menschen ermorden darf, auch dann nicht, wenn es sich nicht um dessen Staatsbürger handelt. Dass der Ermordete aber schlicht als „Oppositioneller, der in Deutschland Asyl gesucht hatte“, behandelt wird, während Wikipedia ihn als von „russischen Behörden gesuchter Terrorist“ des Zweiten Tschetschenienkrieges und als Beteiligter „bei Anschlägen auf die Metro Moskau“ und auch sonst als Zwielichtigen kennt, rückt unser Narrativ schon in die Nähe „einer beliebten Desinformationsstrategie“.

Wenn der Artikel die „Realität“ beweist, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg meint, „ dass Russland den Westen im Westen bekämpft,“ wenn dieser „Schattenkrieg“ zudem „insbesondere nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine deutliche Zunahme der Angriffe, auf allen Ebenen“ gebracht hat, dann muss man doch annehmen, dass Russlands Tüchtigkeit für den Cyberkrieg von der Nato genauso – bewusst und interessengeleitet - überschätzt wird, wie seine Fähigkeit für den konventionellen Krieg. Wer, wie Russland, einer Niederlage auf den konventionellen Kriegsschauplatz in der Ukraine entgegengebombt werden kann, wie alle unsere Wortgewaltigen fordern und propagieren, darauf aber mehr oder weniger nur im „Schattenkrieg“ mit Sprayern und Falschmeldungen im Internet antworten kann, der wird wohl kaum als baldiger Angreifer auf die Nato ernst zu nehmen sein. Eher rückt der „Schattenkrieg“ das Narrativ vom „Hybriden Krieg“, der sich , wie Pistorius` und all unsere Wortgewaltigen wissen, bald schon zu einem Krieg der Russischen Föderation mit der Nato ausweiten wird, in die Nähe „einer beliebten Desinformationsstrategie“, die „die Stimmung im Land ... anzuheizen und die Menschen zu verunsichern“ sucht.

Als wirkmächtigste „Waffe im Arsenal“ hat sich aber das Narrativ erwiesen, die Nato-Osterweiterung sei völlig bedeutungslos für das Konfliktfeld, das den Ukraine-Krieg verursacht hat. Leider hat das tragische Konsequenzen für die Beendigung des Krieges.

Was sollten wir daraus lernen?

PS.: In ihrem Text vom 12.8.24 wussten Vorwärts und Wiese noch von „den engen Verbindungen von AfD und BSW zu Russland“ zu berichten. Die BSW scheint sich geläutert zu haben.

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Do., 22.08.2024 - 16:38

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Gegen welchen Punkt der Netiquette hat mein Kommentar verstoßen?

Anmerkung: Ihre Kommentare wurden nicht gelöscht.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 23.08.2024 - 11:04

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Ihr Kommentar wurde gelöscht, weil er gegen Punkt 1 unserer Netiquette verstößt: "1. Beiträge und Themen, deren Titel oder Inhalt gegen das deutsche Presserecht verstoßen, also Beleidigungen, Verleumdungen, Beschimpfungen o. ä. enthalten, werden gelöscht. Das gilt auch für Polemik und Falschmeldungen."

Erklärung: Die Ukraine hat nicht die ukrainische orthodoxe Kirche verboten, sondern die Moskauer.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 23.08.2024 - 14:57

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Also "Beleidigungen, Verleumdungen, Beschimpfungen" sowas habe ich doch gar nicht gemacht. Allerdings habe ich auf Widersprüche hinweisen wollen. Wenn das nun aber nicht erlaubt ist, dann sehe ich unsere Demokratie als gefährdet an, aber nicht von meiner Seite.
Trotzdem halte ich Kirchenverbot nicht für einen westlichen Wert.