Meinung

Schweden in der Nato: Ein historisches Desaster für Putin und Russland

Stimmt Ungarn heute zu, wird Schweden nach mehr als 200 Jahren Neutralität Nato-Mitglied. Eine Reaktion auf Putins Ukraine-Überfall. Der Kreml-Diktator hat sich verkalkuliert: Die Ostsee wird zum Nato-Meer, Russland ist isoliert in Europa wie nie.

von Lars Haferkamp · 26. Februar 2024
Schweden in der Nato: Wenn das ungarische Parlament – als letzter Nato-Staat – der Aufnahme zustimmt, wird das einwohnerstärkste Land Skandinaviens das 32. Mitglied der nordatlantischen Allianz.

Schweden in der Nato: Wenn das ungarische Parlament – als letzter Nato-Staat – der Aufnahme zustimmt, wird das einwohnerstärkste Land Skandinaviens das 32. Mitglied der nordatlantischen Allianz.

Am 26. Februar ist es endlich so weit: Nach monatelanger Verzögerung durch Ministerpräsident Viktor Orbán will das ungarische Parlament am Nachmittag dem Nato-Beitritt Schwedens zustimmen – als letzter Mitgliedsstaat der Allianz. Knapp zwei Jahre nach dem Aufnahmeantrag Stockholms.

Damit ist dieser Tag ein historischer: Für Schweden, das seine jahrhundertelange Neutralität zugunsten des Nato-Beitritts aufgibt. Für die Nato, die nun durch ihr 32. Mitgliedsland deutlich gestärkt wird, besonders im Ostseeraum. Und für Russland, das mit dem Nato-Beitritt Schwedens vor einem geopolitischen Desaster von wahrhaft historischer Dimension steht.

Die „Zeitenwende“ auch in Stockholm

Denn seit mehr als 200 Jahren war Schweden ein militärisch neutrales Land. Das war sehr im Interesse Russlands, das in dem großen und zentralen Staat mitten in der Ostsee keinem gegnerischen Militärbündnis gegenüberstand. Nun aber bekommt die Nato mit Schweden einen militärisch wichtigen Verbündeten und Russland bekommt einen potentiellen Gegner von Gewicht. 

Auch Schweden reagierte auf den russischen Überfall auf die Ukraine vor zwei Jahren mit einer „Zeitenwende“. Das auffälligste Zeichen ist der Antrag auf Nato-Mitgliedschaft. Doch die schwedische Zeitenwende geht darüber hinaus: Die Wehrpflicht wurde wieder eingeführt, die Verteidigungsausgaben deutlich erhöht. 

Was Schweden für die Nato so wertvoll macht

Die gute Nachricht für die Nato und die schlechte für Moskaus Militär: Die schwedische Luftwaffe und Marine gelten als hochmodern und leistungsstark. Die schwedische Marine wird mit ihren weit mehr als 300 Schiffen als fünftstärkste Seestreitkraft der Welt klassifiziert. Die Bedeutung Schwedens liegt darüber hinaus in seiner geographischen Lage mitten in der Ostsee. Für die Kontrolle des Meeres und den Schutz der drei baltischen Nato-Staaten wird sie künftig eine ganz wichtige Rolle spielen. Das gilt ganz besonders für die größte Insel in der Ostsee, das schwedische Gotland. „Wer Gotland kontrolliert, kontrolliert die Ostsee“, heißt es von Militärexpert*innen. Schweden hat mit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine vor zwei Jahren sein Militär auf der Insel massiv verstärkt.

Es war das erklärte Ziel Putins, die Nato-Osterweiterung zu stoppen. Er wollte das atlantische Bündnis so weit wie möglich von den Grenzen Russlands entfernt wissen. Doch statt weniger Nato hat er nun mehr bekommen, wie es Generalsekretär Jens Stoltenberg einmal treffend formulierte. Nun hat Putin die Allianz direkt vor seiner Nase: Der gebürtige St. Petersburger muss zusehen, wie das Nato-Gebiet bis 156 Kilometer vor seine Heimatstadt heranrückt, so klein ist die Entfernung von dort bis zur finnischen Nato-Grenze.

Putins ganz persönliches Desaster

Und das ist Putins ganz persönliches Desaster: Er wird in die Geschichte eingehen als der Kremlherrscher, der mit seiner menschenverachtenden Kriegs- und Gewaltherrschaft die Neutralität Schwedens und Finnlands beendete und damit sicherheitspolitisch Russland enorm schadete.

In Russland weiß jedes Schulkind: Der Aufstieg des Landes zur europäischen Großmacht begann im 18. Jahrhundert mit Peter dem Großen. Dieser Zar hatte das Fenster Russlands nach Europa aufgestoßen, er hatte die russische Expansion an den Ostseeküsten durchgesetzt. Denn für den Zar war die Ostsee das Fenster Russlands nach Europa. Und das ist sie bis heute geblieben – nicht das Schwarze Meer, um dessen ukrainische Küsten Putin seit zwei Jahren seinen erbarmungslosen Eroberungskrieg führt.

Auch Orbán konnte Putin nicht mehr helfen

Das historische Desaster von Putin wird auch daran deutlich, dass mit dem Nato-Beitritt Schwedens Russland zum ersten Mal in seiner neueren Geschichte in Europa komplett isoliert ist. Dem Machthaber im Kreml ist es in bald 25 Jahren seiner Herrschaft nicht gelungen, auch nur einen einzigen neuen Partner oder Verbündeten für sein Riesenreich zu gewinnen. Im Gegenteil, er hat den ganzen Kontinent vereint in Furcht vor ihm und damit gegen ihn.

Viktor Orbán, sein ungarischer Kumpel in Budapest, konnte ihm am Ende auch nicht weiterhelfen. Er konnte den Nato-Beitritt Schwedens zwar verzögern, aber nicht verhindern. Letzten Endes musste Orbán zustimmen, der Druck der westlichen Verbündeten auf ihn wurde zu groß. Auch das zeigt die Grenzen, die der Einfluss von Putins Russland in Europa heute hat.

Kein europäisches Land möchte Vasallenstaat Russlands sein

Die Politik von Putin zeigt überdeutlich: Er kennt keine Partner oder Verbündeten, schon gar nicht auf Augenhöhe, er kennt nur Vasallen, denen er seinen Willen diktiert. Belarus ist dafür ein gutes Beispiel. Der kleine Diktator in Minsk ist abhängig vom großen Diktator in Moskau. Lukaschenko ist ein Vasall Putins, von einer Unabhängigkeit Belarus‘ kann de facto keine Rede mehr sein.

Für kein europäisches Land ist das Modell Belarus attraktiv, kein europäisches Land möchte ein Vasallenstaat Russlands sein. Nicht das Baltikum, nicht die Ukraine und auch nicht Finnland oder Schweden. Das ist der Grund für die komplette Isolation Moskaus in Europa. Und das ist der Grund für den Nato-Beitritt Schwedens. Solange der Kreml seine Politik gegenüber den europäischen Nachbarn nicht glaubhaft und um 180 Grad korrigiert, wird sich daran auch künftig nichts ändern.

Weitere interessante Rubriken entdecken

2 Kommentare

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 26.02.2024 - 15:34

Permalink

Ein sehr bemerkenswerter Beitrag – in doppelter Hinsicht.

„Nun aber bekommt (– erstens -) die Nato mit Schweden einen militärisch wichtigen Verbündeten und Russland bekommt einen potentiellen Gegner von Gewicht“. In letzter Zeit hört man es selten, dass die Nato ein „potentieller Gegner“ von irgendwem ist, denn die Nato richtet sich gegen niemand – so ihre Selbsteinschätzung. Geopolitisch ist das natürlich richtig.
Für Russlands (– zweitens -) ist das „ein geopolitisches Desaster von wahrhaft historischer Dimension“. Die Sicht Russlands auf politische Prozesse spielt seit langem in unseren Überlegungen keine Rolle mehr. (Auch hier wird die Sicht Russlands ja nur thematisiert, um sich an seinem „geopolitischen Desaster“ zu erfreuen.) Geopolitik verlangt aber immer, dass auch die Ansicht des Gegenübers wahrgenommen und in die eigenen Absichten eingerechnet wird. Andernfalls kommt es sonst schon mal zu einem unerwarteten "geopolitischen Desaster".

Ersetzen wir in der völlig richtigen geopolitischen Einschätzungen des Textes Schweden durch Ukraine: „Die Nato bekäme mit der Ukraine einen militärisch wichtigen Verbündeten und Russland einen potentiellen Gegner von Gewicht“. Das wäre für Russland „ein geopolitisches Desaster von wahrhaft historischer Dimension“.
Unverständlicherweise war Russland nicht bereit, das hinzunehmen.

Im Überschwang der Freude und Genugtuung über diesen historischen Tag des „geopolitischen Desasters“ für Russland legt der Vorwärts Hand an unser Narrativ über die Entstehung des Ukraine-Krieges. Alle Achtung, auch wenn das wohl nicht beabsichtigt war.

denn nun sind aus dem Norden heraus großräumige Zangenbewegungen möglich, die bei gleichzeitiger Aktion im Südabschnitt dem potentiellen Gegner eine Frontlänge aufzwingt, die dessen Möglichkeiten weit überstrapazieren. Eine ganz üble Situation, die sich Putin hier hineingewirtschaftet hat- und das auch noch ohne den- in großen historischen Zeitspannen betrachtet- geborenen verbündeten in der Mitte Europas.