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Polen: Warum es der Regierung schwerfällt, den Rechtsstaat wiederherzustellen

Zurück zum Rechtsstaat? Gar nicht so einfach. Bei einer Tagung an der Uni Freiburg berichtet der polnische Justizminister Adam Bodnar über die Probleme, Polens Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Besonders zwei Dinge machen Probleme.

von Christian Rath · 24. Juni 2024
Porträt von Adam Bodnar

Adam Bodnar ist seit Dezember 2023 Polens Justizminister in der liberal-konservativen Regierung von Donald Tusk. Er ist Verfassungsrechtler und Menschenrechtsaktivist.

„A Playbook for Reinstating the Rule of Law“ (Eine Anleitung zur Wiederherstellung des Rechtsstaats) war der selbstbewusste Titel der Tagung, die Ende letzter Woche an der Freiburger Universität stattfand. Im Mittelpunkt der Tagung stand Polen, nicht zuletzt, weil Adam Bodnar, der neue polnische Justizminister teilnahm. 

Zurück zum Rechtsstaat

Bodnar ist Minister in der neuen Regierung des gemäßigt-konservativen Donald Tusk, die im Dezember 2023 ihre Arbeit aufnahm. Ein großes Ziel von Tusk und Bodnar ist die Rückabwicklung der polnischen Justizreform der nationalistischen PiS-Regierung. 

Die PiS hatte ab ihrer Regierungsübernahme 2015 versucht, die Justiz auf Linie zu bringen. Beim polnischen Verfassungsgericht gelang dies relativ schnell, da die Richter*innen im Parlament (Sejm) mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Doch auch die Neueinstellung und Beförderung von Richter*innen kontrollierte die PiS, indem sie den zuständigen Landesjustizrat, eigentlich ein Selbstverwaltungsorgan der Justiz, unter die Kontrolle des Sejms brachte.

Mehrheiten können gestoppt werden

Doch es gibt zwei große Hemmnisse bei der Rückabwicklung der Justizreform, wie Adam Bodnar darlegte. Zum einen kann Präsident Andrzej Duda (PiS) gegen Gesetze der neuen Mehrheit sein Veto einlegen. Duda ist noch bis Mitte 2025 im Amt. 

Zum anderen agieren die polnischen Verfassungsgerichter*innen, die durchweg von der alten PiS-geführten Koalition gewählt wurden, laut Bodnar sehr parteipolitisch und versuchen, Vorhaben der neuen Mehrheit zu stoppen.

Bis zur Neuwahl des Staatspräsidenten können Gesetze zur Rückabwicklung der Justizreform nur vorbereitet, aber nicht verabschiedet werden. Neben der Neuzusammensetzung des Landesjustizrats will die neue Regierung vor allem einen Neustart am polnischen Verfassungsgericht vorschlagen. So soll die Amtszeit der jetzigen Verfassungsrichter*innen per Gesetz beendet werden und ein neues, ausgewogen besetztes Verfassungsgericht geschaffen werden. Die Richter*innen sollen dann mit 3/5-Mehrheitstatt einfacher Mehrheit gewählt werden. Hierfür bräuchte die Tusk-Regierung aber eine verfassungsändernde Mehrheit. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass sich die PiS hieran beteiligt.

„Neo-Richter“ im Amt

Derzeit werden keine RichterInnen für die ordentliche Gerichtsbarkeit eingestellt, damit der unreformierte Landesjustizrat nicht beteiligt werden muss. Die vom Landesjustizrat von 2018 bis Ende 2023 nominierten neuen Richter*innen, die in Polen „Neo-Richter“ genannt werden, bleiben bis auf weiteres im Amt. Nach Angaben Bodnars handelt es sich um mehr als 2.000 der rund 9.000 polnischen Richter*innen. Geplant ist eine Evaluierung, sobald das entsprechende Gesetz beschlossen werden kann. 

Für ihr Verhalten in der PiS-Ära sollen Richter*innen auch zur Rechenschaft gezogen werden. Etwa 30 Fälle seien wichtig genug, um strafrechtlich untersucht zu werden.  

„Wir sind erst am Anfang der Transformation“, sagte Justizminister Adam Bodnar in Freiburg. Sie werde vielleicht die ganze Wahlperiode dauern. 

Rechtsstaatliches Vorgehen ablehnen?

Bodnar versicherte, dass er alle Schritte mit rechtsstaatlichen Mitteln vollziehen werde. Es werde keine revolutionären Aktivitäten geben. Besonders heikel ist dabei der Umgang mit dem polnischen Verfassungsgericht. Dessen Entscheidungen werden seit einigen Monaten einfach ignoriert. Grundlage ist eine Resolution des Sejms, die dem polnischen Verfassungsgericht Anfang März 2024 die Legitimität absprach, auch unter Verweis auf europäische Urteile. Bodnar lehnte aber Vorschläge ab, das polnische Verfassungsgericht einfach aufzulösen. „Wie soll das gehen?“, fragte er, „soll ich die Polizei hinschicken und den Strom abdrehen?“

Es gibt in Polens neuer Mehrheit aber auch Stimmen, die ein allzu rechtsstaatliches Vorgehen ablehnen. Einer von ihnen ist Rechtsprofessor Wojciech Sadurski, der an der Uni Sydney lehrt. „Wenn es Regeln gibt, die gemacht wurden, um das Ancien Regime zu versteinern, dann kann man sie entweder beachten und sich damit selbst lähmen oder man ignoriert sie.“ Unterstützt wurde er von Miroslaw Wyrzykowski, einem früheren Verfassungsrichter. „Wir können nicht das Haus putzen und saubere Hände behalten“, sagte er.

Ausgewogene Lösung in Sicht

Der deutsche Ex-Verfassungsrichter Johannes Masing machte einen vermittelnden Vorschlag. Er hält nicht-rechtsstaatliche Verfahren nur für legitim, wenn es um große strukturelle Änderungen geht und dabei rechtsstaatswidrige durch ausgewogene Lösungen ersetzt werden, die auch die Interessen der Opposition berücksichtigen. Zentral ist für Masing, dass eine Maßnahme auch von der Mehrheit der Öffentlichkeit als fair akzeptiert werden kann. 

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