Verschobene Richterwahl: Hetzkampagne, Klappe die zweite?
Nachdem die Wahl von drei Richer*innen für das Bundesverfassungsgericht verschoben wurde, gerät nun auch die zweite Kandidatin, Ann-Katrin Kaufhold, zunehmend ins Visier rechter Kampagnen. Doch die Vorwürfe gegen sie sind nicht haltbar.
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Rund um die Richterwahl wurde vor allem über die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf diskutiert - doch nun werden auch gegen die zweite Kandidatin der SPD Vorwürfe laut.
Wird Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold das nächste Kampagnen-Opfer von Rechtsaußen-Meinungsmachern? Kaufhold wurde wie ihre Kollegin Frauke Brosius-Gersdorf von der SPD für die Wahl als Verfassungsrichterin nominiert. Bisher stand aber vor allem Brosius-Gersdorf im Feuer, da Teile der CDU/CSU sie wegen ihrer Positionen zum Schwangerschaftsabbruch nicht mitwählen wollten. Gegen Kaufhold ist aus der Union noch kaum etwas zu hören.
Kommt nun die Kampagne gegen Ann-Katrin Kaufhold?
Doch das könnte sich bald ändern. Ann-Katrin Kaufhold sei „ebenso wenig wählbar wie Frauke Brosius-Gersdorf“, schrieb Ulrich Vosgerau (CDU-Mitglied und häufiger Rechtsvertreter der AfD) auf der Plattform X. Autor Josef Kraus sieht bei „Tychis Einblick“ in Kaufhold „wohl die noch größere Gefahr für die Demokratie“. Der AfD-Rechtspolitiker Stefan Brandner hält die Nominierung Kaufholds für „äußerst gefährlich und ihre Wahl wäre ein weiterer Schock für die Demokratie“.
Wer also ist Ann-Katrin Kaufhold? Die 49-jährige ist Rechtsprofessorin in München. Sie promovierte und habilitierte in Freiburg bei Andreas Voßkuhle, der von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. Fachlich bekannt wurde sie mit ihrer Arbeit „Systemaufsicht“, in der sie nach der Lehmann-Finanzkrise komplexe Modelle für eine effiziente Finanzmarktaufsicht entwickelte.
Vorwurf des „Klimaaktivismus“ - dabei wäre Kaufhold nicht für Klimapolitik zuständig
Vorgeworfen wird Kaufhold zunächst, dass sie sich auch mit Klimaschutzrecht beschäftigt und dabei Gerichten eine wichtige Rolle zubilligt. In einem analytischen Interview stellte sie 2021 fest, dass Parlamente dazu tendieren, „unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen“, während Gerichte (und Zentralbanken) unabhängig seien und sich deshalb besser eignen, „unpopuläre Maßnahmen anzuordnen“. Obwohl Kaufhold zugleich feststellte, dass die politische Legitimation von Parlamenten deutlich höher ist als die von Gerichten, werfen ihr Kritiker*innen nun vor, sie wolle „Klimapolitik ohne Parlament“ machen und sei eine „Klimaaktivistin“.
Wenn sich die Kritiker mit Kaufhold näher beschäftigt hätten, wüssten sie, dass Kaufhold im großen Klimaverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht auf Seiten der klagenden Umweltverbände stand, sondern Bundestag und Bundesregierung vertrat. Zwar hält Kaufhold Klimaschutz für eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, sie ist dabei jedoch ganz auf einer Linie mit dem Bundesverfassungsgericht, das 2021 den Klimaschutz zum Staatsziel erklärte. Dieser Klimabeschluss erging in Karlsruhe einstimmig, also auch mit den Stimmen der unions- und FDP-nominierten Richter*innen. Was die Kritiker*innen auch übersehen: Ann-Katrin Kaufhold soll an den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts berufen werden. Für Klimapolitik ist aber der Erste Senat zuständig.
Ann-Katrin Kaufhold: Weitere Vorwürfe ebenfalls nicht haltbar
Zweitens wird Kaufhold vorgeworfen, sie sei eine „Enteignungsbefürworterin“, weil sie Mitglied einer Berliner Kommission war, die sich mit der „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ beschäftigte. Allerdings ging es in dieser Kommission nicht um das Für und Wider von Sozialisierungen. Für Vergesellschaftungen hatte sich die Berliner Bevölkerung bereits 2021 bei einem Volksentscheid mit einer Mehrheit von 57,6 Prozent der Abstimmenden ausgesprochen. Die daraufhin vom Berliner Senat eingesetzte Kommission sollte vielmehr Wege zu einer rechtssicheren Umsetzung des Volksentscheids erarbeiten.
Sozialisierungen sind in Artikel 15 des Grundgesetzes als Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen. In Berlin soll davon nun erstmals Gebrauch gemacht werden. Es wird zwar damit gerechnet, dass das Sozialisierungsgesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden muss, weil die Wohnungskonzerne klagen, allerdings ist auch hier der Erste Senat zuständig und nicht der Zweite Senat, in den Kaufhold gewählt werden soll.
Verschwörungstheorien rund um AfD-Verbot befeuern die Kampagne
Schließlich wird Kaufhold als Teil eines „Staatsstreich“-Projekts der SPD gesehen, wie es etwa Vosgerau an die Wand malt: Die SPD schlage als Verfassungsrichterinnen gezielt Personen vor, die ein AfD-Verbot befürworten. Und wenn die AfD dann verboten ist, fallen alle AfD-Sitze im Bundestag weg und die SPD könne dann eine rot-rot-grüne Koalition bilden, mit Lars Klingbeil als Kanzler. Daran ist aber schon die Vorannahme falsch: Das Bundesverfassungsgericht kann auf absehbare Zeit gar kein AfD-Verbot beschließen, weil es schon keinen Verbotsantrag geben wird, solange die CDU/CSU ein Verbot der größten Oppositionspartei ablehnt.
Für Parteiverbote wäre zwar tatsächlich der Zweite Senat zuständig. Doch die von den Kritiker*innen zitierte Aussage Kaufholds ist nicht eindeutig. In einer Talkshow mokierte sich Kaufhold über die „Ängstlichkeit“ mancher Verbotsbefürworter, die schon aus Angst vor dem Scheitern keinen Antrag stellen wollen. Das finde sie „nicht überzeugend“, sagte Kaufhold, denn der politische Prozess könne ein Scheitern in Karlsruhe durchaus aushalten. Mit so einer vagen Aussage wäre Kaufhold im Verfahren wohl nicht einmal befangen.
Richter*innenwahl: Nächster Versuch nach der Sommerpause
Mal sehen, ob es den Rechtsaußen-Meinungsmachern auch bei Kaufhold gelingt, so viele Unions-Abgeordnete zu agitieren, dass im Bundestag keine Wahl mit Zwei-Drittel-Mehrheit möglich ist. Am 11. Juli war im Bundestag die Abstimmung über Frauke Brosius-Gersdorf, Ann-Katrin Kaufhold und den CDU-Kandidaten Günter Spinner, einen Bundesarbeitsrichter, abgesetzt worden. Nach der Sommerpause soll erneut gewählt werden.